Ein Beitrag von Ralf Fücks, seit 1996 im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
1989/90 war er Bundesvorsitzender der Grünen Partei, 1991 Bremer Umweltsenator.
Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftspolitik, Migration, Zukunft Europas.
Die Debatte über „öffentliche Armut, privaten Reichtum“ kommt wieder. Denn während die Staatsverschuldung weiter wächst, sind die Investitionen der öffentlichen Hände auf einem Tiefstand. Vom Kindergarten bis zu den Hochschulen ist das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich unterfinanziert. Die Kulturlandschaft leidet Not, von der auswärtigen Kulturpolitik ganz zu schweigen. Die Sprachförderung für Migranten wird heruntergefahren wie die Jugendarbeit und die Verbraucherberatung.
Selbst die Polizei klagt über Stellenstreichungen und einen Berg Überstunden.
Am stärksten schlägt die Misere der öffentlichen Hand in den Kommunen durch. Immer mehr Städte und Gemeinden stehen mit dem Rücken zur Wand, die kommunale Selbstverwaltung wird zur Farce.
DIE ÜBERFÄLLIGE KONSOLIDIERUNG der öffentlichen Haushalte verstärkt diesen Trend nach unten. Ausgabenkürzungen treffen vor allem die öffentlichen Investitionen und soziokulturellen Dienstleistungen. Das geht zu Lasten der Lebensqualität der breiten Massen wie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Innovationskraft des Landes. Man merkt das nicht sofort. Aber schon auf mittlere Sicht untergräbt diese Entwicklung den einzigen Standortvorteil der Bundesrepublik im internationalen Innovations- und Kostenwettbewerb: eine gut ausgebaute Infrastruktur und ein hohes Bildungsniveau der Bevölkerung. Gleichzeitig verstärkt die Finanzkrise die Spaltung der Gesellschaft. Denn soziale Teilhabe findet wesentlich über öffentliche Güter statt: über Förderung und Qualifizierung im Bildungssystem, über Zugang zur Kultur bis hin zum öffentlichen Verkehrswesen, das Mobilität auch ohne eigenes Auto ermöglicht.
WOHER KOMMT DIESE SPIRALE nach unten bei den öffentlichen Dienstleistungen?
Sind wir über Nacht ein armes Land geworden? Die Statistik über die Einkommensentwicklung in den Mittel- und Oberschichten aber auch die Alltagserfahrung vermitteln ein anderes Bild. Vom Wohnen bis zum Reisen: Für die Mehrheit der Bevölkerung steigt der Lebensstandard. Die einmalige Welle von Erbschaften, die jetzt auf einen guten Teil der Nachkriegsgeborenen niedergeht, ist ein Indiz für den wachsenden privaten Wohlstand.
Was folgt daraus? Liegt die Lösung in höheren Steuern für die Begüterten nach schwedischem Muster? Das stößt in Theorie und Praxis auf Schwierigkeiten. Der internationale Steuerwettbewerb verbunden mit der globalen Mobilität von Kapital und hoch qualifizierten Arbeitskräften setzt einer signifikanten Erhöhung von Unternehmens- und Einkommenssteuern Grenzen, die nicht per einfacher Mehrheit zu überwinden sind. Auch in Skandinavien wurden inzwischen Unternehmenssteuern gesenkt und die Mehrwertsteuer erhöht. Jede Steuerpolitik muss darauf achten, dass sie die private Leistungsbereitschaft und damit die wirtschaftliche Dynamik nicht untergräbt. Aber auch wenn Steuererhöhungen nicht der Königsweg sind, um die Staatseinnahmen aufzubessern: Wir brauchen eine neue Debatte über das Verhältnis von privatem und öffentlichem Wohlstand. Was sind uns die öffentlichen Güter wert? Gegen das Mantra der Steuersenkung muss ins Feld geführt werden, dass sich unsere Gesellschaft ein weiteres Ausbluten staatlicher Infrastruktur und soziokultureller Dienstleistungen nicht leisten kann, wenn sie ihren sozialen Zusammenhalt und ihre wirtschaftliche Zukunft nicht gefährden will.
DOCH DAS PROBLEM LIEGT NICHT NUR auf der Seite der Staatseinnahmen. Auch bei den Ausgaben gibt es dringenden Korrekturbedarf. Das gilt nicht nur für das Beharrungsvermögen bürokratischer Strukturen im öffentlichen Dienst - das Verhältnis zwischen Sozialtransfers und Investitionen in die öffentlichen Güter ist aus dem Ruder gelaufen. Das gilt insbesondere für die überproportional gestiegenen Ausgaben für Renten und Pensionen. Hier muss es einen Paradigmenwechsel geben. Wir brauchen klare Prioritäten für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und für die elementaren soziokulturellen Dienste auch in der öffentlichen Ausgabenpolitik.