Geschlecht macht (k)einen Unterschied? Ein Ausblick auf den bündnisgrünen Wahlkampf im Jahr 2009

Lesedauer: 6 Minuten

4. Juli 2008

Welche geschlechterpolitischen Themen und Fragen haben gegenwärtig Bedeutung für die Programmatik der Grünen? Gibt es bereits Vorstellungen darüber, welche im Wahlkampf 2009 transportiert werden sollen? Anhand welcher Kriterien wird darüber entschieden, welche relevant sind?

Im Zentrum steht die eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Das ist schon länger unser Thema, mit dem wir uns konsequent beschäftigen, und das wir in den allen Politikfeldern durchbuchstabieren müssen. Das gilt auch für die Themen die im Wahlkampf gesetzt werden (ob von uns oder anderen). Wir gehen davon aus, dass es vor allem um die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik gehen wird. Beides sind Felder, in denen die Geschlechterrelevanz sozusagen ins Auge springt. Wir haben uns mit frauenpolitischen Kriterien für die Zukunft der sozialen Sicherung sehr intensiv und erfolgreich in die Grüne Debatte um Grundsicherung und Grundeinkommen eingebracht. Diese Zielsetzung, weg von der Frau als abgeleitetem Wesen, hin zu einer wirklich eigenständigen Existenzsicherung- unabhängig vom Familienstand – ist eines unser Alleinstellungsmerkmale in der Politik und somit auch Kriterium für unsere Politik.

Das wird natürlich alles auf den Wahlprogrammparteitagen noch mal thematisiert werden. Die Schwerpunktsetzung der Frauenpolitik hat der Bundesfrauenrat aber bereits gesetzt.

Wird dies für die Europa- und Bundestagswahlen unterschiedlich erörtert?

Nein. Das Thema und das Anliegen ist das gleiche. Vielleicht gibt es eine Verschiebung der Handlungsebene. So wird es eher das Thema der effektiven Durchsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG, auch: Antidiskriminierungsgesetz) sein, die Dienstleistungsrichtlinie oder das ArbeitnehmerInnenentsendegesetz, die ja sehr starke geschlechterrelevante Auswirkungen haben werden. Auch werden wir problematisieren, dass die europäische Ebene nicht mehr die treibende Kraft für die Gleichstellungspolitik ist, die sie schon war. Als Beispiel ist hier die Ratspräsidentschaft zu nennen.

Welche Gewichtung hat Frauen- und Geschlechterpolitik derzeit bei Bündnis 90/ Die Grünen?

Es gibt einige Beschlüsse und Aktionen, in denen Geschlechterpolitik vorrangig und zentral thematisiert wurde und Akzeptanz sowie breite Unterstützung erfahren hat. Dies gilt beispielsweise für Anträge auf der Bundesdelegiertenkonferenz und für die Themen Geschlechtergerechte Sprache, Frauen und Gewalt. Natürlich können wir uns immer noch mehr vorstellen und es gibt immer noch blinde Flecken. Insgesamt ist das Thema aber nicht „auf der Abschussliste“ oder von Ablehnung betroffen. Im Gegenteil: Es gibt Signale aus der Partei und der Fraktion, Frauen- und Geschlechterpolitik wieder stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Und auch Kontroversen um Frauen-/ Genderpolitik und Feminismus machen ein Debattenbedürfnis und Interesse in der Partei zu diesem Themenbereich deutlich. Erfahrungen wie die Wahl in Hessen und mit der SPD-Kandidatin Ypsilanti sowie deren offensive Vermarktung als Frau haben deutlich gemacht, dass wir dringend unser Potenzial der weiblichen WählerInnen ausschöpfen und an uns binden müssen, auch über die Aufstellung und Unterstützung grüner Frauen an der Spitze, wenn wir sie nicht an andere Parteien verlieren wollen.

Dazu gehört weiterhin die zielgerechte Ansprache und eine Themensetzung, die die Wählerinnen anspricht. Hierfür erfordert es Fingerspitzengefühl und Sensibilität sowie Glaubwürdigkeit, um das im Wahlkampf erfolgreich umsetzen zu können. Wie genau das passieren kann und soll, wird in der nächsten Zeit entschieden werden.

Gibt es konkrete Strategien, wie sich die Grünen in diesem Bereich profilieren wollen im Fünfparteiensystem? Wird dies als notwendig angesehen?

Nein. Ich meine nicht, dass wir deshalb eine Neuaufstellung brauchen. Von der Leyen thematisiert Frauen nur in Bezug auf Familie – was ist daran neu? Für Konservative ist vielleicht neu, dass Mütter auch einen Beruf ausüben dürfen. Das ist aber weit von einer tatsächlichen und selbstbestimmten Eigenständigkeit von Frauen entfernt. Strukturelle Hindernisse außerhalb der Vereinbarkeitsfrage sind nicht annähernd Frau von der Leyens Thema, ebenso wenig wie Gleichstellungspolitik außerhalb der Familienpolitik.

Dennoch haben Merkel und von der Leyen die Republik verändert, allein durch ihr Agieren auf der politischen Bühne. Das ist sehr zu begrüßen, aber der CDU fehlt der weibliche Unterbau.

Die Linkspartei ist in Fragen der Geschlechterpolitik eigentlich keine ernstzunehmende Kraft: rein männlich besetzte Führungsgremien; (junge) Frauen scheinen überhaupt nicht hoch oder in relevante Positionen zu kommen.

Die Debatte um Frau Müller und ihr Fremdbetreuungsfeldzug wurden nur sehr langsam und schwer eingefangen. Sie spricht zwar nicht für die Frauenpolitik der Partei, aber es scheint schwer, sie auf programmatische Festlegungen einzuschwören – als Ehefrau von Lafontaine (- auch wieder ein abgeleitetes Wesen?)

Spielt Frauen- und Geschlechterpolitik bei der Aufstellung von Kandidatinnen eine Rolle? Wenn ja, inwiefern?

Ich verstehe die Frage nicht. Frauenpolitik und Geschlechtergerechtigkeit sind immer latente Themen bei der Aufstellung, da es die Quote gibt, über die man sich freuen, ärgern und an der man sich reiben kann. Frauen- und Geschlechterpolitik ist für Kandidatinnen kein Hinderungsgrund, Karriere zu machen, aber sicherlich auch nicht der Karriereanker!

Gibt es Vorstellungen, was die Grünen einer Boulevardisierung und Polemisierung von Geschlechterpolitik alla Dornscher F-Klasse und umtriebiger Alphamädchen entgegensetzen wollen?

Wir wollen dem nichts entgegensetzen, sondern vielmehr das Potenzial, das sich darin mit Blick auf die aktuelle Thematisierung von Frauenpolitik, Selbstverständnis und Geschlechtergerechtigkeit verbirgt, nutzen. Die Boulevardisierung kann eine Antwort sein auf die einerseits abstrakte und theoretische Debatte um Gender, Gendermainstreaming usw. und auf eine eher technokratisch daherkommende Politik.

Der (anzuerkennende) Verdienst von Thea Dorn und den Alphamädchen ist es, das Thema Feminismus wieder in die gesellschaftliche Debatte eingebracht zu haben und damit auch einen Kontrapunkt zu Schirrmacher und Herrmann gesetzt zu haben. Durch lesbare Texte und Artikel, die durchaus provozieren, konnte diese Debatte in Gang kommen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir uns nicht in ein Gegeneinander hineinmanövrieren lassen. Es geht nicht um alte Feministinnen gegen neuen Feminismus, es geht darum, feministische Forderungen nach einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Politik und Gesellschaft auf die heutigen Begebenheiten und in heutige Realitäten zu übertragen.

Wir müssen auch differenzieren zwischen Thea Dorn und den Alphamädchen, die ganz klar auch politisch denken und handeln und beispielsweise den neuen deutschen Mädchen, die sich in Vorwürfen ergehen, ohne ihre Handlungsoptionen oder Lösungen auch nur zu thematisieren.

Dennoch: Wir Grüne sind es gewohnt, diese Debatten zu führen. Auch unsere Quote muss immer wieder aufs Neue vermittelt und diskutiert werden – in den allermeisten Fällen wird sie auch erfolgreich verteidigt. Weil sie richtig und nach wie vor durchschlagend erfolgreich ist.

Astrid Rothe-Beinlich ist frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen.
Das Interview führte Gitti Hentschel, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zum Warenkorb hinzugefügt: