Eröffnungsrede Hochschule/Zukunft 2030

Lesedauer: 7 Minuten

Die Hochschulkonferenz

19. März 2008

Leipzig, 30.Oktober 2006
Eröffnung Ralf Fücks,Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung 

Hochschulen gehören zu den zentralen Institutionen moderner Gesellschaften.
Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft steigen ihre Bedeutung und zugleich die Ansprüche, die an sie gestellt werden. Hochschulen sollen als Innovationsmotor dienen und so die Grundlage für ökonomische Dynamik legen, sie sollen soziale Inklusion durch Zugänge zum Arbeitsmarkt herstellen, als Zentren regionaler Entwicklung dienen und als Forschungseinrichtungen Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen wie den Klimawandel, die Zukunft der Arbeit und globale Sicherheit finden.

Jüngst hat der Wissenschaftsrat erneut die wachsende Bedeutung der Hochschulen in einer alternden Gesellschaft betont. Anders als man vielleicht glauben möchte, nimmt der Bedarf an Hochschulbildung bei einem Rückgang der Geburtenraten nicht ab. Im Gegenteil: Nur durch eine massive Erhöhung der Akademikerquote könne die sozioökonomische Grundlage für Gesellschaft gelegt werden, in der weniger junge einer steigenden Zahl älterer Bürger gegenüberstehen.

Die Perspektive des Wissenschaftsrates ist einfach. Schon heute müssen sich die Hochschulen und die Hochschulpolitik auf zukünftige Entwicklungen einstellen.
Und im Falle der demografischen Entwicklung sind diese Zukunftstrends bereits gut absehbar. Die Studierenden des Jahres 2025 sind schon geboren. Die Studierenden bis 2015 stehen heute und morgen bereits vor den Toren unserer Hochschulen.
Daran, dass die Politik von der steigenden Nachfrage nach hochschulischer Bildung heute so überrascht wird, kann man unschwer erkennen, dass eine Orientierung auf die Zukunft, selbst dort, wo belastbare demografische Prognosen vorliegen, äußerst schwer fällt. Was stattdessen vorherrscht, sind Tagesaktualität, fragmentierte Reformbaustellen, Finanznot und verteilte Zuständigkeiten.

Das Projekt hochschule@zukunft 2030 wollte eine grundlegend andere Perspektive einnehmen. Es besteht im Kern aus einer Delphistudie und der anschließenden Konferenz, die ich heute eröffne. Ziel des Projektes ist es, die Weichen heute so zu stellen, dass die Hochschulen in 25 Jahren den Herausforderungen der Globalisierung, des demografischen und sozialen Wandels, neuer Forschungsfragen und veränderter Ansprüche an die Lehre gewachsen sind.

Im Rahmen einer zweistufigen Delphibefragung wurden zunächst bundesweit Expertinnen und Experten von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Institut Futur der Freien Universität Berlin nach ihren Einschätzungen zur Zukunft des Hochschulsystems befragt.

Besonderes Augenmerk galt dabei den Bereichen, in denen Erwartungen und Wünsche an die Zukunft stark auseinander fallen. Denn hier scheint besonderer Reformbedarf auf. Hier ist eine aktive Gestaltung der Zukunft gewünscht. Um diese besonderen Reformbereiche zu identifizieren, fragte das Delphi nicht nur nach erwarteten Entwicklungen, sondern explizit auch nach den Wünschen der Expertinnen und Experten an die Zukunft.

Der Delphistudie hochschule@zukunft 2030 geht es nicht um die Identifizierung der wahrscheinlichsten Zukunft unserer Hochschulen, sondern darum, mögliche Zukünfte zu benennen, zur Diskussion zu stellen und so in die Debatten um die Reform der Hochschulen eine Zukunftsperspektive einzufügen. Sie versteht sich als Einladung zum Diskurs, zu Kritik und zu Aufbruch.

Zukunft und Zukunftsforschung sind nie voraussetzungslos.In den Vorstellungen und Wünschen der Experten der Delphistudie spiegeln sich immer die jetzigen Vorstellungen, Handlungsoptionen und Erwartungen wider. Das ist im Kontext der Ziele,die mit dem Projekt hochschule@zukunft 2030 verbunden sind, keinesfalls ein Nachteil. Denn dabei geht es genau um die Interventionsfelder, die heute bearbeitet werden sollten. Schließlich hängt die Zukunft nicht zuletzt von den Entscheidungen ab, die heute getroffen werden.

EUROPÄISIERUNG

Lassen Sie mich diesen Gedanken an zwei Beispielen erläutern. An dem quälenden Hickhack um den Hochschulpakt, der die Arbeitsfähigkeit unserer Hochschulen und die Bildungsrechte junger Menschen für die nächsten 10 Jahre sichern soll,lässt sich ablesen,dass die Länder ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung nicht gerecht werden, vielleicht auch nicht gerecht werden können. Der gerade ausgerufene Wettbewerbsföderalismus entpuppt sich einstweilen als blanker Länderegoismus,der lieber in Kauf nimmt,dass in etlichen Ländern Studienkapazitäten oberhalb des Landesbedarfs abgebaut werden, als in
gesamtstaatliche Fonds zu investieren, die positive Anreize für den dringend benötigten Ausbau unserer Hochschulen setzen könnten. So steht zu befürchten, dass fehlende Studienplätze einen Verdrängungswettbewerb nach unten in Gang setzen werden, den Haupt- und Realschüler bezahlen müssen. Und auch der Wettbewerb, in den unsere Hochschulen doch entlassen werden sollen, wird unmöglich gemacht. Denn hierzu brauchen sie faire Konkurrenzbedingungen, die von den Ländern verhandelt und vereinbart werden müssen – und nicht die Konkurrenz der Länder.Der Horizont der Wissenschaft und der Hochschulbildung ist nicht auf Länder beschränkt, er ist europäisch und global. Das ist der Grund,warum wir die Hochschulentwicklung auf dieser Konferenz aus einer europäischen Perspektive betrachten wollen.Wir müssen die Beschränktheit der deutschen Hochschulpolitik durch Europäisierung überwinden!

EXZELLENZINITIATIVE/ZUKUNFT GESTALTEN

Der Exzellenzwettbewerb von Bund und Ländern, dessen erste Runde vor 2 Wochen entschieden wurde, hat viel in Bewegung gebracht. Hochschulen haben Stärken und Schwächen analysiert,Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die bisher ihren Disziplinen und Instituten verpflichtet waren,haben miteinander kooperiert und Verantwortung für die Zukunft ihrer Hochschule als Institution übernommen. Natürlich hat der Wettbewerb auch viel Kritik erfahren. Die Aufforderung zur Bildung von interdisziplinären Forschungsverbünden und Netzwerken sei auf die Natur- und Ingenieurwissenschaften zugeschnitten und habe die Sozial- und Geisteswissenschaften benachteiligt. Der Wettbewerb habe die „alte Universität“ und ihre kritische gesellschaftliche Funktion beerdigt. Denn „Kritik in Clustern“ – das gehe nicht. Der „homo sapiens“ werde exiliert und durch den „homo faber“ ersetzt, von dem sich Politik und Wirtschaft anwendungsbezogenes Wissen und Technologietransfer erwarten. Ähnlich skeptische Töne schlagen auch in ihrer Mehrheit die Experten und Expertinnen unserer Delphibefragung an, wenn sie erwarten, dass die Hochschulentwicklung der Zukunft von Aufträgen aus der Wirtschaft und von Marktorientierung bestimmt sein werde.
Sie erwarten, dass unsere Hochschulen sich nur wenig an gesellschaftlichen Problemen orientieren und kaum mehr ihre kritische Funktion ausüben werden, halten diese Funktion und die Problemorientierung jedoch in höchstem Maße für wünschenswert. Sehr klar zeichnet sich hier die Notwendigkeit einer Debatte über die Leitbilder unserer Hochschulen ab, die wir heute führen müssen.

Dass wir über eine Vielzahl von Leitbildern und nicht nur über ein einziges diskutieren müssen, liegt in Folge der Differenzierung nahe, die in Übereinstimmung mit Empfehlungen des Wissenschaftsrats durch den Exzellenzwettbewerb eingeleitet wurde.Was erwarten wir von unseren Eliteuniversitäten? Doch vor allem dass sie ihre Fähigkeiten zur Erschließung zusätzlicher Ressourcen sinnvoll – also auch im Sinne der Orientierung an gesellschaftlichen Problemen und an Kritik - einsetzen. Die spannende Frage ist,ob diese zusätzlichen Ressourcen den anwendungs- und marktnahen Bereichen zugute kommen, die sie ingeworben haben, oder ob die Universitätsleitungen daraus Ressourcen für zusätzliche strategische Initiativen erwirtschaften. Bleibt es bei der Reinvestition, entstehen Abhängigkeiten.
Kommt es zur Redistribution und in ihrer Folge zu institutionell selbst erwirtschafteten Forschungsinitiativen, stärkt das trotz aller Marktnähe die Autonomie, d.h. ihre Fähigkeit zur Setzung von Maßstäben und zur Gestaltung der Zukunft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich US-amerikanische TOP 50 Universitäten, die sich am Leitbild „leadership“ orientieren, sich am wenigsten als „market driven“ oder als „entrepreneurial“ definieren.
Sie wissen den Markt für die Erfüllung ihrer Aufgabe zu nutzen,und die sehen sie in der Gestaltung von Zukunft.

Mit den Stichworten „Europäisierung“ und „Zukunft gestalten“ ist der Rahmen dieser Konferenz abgesteckt, die in den Workshops den wichtigsten Fragen der Hochschulentwicklung nachgehen wird:Was treibt die Wissenschaftsentwikklung voran? Wie sollte Governance für die Hochschulen der Zukunft aussehen?
Wie sieht eine ausdifferenzierte und zugleich vereinheitlichte europäische Hochschullandschaft aus? Wie studiert es sich in Zukunft mit Studierenden aus aller Welt und altersbedingt sehr unterschiedlichen Erfahrungen? Wie schaffen wir neue Zugangsmöglichkeiten zu den Hochschulen jenseits des heute üblichen Berechtigungswesens?

Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir für alle diese Fragen exzellente Referenten und Referentinnen und Moderatoren aus Politik und Hochschulforschung, aus dem Bereich der Hochschulleitungen, hochschulnaher Transferunternehmen und der immer wichtiger werdenden Stiftungen gewonnen haben. Durch ihre Mitwirkung haben sie diese Konferenz zu einem beachteten Ereignis gemacht,an das die bildungs- und hochschulpolitische Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung im kommenden Jahr mit Stolz und Freude anknüpfen wird.

Dank: Bevor ich das Wort an Professor Häuser übergebe,der sich als Rektor der Universität Leipzig freundlicherweise zu einem Grußwort bereiterklärt hat, möchte ich noch Professor Gerd de Haan und Jan Gregersen herzlich für die gute Zusammenarbeit bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Delphi-Befragung danken. Danken möchte ich schließlich Dr. Andreas Poltermann und Stephan Ertner,die mit dieser Konferenz einer langen Reihe wichtiger hochschulpolitischer Initiativen und Tagungen einen weiteren Meilenstein hinzufügen, und den Kolleginnen unserer Öffentlichkeitsarbeit und unseres Tagungsbüros, die dafür gesorgt haben, dass Sie von dieser Konferenz erfahren haben und hier heute eine gut organisierte Konferenz erleben können.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.