Internet Governance Forum: Planlos in Zeiten des Umbruchs

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Auf dem IGF in Istanbul

Auf dem Internet Governance Forum (IGF) in Istanbul blieben die Antworten auf die drängendsten Fragen aus. Sei es der weltweite Vertrauensverlust in die Internetinfrastruktur nach den Enthüllungen Edward Snowdens oder die Neuaufstellung der globalen Internetadressverwaltung. Allerdings erfüllte das IGF seine Aufgabe als Ort des Dialogs: Es gibt nur wenige Treffen, wo aus allen Teilen der Welt so viele Menschen aus dem Bereich Zivilgesellschaft, technischer Community oder auch der Wissenschaft zusammenkommen. Ein Kommentar von Malte Spitz.

Zum neunten Mal hat vom 2.-5. September 2014 das Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen stattgefunden. Es ging um Themen wie Internetfreiheit, Breitbandausbau, Netzneutralität, Datenschutz und mehr Teilhabe mittels Internet in allen Teilen der Erde. Dabei hat das Forum einen Hang zu Veranstaltungsorten, an denen die jeweils mit gastgebende Regierung es mit der Internetfreiheit nicht so ernst nimmt. 2009 zu Zeiten des Mubarak Regimes fand es im ägyptischen Badeort Scharm El-Sheich statt, nur wenige hunderte Meter entfernt von Mubaraks Residenz. 2012 in Aserbaidschan und dieses Jahr in der Türkei. Dabei ficht der frühere Ministerpräsident und neugewählte türkische Präsident Erdogan einen erbitterten Kampf gegen die Meinungsfreiheit. Gesetze zur Sperrung und Löschung von Inhalten im Internet, zur stärkeren Verfolgung von Internetaktivisten wurden in den letzten Jahren eingeführt. Entsprechend scharf war im Vorfeld des IGF die Kritik von türkischen und internationalen NGOs.

Aktuell stehen mehrere Menschen in der Türkei wegen ihrer Tweets vor Gericht. In Istanbul konnten die Teilnehmer selbst erleben, wie zahlreiche Webseiten gesperrt waren. Der Protest auf dem IGF selbst blieb jedoch aus, keine Demonstrationen im Saal oder vor dem Konferenzgebäude.

Mit der üblichen Eröffnungszeremonie ging es los, das bedeutete diesmal 24 Reden á fünf Minuten von Ministern, Verbandspräsidenten oder anderen Honoratioren. Alle priesen die Bedeutung und die Chancen des Internets. Die Zeiten, in denen Redner aus autoritären Staaten die Bühne nutzten um ihre Kritik an einem zu freien Internet zu äußern, sind längst vorbei. Jeder stellt sich heute als Freund des Internets dar.

Wer trotz dieser hegemonialen Stimmung unter den 2300 Teilnehmenden ernsthafte Versuche erhoffte, bei Fragen wie Datenschutz, Zugang zu Informationen oder Meinungsfreiheit voranzukommen, wurde enttäuscht. Den großen Wurf gibt es und wird es auch nicht geben beim IGF. Beim IGF geht es um Dialog und vielleicht noch um Diplomatie. Entscheidungen sind nicht Teil des Auftrages des IGF und werden entsprechend anderswo getroffen.

Parallel zum IGF fand an ein Alternativgipfel statt, organisiert von der liberalen privaten Bilgi Universität. Beim Internet Ungovernance Forum (#ungovForum) wurde vornehmlich von Seiten Zivilgesellschaft und Wissenschaft über Fragen wie Internetfreiheit, Netzneutralität oder unabhängige Medien diskutiert. Der amerikanische Internetaktivist Jacob Appelbaum hielt dort eine Keynote, und machte aus seinen Eindrücken bei seinem ersten IGF keinen Hehl, als er von der deprimierendsten Veranstaltung sprach, die er je besucht hat. Wobei das nur eine Sicht auf die Veranstaltung ist. Gerade für viele Teilnehmende aus dem globalen Süden ist eine offene Debatte über Themen der Internetfreiheit ein hohes Gut und in ihren Ländern daheim nicht möglich.

Allerdings erfüllt das IGF seine Aufgabe als Ort des Dialogs. Es gibt wenige, wenn nicht keine Veranstaltungen, bei denen aus allen Teilen der Welt so viele Menschen aus dem Bereich Zivilgesellschaft, technischer Community oder auch Wissenschaft rund um Fragen des Internets zusammenkommen. Statt sich regional zu treffen und auszutauschen, gibt es hier tatsächlich einen internationalen Dialog. Der so genannte Multi-Stakeholder Ansatz beim IGF bedeutet, Vertreter/innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft auf Augenhöhe zusammenzubringen. Für die Dutzenden Workshops stimmt dieses Versprechen der Augenhöhe auch, Wortmeldungen sind für alle Anwesenden möglich, Regierungsvertreter müssen sich kritischen Fragen stellen, Unternehmen werden offen kritisiert. Dieser Dialog bringt die Menschen zusammen. Es ist eine Mischung aus Familientreff, der Hoffnung tatsächlich etwas zu bewegen, gemeinsam Ideen zu entwickeln, die dann in nationale Regierungen, internationale Standardisierungsorganisationen oder die Medien weitergetragen werden.

Auf die wirklich drängendsten Fragen bleiben die Antworten aber aus. Sei es der weltweite Vertrauensverlust in die Internetinfrastruktur nach den Enthüllungen Edward Snowdens. Sei es die Ankündigung der US-Regierung ihre weitreichende Kontrolle über die Internetadressverwaltung im Herbst 2015 aufgeben zu wollen.

Nachdem im Frühjahr 2014 auf Einladung Brasiliens die Konferenz NETmundial in Sao Paulo stattgefunden hatte, die im Lichte der weltweiten Überwachungspraktiken von Geheimdiensten stand, bestand die Hoffnung an den dortigen Debatten beim IGF in Istanbul anzuknüpfen und zudem ernsthaft bei der Frage der zukünftigen Internetadressverwaltung voranzukommen. Ein Jahr vor der gesetzten Frist der US-Regierung zeichnet sich aber ab, dass mindestens ein bis zwei weitere Jahre notwendig sind, um hier tragfähige Lösungen zu finden. Ein gemeinsamer Weg, der die verschiedenen Akteure zusammenbringt, wurde nicht gefunden. In dem Sinne war Istanbul eine vertane Chance aus dem Dialog heraus, konkrete Prozesse und Ideen zu entwickeln. Entsprechend liest sich auch die offizielle vorläufige Zusammenfassung des diesjährigen IGF.

Einzig und allein bei der eigenen Zukunft des IGF herrscht Einigkeit. Entstanden aus dem World Summit on the Information Society (WSIS) 2003 und 2005, wird das IGF alle fünf Jahre evaluiert und das Mandat verlängert. Hier wünschen sich die verschiedensten Beteiligten zum einen eine Verlängerung als auch eine längere Amtszeit, statt immer nur mit fünf Jahren auf Sicht fahren zu können. Eine entsprechende gemeinsame Stellungnahme kann von allen mitunterzeichnet werden.

Einzelne Erkenntnisse bleiben trotzdem nach diesem IGF hängen:

  1. Das IGF muss es zukünftig schaffen, nicht nur sich selbst und seinen Multi-Stakeholder-Ansatz zu feiern und in den Mittelpunkt zu stellen, sondern in den Mittelpunkt die Frage zu stellen, wie aus dem Dialog entstehende Möglichkeiten für weiterreichende Policy-Empfehlungen genutzt werden können.
  2. Akteure aus Lateinamerika, Afrika und dem asiatischen Raum, gerade zivilgesellschaftlich, bringen sich zum Glück immer stärker in die Debatten ein. Mögen die Hauptveranstaltungen noch westlich, weiß und männlich sein, sind es die sich aktiv einbringenden Akteure in den Workshops nicht mehr, die die relevanten Fragen stellen und Themen aufwerfen.
  3. Europa spricht bei Fragen der Internet Governance und der Internetfreiheit nicht einheitlich. Mag EU-Kommissarin Neelie Kroes noch so eine große Unterstützung für das IGF sein, die europäischen Regierungen folgen wenn nur sehr langsam und zurückhaltend.
  4. Erste Entwicklungen zeigen, dass aus dem IGF-Dialog konkrete Projekte folgen können. Die Frage der Verantwortung für Internetfreiheit wird immer öfters aufgeworfen, nicht nur gegenüber Staaten, sondern auch Unternehmen. Ein Projekt das vielversprechend klingt, ist Ranking Digital Rights. Ein Index zur Bewertung der Wahrung von Meinungsfreiheit und Datenschutz durch entsprechende Unternehmen soll allen voran Investoren helfen ihre Investitionen verantwortbar zu tätigen.
  5. Die tagespolitischen Debatten nehmen beim IGF zu. Im Vergleich zu vor fünf Jahren gibt es weniger Workshops zu technischen Fragen, als zu aktuellen Fragen rund um Urheberrecht, Datenschutz, Internetfreiheit oder Netzneutralität.

2015 wird das IGF in Brasilien stattfinden und zudem zahlreiche weitere Debatten und Veranstaltungen zu WSIS+10 geben. Wird das IGF-Mandat anschließend verlängert, könnte auch Deutschland einmal Gastgeberland für das IGF sein, hoffentlich dann als Vorbild für Internetfreiheit.