Bericht: „Chaos is just a special form of order.“

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Auf dem Weltkongress der Grünen diskutierte die Heinrich-Böll-Stiftung Wege für eine nachhaltige Entwicklung der Städte

4. Mai 2008

Von Michael Alvarez und Stephan Ertner

In Sao Paulo, der drittgrößten Stadt des Globus, begann am ersten Mai 2008 der zweite Weltkongress grüner Parteien und Bewegungen. 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 80 Ländern aller Kontinente waren in die brasilianische Megacity gekommen, um an vier Tagen gemeinsame Strategien vor allem im Kampf gegen den Klimawandel zu beraten.

Zwei Foren der Heinrich-Böll-Stiftung bildeten vor einer sehr stimmungsvollen Eröffnungszeremonie den inoffiziellen Start der Global Greens Konferenz. Das erste Forum der Stiftung widmete sich der Frage nach einer nachhaltigen Entwicklung der Städte, im zweiten fragte sie Vertreter grüner Parteien verschiedenen Weltregionen nach ihrem Selbstverständnis zwischen Regierungsverantwortung und Opposition.

Die Zukunft liegt in den Städten

Das Meer von Hochhäusern erstreckt sich bis zum Horizont: Soweit der Blick reicht stapeln sich in den tiefen und engen Schluchten zwischen den zum Teil angejahrten, zum Teil hochmodernen Wohn- und Büroburgen die Betonpisten übereinander, auf denen sich Tag für Tag die sechs Millionen Automobile, Busse und Lastwagen Sao Paulos stockend einen Weg in und durch das Zentrum bahnen. Sechs Millionen Fahrzeuge, und mit jedem Tag wächst der Bestand um weitere 400, im Jahr um 146.000: Rund 1500 Quadratkilometer Fläche belegt der Moloch.

21 Millionen Bewohner konzentrieren sich in diesem Ballungsraum, der das wirtschaftliche Herzstück Brasiliens ist. Die Wirtschaftskraft dieser Metropole zog in den letzten Jahren tausende Arbeitssuchende aus den ärmeren Regionen des Landes, insbesondere dem Nordosten, an. Und das obwohl die Stadt ihre Träume nach einem besseren Leben kaum noch erfüllen kann. Rund ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Auf der anderen Seite ist Sao Paulo eine Stadt großen Reichtums. Die Reichsten der Paulistas haben angefangen, ihre gepanzerten Autos gegen Helikopter zu tauschen, um dem innerstädtischen Verkehrschaos zu entfliehen.  Über 200 Landeplätze finden sich in der Stadt. Nur in New York gibt es mehr Hubschrauber.

Sao Paulo steht wie kaum andere Stadt für die rasante Urbanisierung der Welt. Zum ersten Mal leben heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Obwohl die Fläche, die sie auf dem Globus einnehmen, verschwindend gering ist, wird in ihnen ein Großteil der Ressourcen der Erde konsumiert und der weltweiten CO2-Emissionen produziert. In den Städten verdichten sich ökologische und soziale Probleme wie in einem Brennglas. Dennoch ist ihre Attraktivität nahezu ungebrochen. Sie sind nicht alleine wirtschaftliche Zentren und Jobmotoren, sondern darüber hinaus Orte der Kultur, urbaner Toleranz, des Fortschrittsglaubens und der Demokratie.

Der Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung liegt hier, in den urbanen Ballungsräumen: Das verdeutlichte das Forum der Heinrich-Böll-Stiftung. Wie groß die Potenziale, wie groß aber auch die Herausforderungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung insbesondere in den stetig wachsenden Megacities des Südens sind, darauf wies Alfredo Sirkis in seinem Grußwort hin. Der ehemalige Dezernent für Umwelt und Stadtentwicklung in Rio de Janeiro unterstrich die entscheidende Rolle, die Grüne dabei spielen müssen und können. Ansatzpunkte für eine grüne Stadtpolitik zeigte Ralf Fücks in seiner Eröffnungsrede auf.

Die gute Nachricht ist: Städte sind nicht nur die Verursacher globaler und lokaler Umweltzerstörung. Sie sind zugleich die Orte, von denen wir Lösungsansätze erwarten können. Schon immer waren Städte Laboratorien sozialer Innovation, wurden in ihnen zugleich Antworten auf die von ihnen selbst produzierten Verwerfungen entwickelt. Wie das in besonderer Weise für Megacities gilt, fasste der italienisch-brasilianische Architekt Jorge Wilheim in seinem Beitrag „The Spirit of Sao Paulo“ markant zusammen:„Chaos is just a special form of order.“

Der besondere Geist der Stadt wird von seinen Einwohnern getragen: Sao Paulo ist eine Stadt der Migranten. Das war vor allem im 20. Jahrhundert so, als Einwanderer aus der ganzen Welt für ein explosionsartiges Wachstum der Metropole sorgten. Vor allem war Sao Paulo das Ziel brasilianischer Migration. Rund 50 Prozent der heutigen Einwohner wurden nicht in der Stadt geboren. Für Wilheim macht dies die besondere Kultur der Stadt aus: Die Bereitschaft, Wagnisse für die Aussicht auf ein besseres Leben einzugehen, prägt die Biografien und Familiengeschichten vieler Paulistas. Der brasilianische Optimismus und Pragmatismus, der daraus resultiert, kann und muss laut Wilheim für eine nachhaltige Entwicklung der Städte genutzt werden.    

Dass eine gehörige Portion Optimismus erforderlich ist, verdeutlichte Daniel Biau von der UN-Organisation HABITAT in seinem Beitrag. Städte sind in besonderem Maße von den Folgen des Klimawandels betroffen: Überschwemmungen, Flutkatastrophen, Wasserknappheit und die Ausbreitung von Krankheiten legen schon heute Zeugnis davon ab. Biau skizzierte die wichtigsten Strategien gegen den Klimawandel. Zu ihnen gehört eine Politik, die die stetige räumliche Ausdehnung der Städte eindämmt. Energie muss darüber hinaus sauberer erzeugt und effizienter genutzt werden. 

Angesichts des schon spürbaren Klimawandels reichen diese so genannten Vermeidungsstrategien heute bereits nicht mehr aus. Laut Biau müssen wir uns darüber hinaus mit der Frage beschäftigen, wie wir Städte gegen die Folgen der Klimaveränderung schützen. Die notwendigen Adaptionsstrategien reichen von der Errichtung von Dämmen gegen den Anstieg der Meere, von denen zahlreiche Küstenstädte akut gefährdet sind bis hin zur graduellen Verlagerung ganzer Siedlungsgebiete in sicherere Regionen.

Auf Grundlage des Forums verabschiedete die Global Greens Versammlung eine Deklaration für Nachhaltige Entwicklung.

Grüne global: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Ein zweites Forum der Heinrich-Böll-Stiftung mit Teilnehmern aus Schweden, Belgien, Chile, Australien, Kenia und Deutschland fragte nach dem Selbstverständnis grüner Parteien und Bewegungen. Was verbindet Grüne weltweit, gibt es eine gemeinsame Programmatik? Wo verorten sich grüne Parteien im Spannungsfeld zwischen Regierungsverantwortung und Opposition? Angesichts der Vielfalt der bei den Global Greens vertretenen Parteien aus aller Welt sind diese alles andere als eindeutig zu beantwortende Fragen. Bei aller Verschiedenheit grüner Parteien gibt es doch ein weitgehend gemeinsames Fundament von Werten und Motiven. Die jeweilige programmatische Ausrichtung und politische Strategie differiert allerdings stark, abhängig von der politischen Kultur der einzelnen Länder sowie den unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten und Entwicklungsstufen der grünen Bewegung. Besonderes Augenmerk richtete das Forum auf die Frage, welche Konsequenzen es für Parteien hat, wenn sie aus der Opposition in Regierungsverantwortung kommen: Diese Frage ist bisher vor allem für die europäischen Grünen relevant. Aber auch in anderen Ländern wie etwa in Brasilien verfügen Grüne inzwischen über Regierungserfahrung auf nationaler oder regionaler Ebene.

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