Nur allzu gerne reiben Kritiker dem brasilianischen Präsidenten Inácio Lula da Silva seine ersten Äußerungen über die Finanzkrise unter die Nase: Das alles habe mit Brasilien nichts zu tun, es sei die Krise Bushs und hier werde nur eine harmlose Welle ankommen. Trotz rhetorischer Übertreibungen ganz allein war Lula im letzten Jahr nicht mit seinen optimistischen Äußerungen. Viele sahen in den “emerging economies” die Hoffnungsträger für eine schnelle Rückkehr zum Wachstum. Inzwischen wird in vielen Ländern, darunter auch Brasilien, deutlich, dass eine globale Krise auch die “emerging economies” hart trifft. Dennoch schwanken die Analysen weiterhin zwischen einem vorsichtigen Optimismus und deutlichen Warnungen.
Zu den Optimisten gehört sicherlich der brasilianische Wirtschaftsminister Guido Mantega. Während die Wachstumsvorhersagen der Wirtschaftsinstitute jeden Monat nach unten korrigiert werden und sich bedenklich der Null-Marke nähern (bei dem IWF liegt die Februar-Prognose bei 1,8 Prozent für 2009), hält der Minister auch 2009 ein Wachstum von vier Prozent für möglich: ”Wenn es von der Regierung abhängt, werden wir vier Prozent wachsen. Wir werden wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen. Das ist ein Ziel. Vorraussagen sollen die Wirtschaftswissenschaftler machen.” (jbonline vom 13.2.2009) Solche Aussagen zeugen von einem großen Vertrauen in die Handlungsspielräume der Regierung. Tatsächlich gibt es einige Anhaltspunkte für einen vorsichtigen Optimismus.
Keine Krise der Banken
Anders als in den USA oder Europa stecken die brasilianischen Banken offensichtlich nicht in größeren Schwierigkeiten. Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, sind sie nicht in internationale spekulative Anlagen verwickelt. Dafür gibt es einen recht plausiblen Grund: Aufgrund der nach wie vor verfolgten staatlichen Hochzinspolitik haben die brasilianischen Banken auf dem internen Markt glänzend verdient. Die Leitzinsen lagen Ende 2008 bei über 13 Prozent, die Inflationsrate bei fünf Prozent.
Die Kombination von langen Jahren der Hochinflation und der danach folgenden Hochzinspolitik haben dafür gesorgt, dass der Anteil der Kredite an der brasilianischen Wirtschaft im internationalen Vergleich gering ist (37 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt).
Die brasilianische Regierung muss also keinen notleidenden Banken mit Milliarden unter die Arme greifen, im Gegenteil, die brasilianischen Banken haben auch 2008 beachtlichen Gewinn eingefahren. Zwei der fünf größten brasilianischen Banken gehören dem Staat, nur eine internationale Bank (Santander) findet sich in der Fünfergruppe. Dies erhöht den Spielraum der Regierung, über die gut ausgestatteten staatlichen Banken eine aktive Kreditpolitik zu betreiben.
Dennoch: Krise in Sicht
Dennoch ist von der der globalen Krise in Brasilien wohl mehr angekommen als die harmlose Welle Lulas. Während die Regierung auf Optimismus und ihren Handelspielraum setzt, melden sich Unternehmerverbände und Wirtschaftsinstitute mit düsteren Szenarien zu Wort. In den letzten drei Monaten des Jahres 2008 ist die Industrieproduktion um 19,8 Prozent zurückgegangen. “Die aktuelle Krise ist bereits gravierender als alle Krisen, die die Industrie in den letzten beiden Dekaden durchgemacht hat. Sie hat Brasilien voll getroffen“, versichert Rogerio Souza vom industrienahen Forschungsinstitut IEDI. Ein Indikator für das Ankommen schwieriger Zeiten ist der ebenfalls deutliche Rückgang der Exporte und Importe. Nach den ersten Zahlen des Jahres 2009 sind Importe und Exporte um jeweils über 20 Prozent geschrumpft. Besonders dramatisch war der Einbruch bei den verarbeiteten Produkten.
Es ist also nicht so, dass das große Agrarexportland Brasilien (Soja, Zucker, Zellulose, Fleisch u.a.) insbesondere durch den Verfall der Preise von commodities getroffen wird. Brasilien wird ganz einfach durch den allgemeinen Rückgang der weltweiten Nachfrage getroffen, handele es sich dabei um Industriegüter oder Agrarprodukte.
Ob das Arsenal der brasilianischen Wirtschaftspolitik gegenüber den aus der Weltkonjunktur herüberschwappenden Wellen ausreichend sein wird, ist trotz der vergleichbar besseren Ausgangsposition als in den USA und Europa immer noch fraglich.
Wirtschaftswachstum bleibt Priorität
Regierungen in aller Welt reagieren anscheinend mit ähnlichen Rezepten auf die Krise. Um fast jeden Preis soll auch in Brasilien ein Einbruch der Automobilproduktion vermieden werden. Der Verkauf von PKWs stieg im Jahr 2008 um 14,15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Als im Oktober die Verkaufszahlen zurückgingen, reagierte die Regierung sofort mit Steuererleichterungen für den Kauf von Neuwagen: mit durchschlagendem Erfolg. Seit Dezember steigt die Zahl der Neuzulassungen wieder.
Die Regierung hat hier in typischer Weise reagiert: Einem besonders symbolträchtigen Sektor werden Sonderkonditionen eingeräumt, die kurzfristig wirken. Dies ist kaum auf den gesamten Industriesektor auszudehnen und wird bei nachhaltigen Kaufkraftverlust auch nicht langfristig funktionieren.
Der entscheidende Trumpf der Regierung ist aber das staatliche Investitionsprogramm zu Beschleunigung des Wachstums (PAC), das bereits nach der Wiederwahl Lulas 2007 aufgelegt wurde. War es bisher dazu gedacht, die im Vergleich zu anderen „emerging economies“ mageren Wachstumsraten anzuheben, wird es jetzt zu einer Antwort auf die Krise.
Anfang Februar erhöhte die Regierung die bis Ende 2010 vorgesehenen Investitionen um etwa 50 Milliarden Euro auf 230 Milliarden. Die Regierung sieht im internationalen Vergleich einen großen Vorteil darin, dass sie kein neues Antikrisenpaket erfinden musste, sondern ein vorhandenes und ausgehandeltes Programm aufstocken konnte. Das PAC sieht insbesondere Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen vor. Dabei finden sich eine Reihe von Projekten, die von Umweltschützern heftig kritisiert werden: Eines der größten Einzelprojekte im Rahmen des PAC ist ein Staudamm am Rio Madeira in Amazonien, für den die staatliche Entwicklungsbank BNDES über zwei Milliarden Euro an Krediten bereitstellt.
Wachstum um jeden Preis
Die Wirtschaftkrise wird also auch in Brasilen nicht genutzt, um Prioritäten neu zu diskutieren oder gar Nachhaltigkeitsstrategien mehr in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik zu stellen. Im Gegenteil: Die Devise “Wachstum um jeden Preis” gewinnt noch mehr an Gewicht, so dass die Gefahr besteht, dass ökologische Kritik an Großprojekten weiter marginalisiert wird.
Bleibt nur die Hoffnung, dass angesichts schrumpfender internationaler Geldmittel vielleicht doch manches zweifelhafte Unternehmen zumindest vorläufig auf der Strecke bleibt, wie z.B. der Bau neuer Atomkraftwerke.
Weitere Antikrisenmaßnahmen konzentrieren sich auf die Bereitstellung von Krediten, insbesondere durch die staatlichen Banken. Dabei sollen sowohl Konsumenten als auch Landwirtschaft und Industrie bedacht werden. Einen besonderen Schwerpunkt bildet allenfalls die Förderung von Exporten. Ein interessantes Detail ist die Beibehaltung der deutlichen Anhebung des Mindestlohnes im Februar, wodurch zusätzlich der Konsum der ärmsten Bevölkerungsschichten angekurbelt werden soll. Auch von Kürzungen des Sozialprogramms ist nicht die Rede.
Mit dieser Kombination von Maßnahmen und relativ günstigen Faktoren (keine Bankenkrise!) rechtfertigt die Regierung ihren Optimismus. Ob allerdings ein Wachstumsziel (!) von vier Prozent realistisch ist, bleibt abzuwarten. Immerhin sieht keine der aktuellen Voraussagen einen Rückgang der Wirtschaft für 2009 voraus.
Auf die Stimmung der Bevölkerung hat sich die Krise bisher jedenfalls kaum ausgewirkt. In der heißen Vorkarnevalszeit stieg der Bierkonsum und das Fleisch für das traditionelle Churrasco ist billiger geworden!
Bemerkung:
Vorsagen des IWFs für emerging economies (28.1.2009): “China's economy will slow to 6.7 percent in 2009 from nine percent, India's will drop to 5.1 percent and Brazil's growth will plummet a whopping four percentage points to 1.8 percent in 2009”
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise