„Wozu Gott?“

Lesedauer: 5 Minuten

Auftaktveranstaltung der Reihe "Religion und Politik", 14.Mai 2007

19. März 2008

Eröffnungsrede von Ralf Fücks, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Weshalb eine neue Reihe der Heinrich Böll Stiftung mit dem Obertitel „Religion und Politik“? Anlässe für ein erneutes Nachdenken über Religion und ihre politische Ausstrahlung gab es in den letzten Jahren reichlich. Religion, die aus westeuropäischer Perspektive schlussendlich zur Privatangelegenheit geworden war, ist mit Macht in die öffentliche Arena zurückgekehrt. Erinnert sei an den Aufstieg des militanten Islamismus zu einem weltpolitischen Faktor, der sich mit dem 11. September 2001 ins öffentliche Bewusstsein einbrannte; an den Kopftuchstreit und den Furor über die Mohammed-Karikaturen; oder an die Etablierung eines Runden Tischs mit den islamischen Verbänden durch Innenminister Schäuble – es war vor allem der Islam, der uns ins Bewusstsein rief, dass der abgekühlte Säkularismus europäischer Prägung, die routinierte Koexistenz zwischen säkularem Staat und pazifizierter Religion, global gesehen eher die Ausnahme als die Regel darstellt.

Aber auch auf der christlichen Seite gab und gibt es neue Tendenzen, die der Religion eine – für viele überraschende – Rückkehr in die Öffentlichkeit beschert haben. Der euphorische  katholische Weltjugendtag in Köln, der Hype um den deutschen Papst, die Spekulationen  um eine neue Religiosität haben die Frage aufgeworfen, ob wir uns womöglich in ein neues, post-säkulares Zeitalter bewegen, wie Habermas mutmaßt, der  mit seiner berühmten Friedenspreisrede von 2001 selbst die Abkehr vom „harten“ Säkularismus der Moderne vollzogen hat, der Religion in schroffen Gegensatz zu Aufklärung und Selbstbestimmung stellte. Tatsächlich hat sich die Demokratiebewegung in Westeuropa – anders als in den USA - seit dem 18. Jahrhundert in kritischer Opposition zu den kirchlichen Institutionen, ja zur Religion selbst entwickelt: die Einheit von Thron und Altar musste gesprengt werden, um der demokratischen Republik den Weg zu bahnen, und von links bis liberal galten nicht nur der kirchliche Machtanspruch, sondern die Religion selbst als Ballast für die freie Selbstbestimmung mündiger Menschen.

Alle mächtigen Unter- und Oberströmungen der Moderne schienen zusammenzulaufen in der Marginalisierung der Religion und der Säkularisierung der Gesellschaft: vom kapitalistischen Konsumismus und dem Credo der Selbstverwirklichung bis zum staatlich verordneten Atheismus im Machtbereich der Sowjetunion, und nirgendwo schien diese Kombination so erfolgreich wie in Deutschland: in Ostdeutschland sind religiöse Lebensformen und Traditionen weitgehend gelöscht, und im Westen bluten die Kirchen nicht nur zahlenmäßig  aus; sie haben auch ihre Prägekraft für das Alltagsleben ihrer Mitglieder weitgehend verloren. Im öffentlichen Leben war das Christentum trotz aller Reden von den christlichen Wurzeln unserer Kultur nur noch als eine Art Hintergrundrauschen präsent.

Auch die Kirchen selbst, jedenfalls die evangelischen, sind von der Säkularisierung erfasst: dass eine Bischöfin sich scheiden lässt, ist irgendwie normal; Kirchenobere –vorneweg der Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands- reden wie Politiker, und wer sich ab und an eine Predigt anhört, spürt kaum einen Hauch von Transzendenz. Man fühlt sich eher an eine Art  gut gemeinten  Sozialkundeunterricht oder eine Versammlung im Eine-Welt-Laden erinnert. Nur noch die Kirchenmusik, allen voran die des unvergänglichen Johann Sebastian Bach, vermittelt eine Idee von dem, was Religion sein könnte, und auch die ist ja im Jugendgottesdienst schon vielfach der Sucht geopfert worden, „modern“ zu erscheinen und mit dem Zeitgeist zu gehen.

Inzwischen gibt es neue Töne und Tendenzen zu vernehmen. Die Fundierung der Menschenwürde und Menschenrechte im Christentum wird neu beleuchtet, die gemeinschaftsstiftende Funktion der Religion rückt wieder ins Blickfeld, und unter Jugendlichen wird eine neue Offenheit für religiöse Erfahrungen beobachtet, die das Selbst in einen größeren Sinnzusammenhang einbetten und spirituelle Dimensionen eröffnen. 
Auch die Politik scheint ein neues Interesse an der Religion zu entdecken. Exemplarisch dafür scheint mir eine Publikation der verehrten Kollegen von der Politischen Akademie (sic) der Friedrich Ebert Stiftung mit dem Titel „Braucht Deutschland Religion?“. Es geht dort „um Aufgaben und Funktion von Religion in der pluralistischen Gesellschaft“ und um die Nützlichkeit von Religionsgemeinschaften als „Sinn- und Wertelieferanten“ für den säkularen Staat. Exemplarisch ist daran zweierlei: erstens das gefühlte Defizit an „Sinn und Werten“ unserer geistigen und politischen Gegenwart; und zweitens der unverhüllt funktionale, instrumentelle Zugriff auf Religion. Genau das verfehlt aber das „Eigentliche“ jeder Religion, nämlich den Glauben, der einen spezifischen Zugang zur Transzendenz für jene ermöglicht, die glauben wollen. Man fühlt sich an die alte, überwunden geglaubte Allianz von Thron und Altar erinnert, diesmal als Bündnis zwischen säkularem Staat und säkularisierter Kirche, die das liefern soll, was die Demokratie aus sich heraus nicht (mehr) liefern kann: Gemeinschaftsbildung und Orientierung.

Unsere Frage heute Abend ist bewusst eine andere: Wozu Gott? Es geht also um die Möglichkeit, um die Begründung und den Gehalt von Religion über die ihr zugedachten Funktionen für Staat und Gesellschaft hinaus. Ich freue mich sehr, dass wir für diese Frage eine intellektuelle Trias gewinnen konnten, die einen ebenso ernsthaften wie funkelnden Disput verspricht. Hans Joas, der mit seinen Büchern „Die Entstehung der Werte“ und „Braucht der Mensch Religion?“ Marksteine für die Diskussion um die Essenz des Religiösen gesetzt hat, wird den Abend einleiten. Ihm antworten werden Herbert Schnädelbach als Verfechter einer rationalen Kritik des Christentums und Rolf Schieder, der als Theologe die Kirchen nicht auf ihre Sozialfunktion beschränkt sehen möchte.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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