Vorreiterkoalitionen sind ein erster Schritt zu globalen Lösungsstrategien
Von Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied Heinrich-Böll-StiftungFür den derzeitigen Stand der globalen Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik ist erstens das schwierige und widersprüchliche Verhältnis zwischen einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten ‚Governance’ und einem auf den Primat der Ökonomie ausgerichteten Globalismus charakteristisch. Zweitens bekommt gerade die internationale Umweltpolitik schon seit Beginn der 90er Jahre den Unilateralismus der USA deutlich zu spüren. Ob in der Klima- oder Biodiversitätspolitik: keins der in den 90er Jahren verhandelten Protokolle wurde bislang von den USA ratifiziert.
Beide Prozesse – und vor allem die dahinter stehenden wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Interessen – sind nicht ausreichend von Umweltpolitikern, Wissenschaftlern und NGOs bearbeitet und adressiert worden. Überwiegend wurde am Konzept des kooperativen Multilateralismus festgehalten und einer globalen Umweltgovernance das Wort geredet, die noch bis zum Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg eine Weltumweltorganisation zum Kern der Antworten auf die sichtbaren Probleme der Umweltpolitik im UN-System machen wollten.
Dass globale Probleme eine globale Lösungsstrategie erfordern, der Schutz globaler öffentlicher Güter wie z.B. das Klima, die Ozonschicht oder die Fischvorkommen sowie der Erhalt der Biodiversität ohne langfristige Einbeziehung aller (potenzieller) Nutzer ins Leere laufen, bleibt so wahr und richtig wie immer. So wünschenswert und notwendig die kooperative Bearbeitung globaler Umweltprobleme ist, die Idee einer multilateral organisierten „Weltordnung“ ist mehr denn je eine fixe Idee. Das liegt vor allem an den USA, aber nicht nur.
Deshalb sind für die Perspektive der Lösung globaler Umweltprobleme zwei Fragen zentral
- Wie kann internationales Umweltrecht und generell sustainable governance im Kontext einer unipolaren bzw. hegemonialen Weltordnung überhaupt gestaltet und weiter entwickelt werden.
- Wie soll der ökonomische Globalisierungsprozess im Sinne einer sozial-ökologischen und gerechten Entwicklung gesteuert werden? Durch Flankierung und Abfederung der Umweltwirkungen des ökonomischen Globalisierungsprozesses oder durch eine „Ökologisierung der Globalisierung“?
Während die Auswirkungen der US-Hegemonie und der neuen Sicherheitsdoktrin auf die Außen- und Sicherheitspolitik ausgiebigst und öffentlich diskutiert werden, gibt es wenig bis gar keine aktuelle Diskussion um die Auswirkungen auf die internationale Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Das mag daran liegen, dass dem Multilateralismus à la carte der USA, den Bremsern und Blockierern in der OPEC schon seit einiger Zeit regionale Regime und das Schmieden von Vorreiterkoalitionen entgegengesetzt werden. Mit der Internationalen Konferenz für Erneuerbare Energien, die Anfang Juni 2004 in Bonn statt finden wird, soll endlich mit Leben gefüllt werden, was abstrakt das Zusammenbinden von „gleichgesinnten Ländern“ heißt. Neue Partnerschaften in jeweils verschiedensten Konstellationen zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelten als weitere Säule und Antwort auf ein durch das Konsensprinzip immer wieder lahm gelegtes UN-System.
So richtig und wichtig all diese Schritte und Initiativen sind, für die Lösung der globalen Umwelt- und Armutsprobleme, für einen Kurswechsel in Richtung einer sozial-ökologisch gerechten Entwicklung führt kein Weg an den USA vorbei. Auf die Dauer lässt sich multilateraler Klima- und Umweltschutz nur „mit den USA" etablieren. Aber dies hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die anderen Staaten den Mut haben, engagiert „ohne die USA" zu beginnen. Im Fall des Kioto-Klimaregimes heißt das: Jetzt ohne die USA, damit mittelfristig ein "mit den USA" möglich wird. Die USA werden auf die Dauer nur mitmachen, wenn der Prozess genug Eigendynamik entwickelt, so dass selbst die USA über kurz oder lang aus nationalem Eigeninteresse gar nicht anders können, als sich einzureihen.
Die spannende Frage heißt demnach: kann das Kioto-Protokoll eine solche Eigendynamik überhaupt entwickeln? Bei einer ausdrücklichen Verweigerung einer multilateralen Vorgehensweise der USA ist also eine ‚Vorwärtsstrategie‘ der anderen Staaten nötig. Das ist die Achillesferse der Strategie der so gern zitierten Vorreiterkoalitionen vor allem im Klimaschutz.
Für die Steuerung und Gestaltung der Globalisierung entlang sozial-ökologischer Kriterien stellen sich über die Hegemoniefrage und damit der Handlungsfähigkeit der UNO hinaus, auch einige grundsätzliche konzeptionelle Fragen. Geht es vor allem um flankierende Maßnahmen? Kaum mehr wird diskutiert, dass ein ernst gemeintes sustainable governance Konzept den fundamentalen Umbau aller wirkungsmächtiger Institutionen wie der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds usw. einschließen muss. Deren auf die Dominanz ökonomischer Expansion ausgerichteten Konzepte bilden den Kern der globalen ökologischen Krise. Die zu Recht geforderte Hegemonie des internationalen Umweltrechts über das internationale Handelsrecht wäre für die Begrenzung und Flankierung der Entgrenzungsstrategie ein zentraler Schritt, aber noch keine Antwort.