Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Von Wolfgang Hees
Input zum Forum 2 der Konferenz "Klima und Wandel in Amazonien"
Welchen Beitrag können Soft-law-Konzepte als Lösungsansätze in Amazonien leisten?
Welche strukturellen Zerstörungsprozesse von Biodiversität und Sozialraum werden beobachtet, wie kann ihnen entgegengewirkt werden? Wo liegen die Potenziale?
Unter den sogenannten Soft-Law-Konzepten werden Deklarationen, Resolutionen, Vorver-handlungen und Verhaltenscodices verstanden, die neue Normen vorbereiten helfen, aber sel-ber rechtlich noch unverbindlich sind. Ihr Entwicklungspotential kann man an der Rio-Deklaration, der Agenda 21 oder der Walddeklaration erkennen, aus der sich dann z.B. die Waldkonvention entwickeln konnte, deren Inhalte rechtlich bereits teilweise eingefordert werden können. In diesem Sinne sind Soft-law-Initiativen Wegbereiter, die Trends setzen und Entwicklungswege vorzeichnen können – vorausgesetzt, dass die politische und wirtschaftliche Großwetterlage längerfristig gleich bleibt.
Den Konzepten folgen etwas zeitversetzt die Konsumenten mit ihren Kaufkriterien: „bio“, nachhaltig, ökologisch, sozial, Einhaltung der Menschenrechte etc..
Um die Produkte als solche auszuweisen, setzt dann die Zertifizierung ein und auch die Unternehmen beginnen, sich ein Image zu erarbeiten, dass ihre Käufergruppen (und ggf. Mitarbeiter) an Unternehmen und Produkte binden soll. Soft-law-Konzepte für Amazonien sind insofern abhängig vom politischen, sozialen und ökologischen Bewusstsein der Verbraucher.
Zertifizierung, CSR und fair-trade sind dabei notwendige Hilfsmittel einer Risikominimierung und höherer Verbindlichkeit. Unter der Vielzahl der Siegel bestehen sehr starke Unter-schiede, die sich dem Konsumenten nur in den wenigsten Fällen erschließen. Als Nebenerwerbslandwirt und Bioland-Erzeuger werde ich beispielsweise jährlich bzgl. EU-Bioverordnung, der Bioland-Anbauverordnung und nach NOP (der nordamerikanischen Bio-kontrolle) geprüft und zertifiziert - die wenigsten Verbraucher werden sich darunter etwas vorstellen können.
Die Skandale der letzten Wochen (Antrag auf Aberkennung des FSC-Holzsiegels für diverse Firmen Brasilien, Kolumbien, Ecuador und fünf weiteren Ländern, der Skandal um die WWF-Zertifizierung für nachhaltiges Palmöl in Indonesien, der Nokia-Skandal um soziale Standarts in Bochum und China und die Aberkennung des dzi-Spendensiegels für UNICEF) sprechen eine deutliche Sprache zu den Problemen der Zertifizierung. Die Vielzahl regionaler Zertifizierungszeichen, die Halbherzigkeit der Kriterien mancher Siegel, die Abhängigkeit zwischen Zertifizierer und Zertifiziertem, die großen Probleme der Überprüfbarkeit wie auch der Kosten (sowohl bei individueller wie auch – in geringerem Maße –in der Gruppenzertifizierung) der Zertifizierung sind die entscheidenden Problemfelder.
Auch bei hochgelobten und von der Weltbank (bzw. IFC/worldbank-group) unterstützten Ini-tiativen wie dem Bertin-Ltda.-Schlachthöfen in Marabá/Pará bleiben bei einer bisherigen Schlachtkapazität von 5.400 Rindern/Tag viele Fragen offen. Das Konzept umfasst ein komplettes Umwelt- und Sozial-Assessment (ESIA) für den Schlachthof und die Zulieferfirmen. Dabei gelingt es im Gegensatz zu den hochgesteckten Zielen dieser Privatfirma nicht einmal den mobilen Einsatztruppen der brasilianischen Bundespolizei in dem hochkonfliktiven Staat Pará die sklavereianalogen Arbeitsverhältnisse wirksam einzudämmen…
Die „Be-Siegelung des Raubbaus“ und die „Zertifizierte Zerstörung“ sind Schlagworte, die derzeit die Diskussionen in Deutschland bestimmen. Die größte Bedrohung der Tropenwälder liegt seit 2006 in der Ausdehnung der Agrotreibstoffe und an den entsprechenden Runden Tischen der „Nachhaltigen Biotreibstoffe“ oder zu „Nachhaltigem Palmöl“ (RSPO) finden sich dann auch über Shell, BP, Toyota, Petrobras, Bunge, World Economic Forum, Dupont auch Max Havelaar, FSC, WWF und Oxfam – die deshalb gerade von Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert werden. Auch in Brasilien ist der Dissenz innerhalb der NRO spürbar. Die WWF-Konferenzen mit dem Agrobusiness zu „Nachhaltigem Soja“ und „Nachhaltigem Zuckerrohr“ wurden von der Weltorganisation der Kleinbauern Via Campesina durch Gegenkonferenzen entsprechend boykottiert.
Der Boom der Agrotreibstoffe der über Brasilien und Amazonien hereingebrochen ist, hat nichts mehr mit der oben geforderten stabilen wirtschaftlichen und politischen Großwetterlage, die zur Entwicklung von soft-law-Konzepten notwendig ist, zu tun. In solchen Fällen ist die Politik gefordert – doch die fördert zur Zeit diesen Boom, im Norden wie im Süden.
Die Geschwindigkeit der aktuellen Zerstörung erlaubt es weder heute noch in naher Zukunft hier allein auf soft-law-Konzepte zu setzen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es die angestrebte Nachhaltigkeit gar nicht geben kann und das auch die Zerstörung der Biodiversität durch Monokulturen nicht rückgängig zu machen ist.
Im Fall der Ölpalme haben wissenschaftliche Studien herausgefunden, dass zum Ausgleich der CO2 – Emission bei der Abholzung des Primärwaldes theoretisch 423 Jahre lang Palmöl angebaut werden müsste, um diese Emissionen auszugleichen. Dabei ist der Palmölanbau wegen der Ermüdung der Böden jedoch nur maximal 4 Anbauzyklen á 25 Jahre lang möglich. Und andere Studien des Nobelpreisträger P.Cruntzen haben ergeben, dass Palmöl aufgrund des Stickstoffeinsatzes in der Produktion und der daraus resultierenden Lachgasentwicklung rund 50% klimaschädlicher ist, als herkömmlicher, fossiler Diesel. Zur Umweltschädlichkeit kommen Landvertreibung, sklavereianaloge Arbeitsverhältnisse, Zerstörung der Biodiversität … - nachhaltig füllen sich aufgrund der Subventionen und des hohen Erdölpreises derzeit nur die Konten der Betreiber und der Sharehoder.
Die Ausdehnung der Agrotreibstoffe bedroht intensiv das Amazonasgebiet, was die brasilianische Regierung zu dementieren versucht. Auf der einen Seite boomt der Zuckerrohranbau gerade im Südosten Brasiliens (Sao Paulo, Paraná, Minas Gerais). Die Landpreise stiegen während des letzten Jahres in vielen dieser Regionen um bis zu 30%. Das hat zur Folge, dass traditionelle Viehzüchter und Getreide-/Sojabauern ihre Ländereien dort jetzt verkaufen und dafür Regenwaldflächen erwerben, die billiger sind und daher großflächiger gekauft werden können. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Agrarprodukten werden sie umgehend „in Wert gesetzt“. Daneben wird auch direkt auf Regenwaldflächen mittlerweile Zuckerrohr zur Äthanolherstellung angebaut, Soja als potentieller Agrodieselgrundstoff bedroht von allen Pionierfronten her das Amazonasgebiet. Die Behauptung der brasilianischen Regierung, dass für Agrotreibstoffe kein Regenwald weichen müsse, ist mittlerweile durch eine Vielzahl von Fallstudien widerlegt.
Gemeinsam mit den Ökosystemen des Regenwaldes, der Cerrado-Savannen und des Pantanal, die durch die Ausdehnung der großen Monokulturen zerstört werden, verschwindet auch die Biodiversität inklusive wichtiger Nahrungs-, Heil- und Rohstoffpflanzen. Von der Agrobiodiversität wird die Zukunft der Menschheit entscheidend abhängen. Die derzeitige Hauptversorgung der Menschheit durch nur ein Dutzend Welternährungspflanzen bedeutet ein hohes Risiko, zumal auch innerhalb der verwendeten Sorten die genetische Vielfalt beständig zurückgeht.
Das Kayapó-Projekt des Goeldi-Museum in Belém hat durch die ethnobiologischen Untersuchungen von Darrel Posey und seinem Team die ganze Theorie von Brandrodung und Wanderfeldbaus über den Haufen geworfen und nachgewiesen, dass das Amazonasgebiet zu großen Teilen als Kulturlandschaft zu bezeichnen ist oder zumindest tiefgründig vom Menschen überformt ist. Langfristige Nutzung, Anpassungszüchtung und Aufbau von Genbanken, Jagdarreale, Bodenverbesserung, Saatguttausch, Anlage von Baumgärten sind nur einige Stichworte, um sich der vielfältigen indigenen Agroforstwirtschaft anzunähern, die bereits Jahrhunderte lang von den indigenen Völkern Amazoniens betrieben wir.
Interessanterweise klassifizieren z.B. die Kayapo-Indianer Pflanzen weitgehend nach ihren Wirkstoffen. Allein gegen die vielfältigen Durchfallerkrankungen – die häufigste Todesursache im Regenwald – kennen sie 250 Heilpflanzen und wissen aufgrund welcher Substanzen diese heilend wirken. Und entlang eines nur drei Kilometer langen Waldpfades haben Biolo-gen die Vielfalt von 1.500 Heilpflanzen bestimmen können, daneben eine überwältigende Menge hunderter unterschiedlicher Nahrungspflanzen und mehrere hundert gepflanzte Bäume die 15 Arten zugehörig waren. Dieser Pfad war einer der traditionellen Wanderpfade, auf dennen die Kayapó seit Generationen ihr Gebiet durchstreiften. Viele der nun gefundenen und botanisch bestimmten Pflanzen waren zuvor nie beschrieben, geschweige denn als Nahrungs- oder Heilpflanzen klassifiziert worden.
Bedenkt man, dass pro Jahr weltweit Medikamente für weit über 300 Milliarden Dollar verkauft werden und über 30 % dieser Arzneien sind aus pflanzlichen Wirkstoffen hergestellt werden, so wird deutlich welches Potential an Biodiversität hier verspielt wird: bislang sind nicht mehr als 1 % aller Pflanzenspezies auf ihren Gehalt an medizinisch nutzbaren Wirkstoffen untersucht.
Z.B. Jaborandí ist eine solche Pflanze aus Amazonien, aus dessen Blättern der Wirkstoff Pilocarpin für Augentropfen gewonnen wird. Seit dem Exportverbot für Jaborandí-Blätter - mit denen eine US-Pharmafirma Jahrzehnte lang gute Gewinne erwirtschaftet hatte - wird das Medikament in Brasilien selbst hergestellt und der Gewinn kommt dem Land zu Gute. Uxi-Amarelo Jabutí, Saratodo, Crujirú und hunderte weiterer Heilpflanzen erhält man auf den Märkten der Region. Produkte wie Guaraná oder die Pará-Nuß haben ihre Märkte bereits im Auslandgefunden. Der Andiroba-Baum ist ein anderes Beispiel, aus ihm werden Heil-, Pflege- und Insektenschutzmittel gewonnen. Doch hunderttausende andere Heilpflanzen sind noch nicht wissenschaftlich erforscht - die Kenntnisse liegen aber in den indigenen Gemeinschaften zum großen Teil noch vor.
Entscheidend wird zukünftig sein, wie diese Potentiale genutzt und fair gehandelt werden können. Hier muss ein besonderes Augenmerk auf dem Schutz geistigen Eigentums und der Gewährleistung der Eigentumsrechte liegen. In der Doha-Runde und auch bei der „Global Europe Strategie“ der EU-Komission werden diese traditionellen Eigentumsrechte gerne gegenüber Eigentum an gentechnischen Veränderungen und Patentierungen vernachlässigt.
Basis aller Konzepte für Amazonien muss die ansässige Bevölkerung, deren Bedarf und die Entwicklung regionaler Kreisläufe sein. Produkte, die dafür entwickelt und nachhaltig produziert werden, können weiterentwickelt werden und der Überschuss auch global vermarktet werden. Wenn diese Medizinal-, Nahrungs-, Heil-, Sanitär-, Pflege-, Tourismus-, Wellness- etc., -grundstoffe gefördert und umfassend geschützt werden, können sie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität leisten – vorausgesetzt sie werden nicht vorher zur Produktion von Agrosprit geopfert.