Lukas Böckmann, Universität Leipzig

"Ein Paradies auf Erden." Katholische Tradition und politische Theologie innerhalb der argentinischen Guerilla der 1960er Jahre

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Im Zentrum des Forschungsvorhabens stehen die verborgenen religiösen Wurzeln der lateinamerikanischen Guerillabewegung der 1960er Jahre. Der Untersuchungsgegenstand ist der 1963/64 im Grenzgebiet zwischen Argentinien und Bolivien operierende Ejército Guerrillero del Pueblo (EGP; Guerilla-Armee des Volkes).

Der antireligiöse EGP, der pars pro toto für andere Guerillagruppierungen Lateinamerikas steht, war eine der ersten Organisationen des Kontinents, die sich an der Kubanischen Revolution orientierten. Der Ausgangspunkt der Untersuchung sind die einzigen Todesurteile, die die Gruppe gegen eigene Mitglieder verhängte. Diese internen Gerichtsverfahren wiesen eine Besonderheit auf: Alle drei zum Tode verurteilten EGP-Mitglieder waren jüdischer Herkunft.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens soll nach den tieferliegenden Ursachen dieser Richtsprüche gefragt werden. Zu diesem Zweck sollen sowohl die politische Theorie und Ikonographie des EGP als auch die Lebenswege seiner wichtigsten Mitglieder untersucht werden. Von besonderer Bedeutung ist die Biographie des EGP-Gründers Jorge Ricardo Masetti, eines engen Vertrauten Ernesto „Che“ Guevaras. Ebenso wie viele andere Aktivisten der Neuen Linken wurde Masetti in seinen frühen Lebensjahren vom lateinamerikanischen Katholizismus geprägt.

Er begann sein politisches Engagement in der ultranationalistischen, vom europäischen Faschismus inspirierten Alianza Libertadora Nacionalista (ALN), einer der bedeutendsten Organisationen des politischen Katholizismus in Argentinien. Die ALN erhob das katholische Glaubensbekenntnis zur Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur argentinischen Nation und trat strikt antijüdisch auf.

Unter dem Eindruck der Kubanischen Revolution wandte sich Masetti jedoch von seinem christlichen Glauben ab und verschrieb sich den revolutionären und säkularen Ideen Fidel Castros. Die Todesurteile von 1963/64, Masettis mit religiösen Bildern operierende Darstellung seines Übergangs zum Sozialismus wie auch die Ikonographie und Metaphorik anderer EGP-Mitglieder („Paradies auf Erden“ usw.) sprechen dafür, dass die katholisch grundierten Vorstellungen von Erlösung, Auserwählung, Zugehörigkeit bei dieser Konversion in transformierter Form aufbewahrt wurden.

Im Rahmen der Arbeit soll der These nachgegangen werden, dass die Entstehung der lateinamerikanischen Guerilla und der Neuen Linken Ausdruck eines Säkularisierungsprozesses war, in dessen Verlauf sakrale christlich-katholische Traditionsbestände in die profane Sphäre von Politik und Weltanschauung übertragen wurden. Die lateinamerikanische Guerilla, so die Annahme, konstituierte sich bewusstlos als religiös- eschatologische Erweckungsbewegung, die das einstige christliche Erlösungsversprechen immanent verwirklichen wollte.