Das Europäische Parlament (EP) beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit Menschenrechten. So organisiert der Menschenrechtsausschuss regelmäßig öffentliche Anhörungen über die Lage in Drittländern sowie schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Allgemeinen. Beitrittsanwärter müssen belegen, dass sie sich keiner Verletzung von Menschenrechten schuldig machen. Der Sacharow-Preis des Parlaments unterstützt die Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen. Abgeordnete beteiligen sich an Wahlbeobachtungen und senden Delegationen in Drittländer. MenschenrechtsverteidigerInnen werden nach Brüssel eingeladen, NGOs nehmen an Ausschusssitzungen teil.
Fehlende Schnittstelle
Das alles klingt nicht schlecht, und trotzdem ginge es noch besser! Denn die Wirkung dieser Maßnahmen ist äußerst begrenzt, da sie isoliert voneinander verfolgt werden. Nur sehr selten findet in Menschenrechtsfragen eine Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen statt. Die Koordination von Menschenrechtsmaßnahmen lässt aber auch in der Kooperation zwischen Parlament, EU-Kommission und EU-Rat zu wünschen übrig. Innerhalb der EU existiert keine Schnittstelle, um die Aktivitäten zu koordinieren.
Häufig weigern sich Fraktionen des EP, gegen bestimmte Länder Resolutionen zu verabschieden und drücken bei traditionellen "Partnerländern" ein Auge zu. In der Kommission und im Rat wird die Menschenrechtsagenda oft von Wirtschaftsinteressen beeinflusst. Menschenrechtsverletzungen, die mit wirtschaftlichen Vorhaben (z.B. Bergbau, Staudämme, monokultureller Landwirtschaft) zusammenhängen, werden nur selten in Resolutionen verurteilt. Dabei ist es doch mittlerweile Allgemeingut, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht von politischen und sozialen Rechten getrennt werden können.
Selbstkritischer Blick
Mit Blick auf die Teilnahme von Abgeordneten im Menschenrechtsausschuss sollten wir selbstkritisch sein. Das oft geringe Interesse an Anhörungen und Debatten des Gremiums macht einen schlechten Eindruck auf eingeladene Gäste und die Menschenrechtsgemeinschaft insgesamt. Beispielsweise wurde in der letzten Legislaturperiode der Botschafter Algeriens in den Ausschuss eingeladen, um über die Situation in seinem Land zu diskutieren. Als er jedoch wahrnahm, dass nur eine Parlamentarierin anwesend war - die Vorsitzende-, weigerte er sich, zum „nicht vorhandenen Publikum" zu sprechen. Zum Glück verweigern sich nicht viele Gäste derart konsequent, obwohl oft nur wenige Abgeordnete an Ausschusssitzungen teilnehmen. Hier sind Verbesserungen notwendig.
Die EU braucht einen ganzheitlichen Menschenrechtsansatz
Aufgrund der parlamentarischen Arbeitsteilung beschäftigt sich der Unterausschuss für Menschenrechte nicht mit Menschenrechtsverletzungen innerhalb Europas. Die EU-Menschenrechtspolitik ist jedoch nur glaubwürdig, wenn sie einen ganzheitlichen Ansatz vertritt. Die mit diesem Thema eng verbundene Frage ist, ob Menschenrechte lediglich als ein Fachbereich definiert werden oder ob sie in die Arbeit aller Institutionen eingebunden werden. Hierin liegt kein Widerspruch. Die internationalen Diskussionen über die Todesstrafe, Folter, Straflosigkeit oder wirtschaftlich, soziale und kulturelle Rechte veranschaulichen, dass es praktisch keinen Bereich, der nicht mit Menschenrechten und demokratischer Freiheit in Zusammenhang steht. Daher sollte das EP auf die Herausforderungen reagieren, indem es Menschenrechtspolitik in alle Ausschüsse integriert und zugleich Fachkompetenz im Menschenrechtsausschuss bündelt.
Menschenrechtsausschuss fehlt nötige Macht
Der unzureichende Zustand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass dem Menschenrechtsausschuss des EP wegen seines Status als Unterausschuss die notwendige Macht fehlt. Dort werden keine Entscheidungen gefällt. Der Ausschuss kann keine Resolutionen einreichen oder Beschlüsse verabschieden, und hat nur beschränkte finanzielle Ressourcen. Deshalb wird er vom Rat weniger ernst genommen. Wiederholt weigerte sich der Rat, dem Ausschuss Einblick in Studien zu geben, z.B. über Menschenrechtsdialoge mit Drittländern. Das ist ein Zeichen fehlender Anerkennung. Würde der Menschenrechtsausschuss zu einem vollwertigen Ausschuss, könnte das auch helfen, die Maßnahmen vernünftig zu koordinieren, Follow-Ups zu gewährleisten und eine demokratische Kontrolle der Kommission und des Rats umzusetzen. Die genannten Defizite wurden bereits vor drei Jahren in einer Studie zum EP-Einfluss und den Aktivitäten der Unterausschüsse aufgeführt. Das Ergebnis: sie könnten durch die Etablierung als Vollausschuss ausgeräumt werden. Dennoch hat sich heute nichts geändert und eine politische Mehrheit hierfür ist auch nicht in Sicht.
Lissabon eröffnet neue Wege in der Menschenrechtspolitik
Die Lissabon-Erklärung stärkt die Achtung der Menschen- und Grundrechte in der Union, da sie der EU-Grundrechtecharta einen bindenden Charakter verleiht. Das kann dazu beitragen, dass die von der EU nach außen vertretene Achtung der Menschenrechte auch in ihren eigenen Institutionen und Mitgliedstaaten zur Geltung kommt. Gleichzeitig sendet die EU ein deutliches Signal an Drittländer, wenn sie selbst mit Blick auf die Grundrechte kohärent auftritt.
Der Vertrag von Lissabon ergänzt im Artikel 21 (Abs. 1 und 2) die EU-Menschenrechtspolitik um Vorgaben zur Außenvertretung. Im Artikel 21 (Abs. 3) stellt das Abkommen die Achtung und Förderung von Menschenrechten in das Zentrum auswärtigen Handelns. Er unterstreicht zudem die Notwendigkeit, Kohärenz und Konsistenz zwischen verschiedenen Bereichen der EU-Außenpolitik sowie zwischen der internen EU-Politik und der EU-Außenpolitik gemäß dem Artikel 21 (Abs. 3, Abschnitt 2) zu beachten. Der Vertrag verlangt außerdem, dass die EU-Außenpolitik von allgemeinen Grundsätzen geleitet wird und keine Zielsetzungen gegeneinander ausgespielt werden - beispielsweise der Handel gegen die Menschenrechte.
Artikel 218 des Vertrags verleiht dem Parlament durch eine Erweiterung des Mitentscheidungsverfahrens mehr Macht und sieht dessen Einbeziehung in allen Phasen von Verhandlungen vor. Das kann auch den Einfluss des EP in Menschenrechtsfragen stärken.
Catherine Ashton muss sich für Menschenrechte einsetzen
Internationale Vertretungen der EU-Kommission implementieren nicht immer die Menschenrechtsrichtlinien der Union. Insbesondere dann nicht, wenn es um den Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen geht. Als Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vize-Präsidentin der Kommission muss Catherine Ashton dafür sorgen, dass die Länder-Delegationen alle vorhandenen Instrumente auch tatsächlich anwenden. Dies bedarf auch einer adäquaten Stellenbesetzung in Bezug auf Expertise und Finanzierung. Baroness Ashton muss zudem sicherstellen, dass die für spezielle Sektoren der EU-Außenpolitik verantwortlichen KommissarInnen (z.B. für Handel, Entwicklung, Fischerei und Landwirtschaft) hinsichtlich der der Menschenrechte eine einheitliche Linie verfolgen. Immer wieder kommt es vor, dass in Abkommen mit Drittländern vereinbarte Menschenrechtsklauseln nicht zur Anwendung kommen, obwohl diese als essenzielles Element des Vertrages betrachtet werden und daher rechtlich bindend sind. Zu oft werden Menschenrechte im "technischen" Dialog mit Drittländern ausgeklammert, etwa in den EU-Russland-Konsultation oder dem EU-China-Dialog.
EU-Staaten haben im Fall von schwerwiegenden Angriffen gegen MenschenrechtsverteidigerInnen die Möglichkeit, gegenüber den Verantwortlichen "confidential démarches" einzusetzen, um ihre Missbilligung auszudrücken. Stellungnahmen des Ratsvorsitzes erfolgen bislang erst, nachdem diese vertraulichen Maßnahmen versagt haben. Dieses Verfahren sollte umgedreht werden. Die öffentliche Wirkung der "démarches" sollte genutzt werden, um zweierlei auszudrücken: die Besorgnis der EU über bestimmte Situationen sowie die Unterstützung demokratie- und menschenrechtsfördernder Politiken.
Das Parlament muss seine Möglichkeit, Abkommen eingehend zu prüfen, sehr ernst nehmen. Die Zustimmung zu einem internationalen Vertrag darf nur erfolgen, wenn dieser nicht auf Druck einzelner Mitgliedstaaten zustande kam. Wenn das EP die Unterzeichnung eines Abkommens verschiebt, ist das ein deutliches Signal an den Rat und das Drittland. Die Abgeordneten müssen zudem das Instrument parlamentarischer Kontrolle von Aktivitäten anderer EU-Institutionen nutzen. Allerdings erhält das EP hierfür bislang nicht genug Informationen vom Rat und der Kommission, obwohl dieser Zugang entscheidungsrelevant ist. Hier sind Fortschritte nötig. Ein überarbeitetes Abkommen zu diesem Thema wird derzeit mit der Kommission verhandelt. Auch hier muss die Sicht des Parlaments berücksichtigt werden.
Abgeordnete zeigen zu wenig Interesse
Abschließend möchte ich noch offen zu den "urgency resolutions" Stellung nehmen. Diese Dringlichkeitsresolutionen zu Menschenrechtsverletzungen werden in den monatlichen Straßburger Sitzungen verhandelt. Doch das EP verfügt nicht immer über das nötige Quorum, um über die Eilfälle abzustimmen, da diese als letzter Punkt der Agenda behandelt werden und zu diesem Zeitpunkt die meisten Abgeordnete bereits abgereist sind. Abstimmungen finden trotzdem statt, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass keine beschlussfähige Mehrheit anwesend ist. Ich erinnere mich recht gut an eine Diskussion mit dem japanischen Botschafter für Deutschland über eine „urgency“, in der es um Kriegsverbrechen japanischer Soldaten während des II. Weltkriegs ging. Er erklärte, er könne diese Resolution nicht ernst nehmen, da nur 20 Parlamentarier darüber abgestimmt hätten.
Auch die Vertreter des EU-Rats sind während der Eildebatten fast nie anwesend. Liegt das am schlechten Timing der Tagesordnung? Die Arbeitsgruppe zu parlamentarischen Reformen der letzten Legislaturperiode schlug deshalb vor, den Zeitpunkt für die Eildebatten anders zu wählen. Bislang wurden jedoch keine Änderungen vorgenommen. Warum nicht? Offensichtlich fehlt auch hier der politische Wille, sich in Sachen Menschenrechte über bloße Rhetorik hinaus zu engagieren.
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Barbara Lochbihler wurde 1959 in Ronsberg im Allgäu geboren, Ausbildung zur Finanzbeamtin, Studium der Sozialen Arbeit (Diplom) in München, Leitung eines Alten- und Service-Zentrums, Gründung einer Alten-Wohngemeinschaft und zweites Studium der Politischen Wissenschaften (Magister) mit Internationalem Recht und Volkswirtschaft. Danach (1987-91) Parlamentsreferentin im Bayerischen Landtag Fraktion DIE GRÜNEN für die Abgeordnete Eleonore Romberg. Von 1992 bis 1999 Generalsekretärin der Women's International League for Peace and Freedom in Genf und von 1999 - 2009 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Heute Abgeordnete im Europa-Parlament.
Mehr Informationen auf http://www.barbara-lochbihler.de