Von Stefan Schaaf
Der Ausgang der Präsidentenwahl im Iran am 12. Juni ist schwer vorherzusagen. Das erscheint verwunderlich angesichts der Bilanz Mahmud Ahmadinedschads, der sich zur Wiederwahl stellt. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden, die sozialen Wohltaten, die er Irans Unterschicht vor vier Jahren versprochen hatte, sind ausgeblieben. Die internationalen Beziehungen des Landes sind vom Atomstreit und den provokatorischen Angriffen des Staatschefs auf den Westen und auf Israel belastet. Vor allem verweigern sich große Teile der iranischen Gesellschaft dem sittenstrengen Verhaltenskodex des Regimes in Teheran.
Warum es die Gegner Ahmadinedschads im Iran dennoch so schwer haben, ihn abzulösen, war Thema des Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) wenige Tage vor dem Wahltermin. In knapp zwei Stunden entstand ein erfreulich differenziertes Bild der Islamischen Republik und ihrer sozialen Verhältnisse. Bahman Nirumand, Exil-Iraner und Autor des monatlichen „iran-report“ der Böll-Stiftung, bemühte sich zu Beginn um Begriffsklärung: „Im Iran handelt es sich nicht um Wahlen, sondern um einen Vorgang, bei dem das Volk eine geringe Rolle spielt“. Kandidaten aus dem nicht-islamischen Lager hätten keine Chance, zur Wahl zugelassen zu werden. Und auch von jenen Bewerbern, die loyal zur Islamischen Republik stünden, habe der Wächterrat, das oberste Entscheidungsgremium des Landes, nur die wenigsten akzeptiert.
Von 470 Bewerbern sind nur vier übrig geblieben
So sind von 470 Bewerbern nur vier übrig geblieben. Die besten Chancen auf ein respektables Ergebnis hat dabei neben Ahmadinedschad der frühere Ministerpräsident Mirhossein Mussawi. Wie weitgehend und hart dessen Kritik an Ahmadinedschad ausfällt, zeigte sich einen Tag nach dem Jour Fixe im iranischen Fernsehen: In einer landesweit übertragenen Debatte warf der Herausforderer dem Amtsinhaber vor, das Land in die „Diktatur“ zu führen. Seine Außenpolitik beruhe auf „Abenteurertum, Extremismus und Illusionen“. Selten wurden die Risse im Gefüge der Islamischen Republik Iran so deutlich wie hier.
Mussawis Kandidatur war eine Überraschung, denn er war seit zwei Jahrzehnten von der politischen Bühne verschwunden. Er trat erst an, nachdem Ex-Präsident Mohammed Chatami seine Kandidatur zurückzog und damit die Hoffnungen der Reformkräfte enttäuschte. Mussawi nennt sich einen „prinzipientreuen Reformer“ und versucht sich damit beiden Lagern anzubiedern. In Nirumands Augen ist er ein „Chomeini im Taschenformat“, der von 1981 bis 1989 als Ministerpräsident zwar wirtschaftspolitisch erfolgreich war, aber seine Gegner gnadenlos zu Hunderten hinrichten ließ. Heute stelle er sich anders dar, und es wäre zu begrüßen, meinte Nirumand, wenn er von seinen im Wahlkampf angekündigten Reformvorhaben auch „nur ein Zehntel oder ein Zwanzigstel“ verwirklichen könnte.
Nirumand konnte nur vermuten, warum Mussawi an die Stelle Chatamis trat: Wünschten die religiösen Führer des Iran eine moderatere Alternative zu Ahmadinedschad, war ihnen Chatami doch zu liberal? Niemand könne es sagen – ein eindrücklicher Beleg für die nebulösen Herrschaftsstrukturen des Iran. Es gibt nicht nur den keinerlei Wahlen unterworfenen Wächterrat, der Präsident und Parlament kontrolliert, sondern eine Vielzahl von Machtzentren im Militär, in der Justiz oder der Staatswirtschaft, deren Befugnisse nirgends festgelegt sind. Sie agieren oft eigenmächtig, solange ihnen nicht von den religiösen Führern Grenzen gesetzt werden.
Dennoch stünden Ahmadinedschad und Mussawi für zwei deutlich verschiedene Varianten islamischer Herrschaft, befand Nirumand. Auffällig sei, wie Mussawi auf die Zivilgesellschaft zugehe, wie er die Sittenpolizei kritisiere und für Frauenrechte eintrete. Interessant sei, welche Rolle seine Frau im Wahlkampf spiele: Sie begleite ihn stets, sie trete bei Kundgebungen vor ihrem Gatten auf, und jeder könne sehen, dass sie unter ihrer korrekten Verschleierung sehr modern und farbenprächtig gekleidet sei. Die Frauen im Iran hätten sich trotz des islamistischen Überbaus im Vergleich zu Schahs Zeiten große Fortschritte erkämpft.
Irans Wähler sind immer für eine Überraschung gut
Irans Wählerschaft sei immer für eine Überraschung gut, fand Christiane Hoffmann, die bis 2004 mehrere Jahre als Journalistin im Iran tätig war, das Land auch danach weiter bereist hat und heute für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung arbeitet. Mehrfach sei der zum Präsidenten gewählt worden, der sich als Alternative zum Establishment präsentiert hatte – zuletzt Ahmadinedschad, der gegen den favorisierten, aber Korruptionsvorwürfen ausgesetzten Haschemi Rafsandschani gewann. Auch heute noch werde er als Außenseiter wahrgenommen, der seine Politik nicht umsetzen könne, da er von oben gebremst werde. Dieses Argument habe sie oft in Gesprächen mit einfachen Iranern gehört, und so präsentierte sich Ahmadinedschad auch in der TV-Debatte mit Mussawi. Noch sei nicht klar, welcher der Kandidaten die Unterstützung des obersten Revolutionsführers Ali Chamenei erhalten werde, sagte Hoffmann.
Insgesamt bewahre das Regime seine Macht mit großem Geschick und durch präzise dosierte Repression. Die Gesellschaft habe Angst vor neuerlichen Umwälzungen mit ungewissem Ausgang, sie praktiziere Eskapismus in vielerlei Spielarten. Die Kunst-, Film- und Literaturszene des Iran sei weit entwickelt, Psychiater könnten sich vor Kundschaft nicht retten. Sie habe mit Geistlichen in Ghom immer wieder über deutsche Philosophie diskutieren müssen, erinnerte sich Hoffmann. Die Ayatollahs treibe die Frage um, wie es Europa einst gelang, in der Moderne anzukommen.
Blogs, Facebook, Youtube
Für die Meinungsbildung und die Mobilisierung der Wähler im Iran spielen Online-Medien eine immer wichtigere Rolle. Als Ahmadinedschad zum Blogger wurde, machte das weltweit Schlagzeilen. Inzwischen werben alle Kandidaten im Internet, auf Youtube oder Facebook. Solche sozialen Netzwerke ermöglichen es den jungen Iranern, sich auszutauschen. Olaf Böhnke vom Aspen-Institut in Berlin hat ein knappes Dutzend Konferenzen mit Bloggern aus dem Iran organisiert. Diese Blogs seien selten politisch, sondern befassen sich oft mit kulturellen und literarischen Themen, oder helfen schlicht, private Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten. Sie seien kein rein gegenkulturelles oder Dissidenten-Phänomen, auch konservative und religiöse Kreise präsentieren ihre Ansichten in Blogs, von denen im Iran etwa 90.000 aktiv betrieben werden, sagte Böhnke. Aber im säkular-reformistischen Themenbereich ist der Anteil von Frauen und von Exilanten am größten, ergab eine sehr interessante Studie der Harvard-Universität im vergangenen Jahr.
Wenn sich Blogger im Iran kritisch zur Politik oder der Staatsführung äußern, riskieren sie schnell den Konflikt mit der Zensur und der Justiz. Hossein Derakhshan, einer der bekanntesten iranischen Blogger, sitzt seit Monaten hinter Gittern, ohne dass bisher gegen ihn Anklage erhoben worden ist. Wenn Kritik geübt wird, dann anonym und unter elektronischer Verschleierung der Herkunft der Blogs.
Ahmadinedschad konnte bislang auch den Konfrontationskurs des Westens nutzen, um sein Land vor den Wählern als Opfer der weltpolitischen Umstände darzustellen. Nachdem die USA in der Ära Bush den Iran militärisch auf beiden Seiten umringt und sich im Palästinakonflikt klar auf die Seite Israels gestellt hatten, fiel es Ahmadinedschad leicht, eine „Politik der permanenten Krise“ zu verfolgen, wie Nirumand es formulierte. Hoffmann sprach von einer „Festungsmentalität“. Sie aufrecht zu erhalten, wird unter Obama schwieriger. Der neue US-Präsident tritt dem Iran mit mehr Respekt gegenüber, und er hat Teheran angeboten, über alle strittigen Themen zu sprechen. Was die iranische Führung erwartet, hat sie immer wieder deutlich gemacht: Ein Verzicht auf das Streben nach einem Regimewechsel, eine Anerkennung der iranischen Interessen als Regionalmacht sowie als Staat mit einem legitimen Anspruch auf die friedliche Nutzung der Atomkraft. Fortschritte werden deshalb nur mühsam und in kleinen Schritten gemacht werden können. Darüber war sich das Podium weitgehend einig.
Jour Fixe