Soziale Stadtpolitik als "Joint Venture"

Gabriele Schmidt (3. v.l.) mit ihrem Promotionskolleg "Die Zukunft der europäischen Stadt - Formen und Folgen von New Urban Governance" bei Prof. Dr. Hartmut Häußermann am Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung, Berlin.

19. Juni 2009
Von Gabriele Schmidt
Von Gabriele Schmidt

In der sozialen Stadtpolitik ist der Bürger zum gefragten Partner geworden. Im Anblick knapper öffentlicher Kassen, der Herausbildung von „Problemnachbarschaften“ und einem steigenden Wettbewerbsdruck unter Städten setzt sich die Einsicht durch, dass die vielfältigen stadtpolitischen Herausforderungen nur noch im Zusammenspiel von Staat, Markt und Zivilgesellschaft bewältigt werden können. Stets wird deshalb gefragt, welche Aufgaben in Zukunft der Staat übernehmen soll, welche die Wirtschaft und welche die Bürger. Es werden öffentlich-private Partnerschaften gegründet, Ideenwerkstätten durchgeführt und – wie im Programm Soziale Stadt – Quartiersräte gewählt, in denen Anwohner und Institutionenvertreter gemeinsam über Entwicklungsziele ihrer Nachbarschaft beraten und entscheiden. Partizipation ist zum Grundstein sozialer Stadtpolitik geworden.

Aber ist das Mehr an Kooperation auch mit einem Mehr an tatsächlicher Entscheidungsmacht verbunden? Und wer sind überhaupt „die Bürger“? Da nicht von einem homogenen kollektiven Akteur ausgegangen werden kann, wer profitiert letzten Endes vom Kooperationsangebot?

Diesen Fragen widmete sich die Veranstaltung „Stadtpolitik als ‚Joint Venture‘? Ansätze akteursbezogener Quartierspolitik in Deutschland und England“ am 14. Mai in der Heinrich-Böll-Stiftung. Beide Länder experimentieren schon seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Formen der Bürgerbeteiligung in der Quartiersentwicklung. Das Programm Soziale Stadt hat am 5. Mai sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert und auch der New Deal for Communities in England blickt auf einen ähnlich langen Erfahrungshorizont zurück. Anlass genug, Bilanz zu ziehen und beide Konzepte im Hinblick auf die Einflussmöglichkeiten des Bürgers auf den Prüfstand zu stellen. Dr. Dirk Schubert, Dr. Thilo Lang und Alexandra Kast – alle drei versierte Kenner der englischen bzw. deutschen Quartierspolitik – haben die Programme diesbezüglich miteinander vergleichen und diskutiert.

Vom Markt zur Community

In England sind öffentlich-private Kooperation in der Stadtentwicklung nichts Neues – setzte doch schon Margret Thatcher unter dem Motto „Rolling the state back in“ auf die Ressourcen nicht-staatlicher Akteure. Ist New Labours Partnerschaftsparadigma also nur alter Wein in neuen Schläuchen? Dieser Frage ging Dirk Schubert von der Hafencity Universität Hamburg am Beispiel des Südlondoner Stadtteils Aylesbury nach. Aylesbury ist eine innerstädtische Großwohnsiedlung, die in den 1990er Jahren infolge der massiven Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen der Thatcher-Ära von einem deutlichen Niedergang gekennzeichnet war. Als New Labour 1997 an die Macht kam, zählte Aylesbury zu den am stärksten benachteiligten Gebieten in ganz England.

Als Reaktion auf die soziale Spaltung im Land setzte Tony Blair das Thema soziale Exklusion ganz nach oben auf die politische Agenda. Neu an der Stadtpolitik New Labours ist, so Schubert, nicht nur das Abkommen vom Gießkannenprinzip; auch ein ganzheitlicherer Ansatz und eine Aufwertung der lokalen Ebene setze sich in der Stadtentwicklung durch. Zehn Jahre nach der Einführung des New Deal for Communities lassen sich tatsächlich einige Erfolge in der baulichen und infrastrukturellen Aufwertung des Stadtteils beobachten. Auch wenn London nach wie vor von hoher sozialräumlicher Segregation gekennzeichnet sei, lasse sich insgesamt doch eine neue „Philosophie der Stadtplanung“ beobachten, die dem Bürger in seiner Nachbarschaft mehr Mitsprachrechte einräume – so das Fazit von Dirk Schubert.

Mehr Einfluss für den Bürger? Nicht bei den „großen“ Fragen!

Im Unterschied zu Deutschland wurden in England auch auf gesamtstädtischer Ebene trisektorale Planungspartnerschaften etabliert. Nachdem Dirk Schubert Beteiligungsmöglichkeiten auf der Quartiersebene vorgestellt hat, legte Thilo Lang von der Zukunftsagentur Brandenburg den Fokus auf die gesamtstädtische Ebene. Am Beispiel der Local Strategic Partnerships, eine der Schlüsselinnovationen New Labours Stadtpolitik, fragte Lang nach dem tatsächlichen Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure in der strategischen Stadtentwicklung.

Die Ergebnisse für zwei nordenglische Städte, Blyth und Barrow, sind ernüchternd. Anstelle der Bürger oder zivilgesellschaftlichen Organisationen sind maßgeblich die Verwaltung, die Privatwirtschaft, regionale Entwicklungsagenturen und andere Quangos (quasi-governmental organisations) die entscheidenden Akteure. Die von den politischen Programmen anvisierte bürgerschaftliche Beteiligung verkommt in der Praxis zu einer pro forma-Veranstaltung und leistet einer Machtverschiebung und Demokratieaushöhlung auf lokaler Ebene Vorschub.

Mitbestimmung im Quartier: der Quartiersrat

Einen Praxiseinblick für Deutschland gab Alexandra Kast vom Quartiersmanagement Sparrplatz. Das Programm Soziale Stadt bietet vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten – von der ganz praktischen Hilfe, sich ehrenamtlich im Stadtteil zu engagieren, über Ideenwerkstätten bei Planungsprozessen bis zur Entscheidung über Stadtteilbudgets in Quartiersräten. Diese setzen sich zur Hälfte aus gewählten Anwohnern und InstitutionenvertreterInnen zusammen und entscheiden über Handlungsprioritäten in den Nachbarschaften, über die Förderung bis hin zur Vergabe von Projekten an Träger.

Auch wenn alle Entscheidungen der Quartiersräte formal von der Verwaltung bewilligt werden müssen, ist der Einflussnahme der Bürger in ihrer Nachbarschaft wesentlich, so Kast. Viel Gestaltungsmacht erfordert jedoch Zeit und Kompetenzen und – bei sinkenden Budgets – auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Der Quartiersrat ist deswegen nicht für alle Bürger attraktiv.

Lernen vom Nachbar?

In der anschließenden Diskussion wurden beide Programme auf ihre jeweilige Übertragbarkeit geprüft. Die Erfahrungen des zentralstaatlichen Englands lassen sich nur bedingt auf den deutschen Föderalismus übertragen und vice versa. Insbesondere die unterschiedliche Stellung der lokalen Ebene im nationalen Regierungssystem setzt einem Programmtransfer enge Grenzen. Nichtsdestotrotz wurden zwei Merkmale der sozialen Stadtpolitik von New Labour als vielversprechend für die Weiterentwicklung der Sozialen Stadt befunden: Die Einrichtung einer verwaltungsübergreifenden Arbeitsgruppe (Neighbourhood Renewal Unit) auf höchster Ebene und die gleichzeitige Sensibilisierung aller Verwaltungssektoren für die Belange benachteiligter Nachbarschaften („mainstreaming“). In diesen Punkten könnte Deutschland tatsächlich vom europäischen Nachbarn lernen.

Grundsätzliche Einigkeit gab auch darüber, dass es keine Alternative zum partnerschaftlichen Ansatz und der Mitwirkung von Bürgern und der Privatwirtschaft bei der Gestaltung von Städten und Regionen gebe - trotz der genannten Defizite in der Umsetzung. Allerdings, so das Fazit der Veranstaltung, müsse mehr Klarheit darüber herrschen, wer zu welchem Zweck in welche Aufgaben eingebunden und wie dies in der Praxis umgesetzt werden solle. Dies erfordert eine Diskussion darüber, was Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen leisten können und welche Aufgaben von Partnerschaftsnetzwerken gelöst beziehungsweise welche besser weiterhin im Zuständigkeitsbereich staatlicher Steuerung verbleiben sollten.