Die Bilanz der Bonner Klimaverhandlungen (1. bis 12. Juni) ist nach Einschätzung von Klimawissenschaftlern ernüchternd: Die Vorschläge für Minderungsziele, die die Industriestaaten bislang vorgelegt haben, ergeben in der Summe eine Reduktion von etwa 8 bis 15 Prozent bis zum Jahr 2020 (Basisjahr 1990). Notwendig zur Vermeidung einer Klimakatastrophe seien aber mindestens 30 Prozent, Entwicklungsländer fordern sogar 45 Prozent, erklärt Lili Fuhr, Referentin für Internationale Klimapolitik. Auch in anderen zentralen Fragen wie der Klimafinanzierung gebe es keinen substantiellen Fortschritt.
Frage: Yvo de Boer, Chef des Sekretariats der Klimarahmenkonvention (UNFCCC), sprach – trotz der überwiegend pessimistischen Presseresonanz – von ermutigenden Signalen der Bonner Konferenz: Er sei zuversichtlich, dass in Kopenhagen im Dezember 2009 ein umfassendes globales Klimaabkommen verabschiedet werden könne. Welche positiven Signale gehen von dieser Konferenz aus?
Positiv ist, dass wir uns weiterhin formell im Prozess bewegen, der ein Abkommen in Kopenhagen überhaupt möglich macht. Das betrifft vor allem den Verhandlungstext, der sechs Monate vor dem Unterzeichnen eines Abkommens im Entwurf vorliegen muss. Diese Deadline wurde nun eingehalten. Und die Verhandlungspartner zeigen damit weiterhin den Willen, den Prozess bis Kopenhagen durchzuziehen. Auch die Debatte, welche rechtliche Form ein Abkommen in Kopenhagen annehmen könnte, gewinnt an Fahrt. Allerdings reichen Signale nicht aus. Es gibt weiterhin keinen substantiellen Fortschritt in den entscheidenden politischen Fragen, also z.B. bei den mittelfristigen Minderungszielen für Industrieländer, der Finanzierung und Technologiekooperation für Anpassung und Emissionsreduktionen in den Entwicklungsländern. Ebenso wenig gibt es konkrete Summen und Zahlen, die längst auf dem Tisch liegen müssten, um die gegenseitigen Blockaden zu überwinden.
Frage: Für ein neues Klimaabkommen müssten Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen aktiv werden: Doch die führenden Industrienationen, darunter Japan, Australien und Russland, sind noch nicht bereit, ihren CO2-Reduktionsverpflichtungen nachzukommen oder konkrete Zahlen vorzulegen. Die Entwicklungsländer wiederum warten auf Gelder für Klimaschutz, Anpassung und Technologiekooperationen. Lassen sich die Interessenkonflikte zwischen wohlhabenden und armen Nationen bis Kopenhagen überhaupt überbrücken und wenn ja, wie?
Aktuelle klimawissenschaftliche Erkenntnisse machen sehr deutlich, wir groß die Herausforderung ist, vor der wir stehen: Kein Land dieser Erde kann es sich mehr leisten, einen CO2-basierten Entwicklungspfad einzuschlagen. Gleichzeitig ist klar, dass die historische Verantwortung für den Klimawandel bei den Industrieländern liegt. Diese tragen eine dreifache Schuld: Erstens haben sie den Großteil der Emissionen in der Atmosphäre verursacht, zweitens kommen sie ihren existierenden Verpflichtungen zur Minderung nicht oder nur sehr zögerlich nach und drittens erfüllen sie auch nicht ihre Verpflichtungen und Zusagen zur Unterstützung von Minderungsmaßnahmen und dringend notwendigen Anpassungsmaßnahmen in den ärmsten Entwicklungsländern. Viele dieser Länder leiden bereits heute massiv unter den Folgen der globalen Erwärmung. Um die aktuelle Blockade in den Verhandlungen zu überwinden, müssen also vor allem die Industrieländer konkrete und adäquate Minderungsziele sowie Finanzierungszusagen auf den Tisch legen. Einige Entwicklungs- und vor allem Schwellenländer haben inzwischen eigene ehrgeizige CO2-arme Entwicklungsstrategien vorgelegt. Die Industrieländer können diese Dynamik nicht mehr einfach ignorieren.
Frage: Wenn sich die G8-Staaten Anfang Juli in Italien treffen, steht das Thema Klima ganz oben auf der Agenda. Welches Signal der G8 wäre notwendig, um wieder Bewegung in die Klimaverhandlungen zu bringen?
Auch wenn sich unter den G8-Staaten einige der wichtigsten Player in den internationalen Klimaverhandlungen finden, sind die Erwartungen an den G8 Gipfel gering. Schon längst und nicht nur in der Klimapolitik sind die G8 nicht mehr das geeignete Forum, einen globalen Konsens vorzubereiten. Wichtige Counterparts sitzen nicht mit am Tisch. Nicht umsonst tagt anlässlich des G8 Gipfels in Italien auch das Major Economies Forum (MEF), für das Obama die 16 größten CO2-Emittenten eingeladen hat. Dazu zählen auch China, Indien, Brasilien, Mexiko und andere Schwellenländer, deren aktuelle Emissionen erheblich zum Klimawandel beitragen. Verschiedene Vorbereitungstreffen des MEF haben bisher jedoch keinen Durchbruch gebracht. Es könnte sein, dass wir außerhalb des Verhandlungsrahmens der UNFCCC, wo es um technische Details und Prozessfragen geht, eine andere Ebene globaler Abstimmung brauchen, in der das Klimathema zur ChefInnensache erklärt wird. Da sich im MEF und bei den G8 nur die Verschmutzerstaaten treffen, ist es umso wichtiger, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon anlässlich der Eröffnung der UN-Generalversammlung im September zu einem Gipfeltreffen einlädt, bei dem die verwundbarsten und armen Entwicklungsländer mit ihren Anliegen zu Wort kommen sollen.
Frage: Obama hat eine Wende in der amerikanischen Klimapolitik verkündet. Erfüllen die Amerikaner die an sie formulierten Erwartungen derzeit?
Bei der ersten Runde der Klimaverhandlungen in Bonn im März und April dieses Jahres nahm die neue US-Administration zum ersten Mal offiziell teil. Da war die Stimmung sehr gut, die Erwartungen groß, ebenso die Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten. Inzwischen wird immer deutlicher, in welcher Zwickmühle sich die neue US-Regierung befindet: Ein nach amerikanischem Verständnis ehrgeiziger Gesetzesentwurf (Waxman-Markey Bill), der derzeit im Kongress und später noch im Senat verhandelt wird, reicht trotz allem nicht, um Amerikas ‚fair share’ für Kopenhagen auf den Tisch zu legen. Davon abgesehen ist es fraglich, ob und wann die Zustimmung zu diesem Gesetzesentwurf vorliegen wird. Besonders schwierig gestaltet sich die Frage, welche Summen die USA als Nord-Süd-Finanztransfer auszugeben bereit sind – ein Knackpunkt für ein globales Abkommen in Kopenhagen. Sogar die Zivilgesellschaft ist nun gespalten zwischen denen, die auf die enorme Wende verweisen, die die USA zu vollziehen bereit sind und die davon ausgehen, dass aus politischer Sicht mehr einfach nicht „realistisch“ ist. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sagen, dass es einfach nicht genügt, dass andere die fehlenden Emissionsreduktionen erbringen müssten (was nicht gerecht wäre) oder das globale Klimaziel von 2 Grad verfehlt wird. Politischer Realismus ist eine Frage der Perspektive und die Klimawissenschaft lässt sich nun mal nicht verhandeln.
Das Interview führte Karoline Hutter.
Mehr Informationen rund ums Klima
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- Klima-Dossier zu den Verhandlungen in Kopenhagen