Spielstand #10: „Die Nutzer sind verdorben“

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3. März 2009

Filme für lau, Musikstücke ohne Entgelt: Befinden wir uns angesichts Tauschbörsen und Gratiskultur im Internet längst jenseits von Regeln? Spielstand #10 widmete sich der schwierigen Debatte über die Abstimmung von zeitgenössischer kultureller Produktion und zeitgemäßer politischer Urheberrechtsevolution.

Inhaltlich anknüpfend an den Spielstand #8, der die Frage von Autorschaft in kollektiven Zusammenhängen behandelte, ging es am 24. Februar 2009 in den Sophiensaelen um die spannende Diskussion, was eigentlich ein zuschreibbares „Werk“ genannt werden kann. Die Infragestellung einer souveränen Werkherrschaft von Autor/innen ist vermutlich so alt wie die Kunstgeschichte selbst. Cervantes zum Beispiel haderte mit seinen Plagiatoren und ließ Don Quijote nicht nur gegen Windmühlen, sondern auch gegen den Missbrauch geistigen Eigentums zu Felde ziehen.

Heute, im kulturellen Stadium von Sampling und Filesharing, wird die strikte Unterscheidung von Original und Nachbildung nicht selten zu einem juristischen Eiertanz. In seiner kurzen Präsentation des HipHop-Klassikers „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa, der auf einem Kraftwerk-Sample beruht, demonstrierte der Musiker Christian von Borries die Willkürlichkeit, mit der Vertreter/innen seines Berufsstands als Diebe kriminalisiert würden.

Während Afrika Bambaataa mit seinem Hit von 1982 ein vitales Musikgenre für zwei Dekaden begründete und niemals strafrechtlich belangt wurde, musste sich der Produzent Moses Pelham jüngst vor dem Bundesgerichtshof dafür verantworten, dass er ohne Erlaubnis eine dreisekündige Beatsequenz des Kraftwerk-Stückes „Metall auf Metall“ entlehnte und in geloopter Form in den Song „Nur mir“ (1997) der Rapperin Sabrina Setlur integrierte. Die Karlsruher Richter befanden, dass nicht nur Melodien, sondern auch Rhythmusspuren urheberrechtlich geschützt sind, sobald sie auf einem Tonträger veröffentlicht werden. Dies scheint konsequent zu sein, sind es doch in der Popmusik eben auch markante Sounds, nicht notwendigerweise Tonintervalle, die den ästhetischen Eigenwert eines Stücks ausmachen. Zugleich forderte der BGH in seinem Urteil aber eine erneute Überprüfung, ob Pelham sich nicht doch auf das Recht zur freien Benutzung (§ 24, Abs. 1 UrhG) berufen dürfe. Sampling ist also nicht per se ausgeschlossen. Die Zumessung der künstlerischen Differenz von „Nur mir“ und „Metall auf Metall“ wird zu einer Angelegenheit von Gutachtern.

Droht Nivellierung oder Neues?

Der Berliner Wirtschaftsanwalt und studierte Musikwissenschaftler Carsten Markwort kommentierte das BGH-Urteil und nannte es im Grundsatz „nicht richtig, sich der Leistungen anderer zu bedienen“. Ein durchsetzbares Urheberrecht sei schon deshalb wichtig, um eine gewisse Anreizwirkung bei der kulturellen Produktion zu entfalten. Die Gefahr einer Nivellierung drohe, wenn sich Künstler/innen immer nur aus dem Archiv der Vergangenheit bedienten. Damit nahm er eine grundsätzlich andere Optik auf die kulturelle Dynamik ein als Christian von Borries. Dieser hält die Idee einer souveränen Werkherrschaft für vollkommen obsolet und bedient sich in den eigenen Arbeiten einer speziellen Software, die fremde Kompositionen in Partituren rückübersetzt und als Weiterbearbeitung aufführbar macht. So wurden in der von ihm präsentierten documenta-Arbeit „Auf einmal & gleichzeitig. Eine Machbarkeitsstudie“ unter anderem Versatzstücke von Prokowjeff, Schostakowitsch, Pierre Boulez, John Adams und Kanye West verwurstet. Dieses musikalische Gangstertum, so Borries, sei als legitime Form der Aneignung tief in der Musikgeschichte verankert. Als Gewährmann zitierte er Alban Berg, der 1934 befand: „Kaum Zufall, dass der Zeitraum, auf welchen die Rede von gestohlener Musik überhaupt sich beziehen kann, mit dem der entfalteten kapitalistischen Gesellschaft zusammenfällt. Barock und Rokoko kannten nichts dergleichen. Die offene Unbedenklichkeit Händels in der Übernahme ganzer Stücke anderer Autoren ist bekannt; nicht ebenso, doch wichtiger, dass Bach gerade einige der schönsten und prägnantesten Fugenthemen des Wohltemperierten Klaviers entlehnte.“

Nun haben sich die Möglichkeiten zum Zitieren, Umarbeiten und Erstellen von Varianten durch die Digitalisierung erheblich vereinfacht. Internet-Plattformen wie YouTube oder MySpace leben von der Kreativität und Bricolage-Wut ihrer Benutzer, ohne diese allerdings vergüten zu müssen. Die etablierte Tauschkultur in den Netzcommunities hat die traditionellen Geschäftsmodelle der Verwerter zunichte gemacht. Wie aber kann man Kunstproduzent/innen künftig weiter für ihre Leistungen entlohnen, ohne mit restriktiven Maßnahmen a là Digital Rights Management die Verbraucherrechte einzuschränken?

Oliver Passek, Sprecher der grünen BAG Medien und beim Medienboard Berlin-Brandenburg als Koordinator für den Bereich Web 2.0 tätig, reklamierte die starke Rolle der Politik, um einen neuen Ordnungsrahmen für den fairen Ausgleich zwischen ökonomischen Interessen und künstlerischen Freiheiten zu finden. In der Sicherung eines Zitatrechts und eines Rechts auf Privatkopie weise das bestehende deutsche Urheberrecht bereits eine soziale Komponente auf, die in der Entwicklung von zeitgemäßen „Digital Rights“ nun weiterentwickelt werden müsse. Den starken Lobbys der Content-Unternehmen und Verwertungsgesellschaften stünden längst entsprechende Nutzerinteressen entgegen, die sich zunehmend in der Blogosphäre und in Pressure Groups artikulierten.

Stützmaßnahmen für die Kreativen

Passek äußerte Sympathie für einen schon länger diskutierten Vorschlag, wie man die Vergütung von Urheber/innen im Netz zukunftsfest und gerechter machen könnte: die sogenannte Kulturflatrate. Dieses Konzept, das etwa von Organisationen wie iRights oder attac vertreten wird, sieht im Kern eine pauschale Abgabe auf den Internetkonsum vor, die zusammen mit dem Monatsbetrag für den DSL-Anschluss eingezogen werden könnte. Diese Gebühr würde dann an die Kreativen bzw. Urheberrechtsinhaber/innen entsprechend der Nutzungshäufigkeit ihrer Werke ausgeschüttet. Abgesehen von der Frage nach der technischen Umsetzbarkeit und dem administrativen Aufwand liegt der Charme dieses Modells darin, die Ausweitung von urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen mit einem Verwertungsanspruch zu kombinieren. Ob dieses Modell auch hierzulande Realität wird, bleibt abzuwarten. Während Christian von Borries die Kulturflatrate als „notoperative Stützmaßnahme“ geißelte, bezweifelte Carsten Markfort, dass sie dem weltweiten Nutzerverhalten gerecht würde. Denn dieses sei im Kern „verdorben“, da das Bewusstsein über geistige Eigentumsrechte insbesondere bei Jugendlichen bereits verschwunden sei.

Es war eben, da haben Cervantes und die Macher des BitTorrent-Trackers Pirate Bay gleichermaßen Recht, noch nie einfach, ein Künstler zu sein.

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