Stiftung Wissenschaft und Politik
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Auszug
Problemstellung und Empfehlungen
Zur Abwehr der Bedrohungen, die von schwachen, scheiternden und gescheiterten Staaten für die Sicherheit und den way of life des Westens ausgehen, beteiligt sich Deutschland weltweit an Nation-Building-Unterstützungsoperationen. Deutschland und seine Partner sehen sich bei dieser Aufgabe vor allem zwei Problemen gegenüber: der Knappheit an personellen, finanziellen und politisch-legitimatorischen Ressourcen und dem Mangel an Konzepten und Instrumenten, die zivile und militärische Aufgaben so effizient wie möglich bewältigen helfen. Diese Herausforderungen haben sich bei der Stabilisierung und dem Wiederaufbau Afghanistans in besonderem Maße gestellt. Um das Potential der zur Verfügung stehenden Soldaten, Diplomaten, zivilen Experten und finanziellen Mittel zu optimieren, wird am Hindukusch erstmals das von den USA entwickelte Instrument der „Provincial Re-construction Teams" (PRTs) eingesetzt. Das PRT-Netzwerk kommt im Vergleich zu „klassischen" Peace- und Nation-Building-Einsätzen mit einer relativ geringen Zahl von Militärkräften, Wiederaufbauexperten und finanziellen Ressourcen aus.
Deutschland hat sich mit der Übernahme von zwei Teams und des Regionalkommandos im Norden Afghanistans an dem PRT-Konzept beteiligt, dabei aber erreicht, daß diese PRTs unter einem Stabilisierungs- und Wiederaufbau-Unterstützungsmandat der VN und militärisch unter NATO-Kommando stehen. Die deutsch-geführten PRTs zeichnen sich zudem dadurch aus, daß der zivilen und der militärischen Komponente gleiche Bedeutung eingeräumt wird.
Die vorliegende Studie untersucht Struktur, Aufgaben und Arbeitsweise der deutschen PRTs, setzt sich mit den Hauptkritikpunkten an Konzept und Praxis auseinander und bietet einen Ausblick auf die Leistungsfähigkeit der PRT-Strategie und ihre Übertragbarkeit auf künftige Nation-Building-Operationen und Hilfsaktionen zur Bewältigung großer Naturkatastrophen. Sie kommt dabei zu folgenden Empfehlungen an die deutsche und westliche Politik:
* Die PRT-Struktur sollte den integrierten zivil-mili¬tärischen Ansatz widerspiegeln. Wenn auch die militärische Komponente in allen PRT-Varianten rein quantitativ immer die weitaus größere sein wird, so sollte die zivile doch mit einer hinreichenden Zahl von Diplomaten und Regierungsexperten ausgestattet sein, um ihre vielfältigen Aufgaben wahrnehmen zu können. Politische Entscheidungen, die die PRTs betreffen (Konzept, Struktur, Standorte, Aufgaben, Verhältnis zu OEF), sollten nicht allein der Bundeswehr überlassen bleiben, sondern vom Auswärtigen Amt, das den zivilen Teil führt, unter Beteiligung weiterer ziviler Ressorts aktiv mitgestaltet werden.
* Die PRTs sollten sich bei ihrer Arbeit stets von den Grundsätzen der Subsidiarität und Selbstbeschränkung leiten lassen, und nachfrage-, nicht angebotsorientiert agieren. Innerhalb des „Camps" staatlicher- bzw. halb-staatlicher deutscher Regierungsorganisationen sollten entwicklungspolitische und militärische Ansätze zu einer Strategie gebündelt werden: Diese Verknüpfung ist das Herzstück des integrierten Konzepts deutscher PRTs.
* Zumindest um eine mittelbare Beteiligung am Anti-Drogen-Kampf werden die PRTs nicht vorbeikommen. Eine weiträumige Absicherung der deutschen Teams durch KSK-Einheiten, diesmal aber unter ISAF-Mandat, sollte geprüft werden. Es muß aber sicher sein, daß ein solcher Einsatz die Sicherheit der PRTs wirklich erhöht und nicht am Ende verringert, weil er von der Bevölkerung abgelehnt wird.
* Es wäre zu erwägen, ob die Grundidee des deutschen PRT-Ansatzes - das konzeptionell-operative Zusammenwirken ziviler und militärischer Experten in instabilen Krisengebieten - über den Einsatz am Hindukusch hinaus Anwendung finden könnte. Dabei sind die verschiedensten Varianten denkbar: PRTs könnten etwa in Situationen nach einem bewaffneten Konflikt, aber zum Beispiel auch nach einer großen humanitären Katastrophe zum Einsatz kommen, in der die diplomatischen und zivilen Experten auf unterstützende, spezifisch militärisch-logistische Fähigkeiten angewiesen sind. Der Bedarf an solchen „weltinnenpolitisch" motivierten humanitären und Wiederaufbau-Missionen wird wachsen. Die potentiellen Einsatzgebiete sind gerade dadurch charakterisiert, daß ein symbiotisches Zusammenwirken ziviler und militärischer Spezialisten den höchsten Grad an Wirkung für die Betroffenen erzielt.
* Die Beschränktheit von Nation-Building-Ressourcen und die berechtigten nationalen und internationalen Erwartungen an ein optimales Stabilisierungs- und Wiederaufbauergebnis zwingen zu einem Höchstmaß an Kohärenz des Engagements der beteiligten internationalen Akteure. Die Bundesregierung sollte daher darauf hinwirken, daß gemeinsame Kriterien für die Ziele und die Durchführung von internationalen Nation-Building-Einsätzen erarbeitet werden. Angesichts der Fülle von Modellen, Zielen und Projekten gilt das insbesondere auch für die PRTs in Afghanistan. In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob etwa eine „Joint Transatlantic Nation-Building Task Force" aufgebaut werden sollte, die die wichtigsten internationalen Nation-Building-Unterstützer, die ganz überwiegend zum Westen gehören, zur Fortentwicklung von Konzepten und Instrumenten zusammenbringt. Eine Untergruppe könnte sich mit den PRTs beschäftigen.
* Die Verbesserung der Kohärenz von Nation-Building-Maßnahmen beginnt auf nationaler Ebene, wo eine Vielzahl ministerieller und halbstaatlicher Akteure koordiniert werden müssen. Der deutsche PRT-Ansatz sollte sich künftig bereits auf die Vorbereitungen eines gemeinsamen Einsatzes erstrecken, also eine integrierte Konzepterarbeitung und ein integriertes einsatzspezifisches »Training« einschließen, an dem alle beteiligten Ressorts und nachgeordneten Bundeseinrichtungen teilnehmen. Vor Ort sollte nach Möglichkeit eine gemeinsame Liegenschaft mit einer gemeinsamen Einrichtung zur „Kundenbetreuung" bezogen werden. Die Stabilisierungs- und Nation-Building-Erfahrungen der integrierten PRTs sollen in einer integrierten „lessons-learned"-Datenbank dokumentiert werden.
Zur Person
Michael Schmunk, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, hat diese Studie während seiner Zeit als Diplomat in Residence bei der SWP 2004/2005 erarbeitet. Er war von 2002 bis 2004 als Sonderbotschafter für die Koordinierung der Afghanistan-Politik zuständig. Von 2000 bis 2002 hat er die deutsche diplomatische Vertretung im Kosovo geleitet.