Eine Woche nach dem irischen Referendum hat Polen als vorletztes EU-Land den Vertrag von Lissabon ratifiziert. Der polnische Präsident Kaczynski wartete nicht – wie von einigen befürchtet - auf seinen tschechischen Amtskollegen Klaus und unterschrieb nach einigem Zögern die Ratifizierungsurkunde. In seiner Ansprache zum Festakt betonte der polnische Präsident, die EU werde auch nach dem Inkrafttreten des Reformvertrags ein „Verbund souveräner Nationalstaaten“ bleiben. Die polnische Regierung will unverzüglich über die Eingrenzung der Kompetenzen von neuen EU-Chefposten verhandeln.
Zögern des Präsidenten
Am 2. Oktober haben die Iren im zweiten Referendum für den Vertrag von Lissabon gestimmt. Alle blickten nun auf Tschechien und Polen, deren euroskeptische Präsidenten Klaus und Kaczynski trotz der Zustimmung der Parlamente für den Vertrag die Ratifizierungsurkunde noch nicht unterschrieben hatten. Noch vor dem irischen Referendum ließ der Euroskeptiker Klaus keinen Zweifel daran, dass er die Ratifizierung weiter blockieren wird. Im Gegensatz dazu, war es nicht ganz klar, wie sich der Präsident Polens weiterhin zu der Frage der Ratifizierung positioniert. Es wurde für möglich gehalten, dass er seinem tschechischen Amtskollegen auf dem verlorenen Protest-Posten beistehen will.
Während in der Woche nach dem Referendum die polnischen Medien aufgeregt sinnierten, ob und wann der Präsident dem Vertrag zustimmt, stattete Kaczynski Rumänien einen Staatsbesuch ab, genoss wahrscheinlich den Rummel um seine Person und schwieg. Die Aussagen der Präsidentenkanzlei waren chaotisch und widersprüchlich: Mal hieß es, der Präsident werde den Vertrag „unverzüglich“ signieren, mal hieß es „die Eile bei der Ratifizierung sei nicht nötig“. Erst gegen Ende der Woche beschloss der Präsident die Ratifizierungsprozedur zu vollenden.
Durch das irische „Ja“ wurde Kaczynski zum Handeln gezwungen. Damit hatte er anscheinend ein Problem. Im Vorfeld der Präsidentenwahl, die 2010 stattfindet, ist für ihn auch die EU–Politik Polens eine Bühne, auf der er um Stimmen wirbt. Die Unterzeichnung der Ratifizierungsurkunde - ohne Protest und Zögern - hätte den Präsidenten die Stimmen der um das Radio Maryja gescharten Wählerschaft gekostet, die bekanntlich europaskeptisch bis europafeindlich ist. Dennoch hat er auch mehrmals versprochen, die Ratifizierungsurkunde zu unterschreiben, falls Irland dem Verfassungsvertrag zustimmt. Darüber hinaus ist die Mehrheit der polnischen Bürger EU-freundlich und steht dem Verfassungsvertrag positiv gegenüber. Das weiß Kaczynski, der vorhat, für das Präsidentenamt in der nächsten Legislaturperiode zu kandidieren.
Der Präsident lobt den Vertrag
„Es ist ein großer Tag in der Geschichte Polens und der Europäischen Union“ stellte der polnische Präsident in seiner Ansprache zum Festakt in Warschau, dem der EU-Ratspräsident Reinfeldt, EU-Kommissionspräsident Barroso und EP-Präsident Buzek beiwohnten, fest. Für Viele kam der Sinneswandel des Präsidenten überraschend. Zuvor hielt Kaczynski den EU-Vertrag für „gegenstandslos“ und blockierte über ein Jahr lang stur seine Ratifizierung. Jetzt lobte er sogar den Reformvertrag als „Änderung der Qualität der EU“ und signalisierte, dass er auf eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, eine Stärkung der gemeinsamen Außenpolitik sowie eine stärkere Gewichtung der EU in der Welt hoffe.
Dennoch, auch nach dem Inkrafttreten des Reformvertrags, werde die Europäische Union „ein Verbund souveräner Nationalstaaten“ bleiben, betonte der Präsident und verwies dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das nationale Parlament stärkt. Schließlich sprach sich Präsident Kaczynski eindeutig für eine Europäische Union, die „für jene, die ihr beitreten wollen: die Ukraine, Georgien und vielleicht noch andere“ nicht verschlossen bleibe, aus.
Der polnische Regierungschef Tusk, der sich seit der Amtsübernahme im Herbst 2007 für die Ratifizierung des Vertrags stark einsetzte, gratulierte dem Präsidenten zur Unterzeichnung der Urkunde und kritisierte zugleich die Verzögerung der Prozedur, die Polen „im europäischen Spiel mehr Schaden zufügte als Vorteile verschaffte“.
Polen will die Befugnisse der neuen Chefposten eingrenzen
Trotz bisheriger Konflikte in Bezug auf die polnische Europapolitik, scheinen sich - was der Zuschnitt der neuen EU-Institutionen angeht - der Präsident und die Regierung einig zu sein. Nach der Ratifizierung des Reformvertrags will der Ministerpräsident Tusk die Verhandlungen über die Befugnisse und Besetzung der Chefposten in Brüssel unverzüglich beginnen. Polen wünscht sich weder einen starken „Präsidenten der EU“, der strategische Entscheidungen trifft, noch eine starke Persönlichkeit auf diesem Posten. Der neue EU–Chef soll künftig eher das Sekretariat aller EU-Behörden leiten und sich um Verwaltungsfragen und die Vorbereitung von EU-Gipfeln kümmern. Der zukünftige Hohe Repräsentant der EU für die Außenpolitik solle in der Auffassung der polnischen Regierung lediglich die Rolle eines Koordinators spielen.
Es ist unter anderem eine klare Absage Polens an den ehemaligen britischen Premier Blair, der als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des „EU-Präsidenten“ gilt. Polen fürchtet, der ehemalige britische Präsident werde vor allem die Interessen der großen Staaten, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens vertreten und die Interessen der kleinen EU-Staaten als zweitrangig betrachten. Die polnische Position hierzu teilen zunächst Holland, Belgien und Luxemburg.
Trotz der noch ausstehenden Ratifizierung des Reformvertrags durch Tschechien haben die Vorbereitungen für seine Umsetzung bereits begonnen. Bevor der Vertrag in Kraft tritt, ist es nötig, dass die EU-Mitgliedstaaten die Kompetenzen der neuen Institutionen konkretisieren und sich über die Besetzung der neuen Ämter einigen. Die schwedische EU-Präsidentschaft versucht deshalb Vorschläge der EU-Hauptstädte zu den Personal- und Strukturfragen noch vor dem EU-Gipfel Ende Oktober einzuholen. Die Verhandlungen hierzu werden sicherlich nicht reibungslos verlaufen. Der Interessenkonflikt zwischen den großen und kleinen EU-Staaten ist zunächst eindeutig.
Agnieszka Rochon ist Leiterin des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung für Zentraleuropa in Warschau, Polen.