Das Privileg des Zweifels
In seiner Begrüßungsrede erinnerte Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, zunächst daran, dass grundsätzlich jeder Dialog zwischen Kultur und Politik vor der Gefahr stehe, einseitig eng geführt zu werden: „Das Verhältnis von Kultur und Politik tritt gewöhnlich vor allem als Gerangel um Subventionen in Erscheinung. Je nach Standpunkt erscheint die Kunst in diesen Verteilungsdebatten als teurer Kostgänger oder als Kreativindustrie, die das Zerbröckeln der industriellen Basis kompensieren soll.
Auch die Fähigkeit der Künste, erhebende Erfahrungen und Orientierung in einer Welt zu stiften, die ansonsten wenig Halt bietet, wird gerne in Anspruch genommen. Es ist offensichtlich, dass die Kunst von dieser Erwartungshaltung profitiert, sich aber zugleich vor einer solchen Inanspruchnahme schützen muss. Ist es doch gerade ihre Autonomie, ihre Nicht-Verfügbarkeit für von außen gesetzte Zwecke, die sie für viele Menschen attraktiv macht.“
Die Kunst - Praxis der Ambivalenz
Die in New York lebende Künstlerin Jutta Koether ging in ihrer Interpretation des autonomen Potenzials von Kunst noch weiter.
Während einer etwa 15-minütigen Performance, die sie mit Keyboard-Sounds, percussiven Elementen und Video-Einspielungen bestritt, rief sie Subjektivität als zentrale Kategorie einer künstlerischen Lebensführung ins Gedächtnis. Anhand der eingestreuten Textfragmente, die unter anderem die ästhetische Theorie Adornos, Lacans Psychoanalyse und Marx’ politische Ökonomie zitierten, ließ sich folgende Grundaussage ableiten: Getrieben von seiner eigenen Struktur des Begehrens, unterliegt der „readymade artist“ einer Handlungsmotivation, die nicht unbedingt in rationalen Begriffen aufzulösen ist. „There`s no such thing as reason!“ rief Koether, worauf ihr Weitwurf eines folkloristischen Schelleninstruments beinahe ein reales Opfer gekostet hätte. Die Zuschauer in der ersten Reihe nahmen diese Form der organisierten Unvernunft jedoch äußerst gelassen.
In der anschließenden Diskussion offenbarte Koether als Prämisse ihrer eigenen Arbeit, „Widersprüche in Betrieb zu halten“. An einer solchen Praxis der Ambivalenz zeigten sich ebenso die anderen Podiumsgäste interessiert. Peter Thiessen, Sänger der Band „Kante“, bezeichnete es als sein Ziel, „Komplexitäten sichtbar zu machen“, was dem weit verbreiteten Bedürfnis nach „klaren, eindeutigen Sprachen“ widerspräche. Auch Frank Spilker, Sänger und Gitarrist der Gruppe „Die Sterne“ beschrieb die künstlerische Herausforderung darin, „verschiedene Ebenen der Wahrnehmung zusammenzubringen“, also mehrfach codierte, nicht 1:1 lesbare Sprachbilder herzustellen.
Zu feinfühlig für das Kartell der Guten
Bereits hier deutete sich an, dass ein Verständnis von politischer Kunst, das in jedem Song eine politische Analyse, in jeder Installation gleich einen Kommentar zur Lage der Nation vermutet, zu schlicht auf dem Modell einer reinen Übersetzungsleistung beharrt. An der Vorstellung, ein politisches Bewusstsein ließe sich gleichsam deduktiv aus künstlerischen Ausdrucksformen ableiten, wird mehr denn je Anstoß genommen. So kann denn auch die von Jutta Koether formulierte Aufgabe, „Formen von Kollision und Dissidenz erst einmal wieder zu finden“, als eine wirksame Gegenstrategie begriffen werden, welche der selbstbewussten Deutungshoheit, die der Sphäre der Politik oftmals zu Eigen ist, ein irritierendes und reflexives Moment gegenüber stellt. Im Gegensatz zu Gesetzesgebern darf Kunst den Zweifel stark machen – ein Privileg, von dem sie bekanntermaßen reichlich Gebrauch macht.
Auf einer ganz pragmatischen Ebene, befand Frank Spilker, sei das Zusammenspiel von Kunst und Politik sehr einfach zu handhaben. Gerade als Musiker könne man sich für ein ganz konkretes Anliegen einsetzen und beispielsweise als Fundraiser agieren. „Allerdings ist es für eine Band, die über einen längeren Zeitraum funktionieren soll, unglaublich schwierig, sich dauerhaft einer Organisation anzuschließen, selbst wenn man diese zum Kartell der Guten zählt. Dazu ist das institutionelle Engagement häufig zu wenig komplex und widerspricht oftmals jener Feinfühligkeit, mit der man als Künstler auf die Realität reagieren muss.“
Orientierung ohne Schließung
Den allgemeinen Wunsch nach Orientierungshilfe brachte wiederum Jutta Koether ins Spiel, wenngleich nicht in dem Sinne, dass Kunst durch explizite Botschaften konkrete Handlungsanweisungen ausstellen solle. Angesichts der Schnelllebigkeit des Kunstmarktes und den medial beförderten Issue-Druck der Politik ginge es eher darum, „andersartige Prozesse in Gang zu setzen“, die sich der standardisierten Routine des Plakatierens, Ausstellens und professionellen Bewertens widersetzen. Ganz grundsätzlich sei für jeden Künstler jener „Moment der Schließung“ heikel, den eine widerspruchslose Aussage oder ein abgeschlossenes Programm zur Voraussetzung haben. „Welche Befindlichkeit sorgt eigentlich dafür, dass von der Kunst überhaupt konkrete Problemlösungen erwartet werden?“ fragte Jutta Koether in die Runde, wobei sie offenkundig ein sozialtechnologisches Verständnis von Kulturpolitik im Blick hatte.
In einem ganz ähnlichen Sinne riet Markus Müller von den Berliner Kunstwerken dazu, „das zu verhandeln, was der Schleier sonst zudeckt“. An ästhetischen Problemen und Fragestellungen zu arbeiten, die mittelbar politisch wirken können, sei grundsätzlich eine privilegierte Position. Doch für die damit betrauten Institutionen werde es zunehmend schwierig, ein solches Selbstverständnis noch durchsetzen zu können. „Dazu gehören normative Entscheidungen. Auf Seiten der Politik tendieren diese gegenwärtig dazu, sich unmittelbare Orientierungshilfen zu erhoffen. Doch das wäre Dienstleistungskunst.“