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„Die Kirsche auf dem Eisbecher“

Foto: © Lars Lenski

30. April 2009
Von Karin Lenski
Von Karin Lenski

Hat die ökonomische Krise auch das Kunstsystem erreicht? Was kommt nach der langen Party der Spekulanten? Wie denken private und öffentliche Kunstvermittler über die Zukunft ihrer Institutionen? Der Spielstand #11 widmete sich der aktuellen Debatte zu Kunstmarkt und Ausstellungspolitik. Dabei zeigte sich, dass die Lagebeurteilungen weitaus nüchterner ausfallen als der genüssliche Katastrophismus in den Medien.

Der 15. September 2008 war auch ein Wendepunkt für den Kunstmarkt. Denn am Tag des Lehmann-Crashs begann Damien Hirst seinen Auktionsmarathon bei Sotheby´s in London. Der Handel mit seinen Kunstderivaten erlöste umgerechnet rund 114 Millionen Euro. Doch schon einige Wochen später wurden auf den großen internationalen Messen Preisnachlässe nötig, um das symbolische Kapital der Contemporary Art im Umlauf zu halten. Hirst musste sogar einen Teil seiner Hilfskräfte entlassen.

Was manche eine kurzfristige Marktbereinigung nennen, könnte sich langfristig als New Deal erweisen. Der kreativwirtschaftliche Konsens der letzten Jahre, der das harmonische Bild eines kooperativen Miteinanders von zahlungskräftigen Sponsoren, reichen Privatsammlern und erfolgreichen Künstler/innen aufrechterhielt, steht möglicherweise vor einer grundlegenden Revision. Nicht nur das Engagement von Unternehmen könnte in einem Ausmaß zurückgehen, das die „Ausstellungsmacht“ (Peter Sloterdijk) von Museen erheblich schwächt. Die breite Masse des künstlerischen Prekariats muss zudem befürchten, dass die Schuldenlast der staatlichen Rettungs- und Konjunkturpakete künftig auch die Finanzierung von Projekten und Stipendien erschwert. Muss sich der gesamte Bereich öffentlich geförderter Kunst ganz neu legitimieren?

Am Vorabend der Art Cologne lud die Heinrich-Böll-Stiftung dazu ein, gemeinsam mit Udo Kittelmann, dem neuen Direktor der Nationalgalerie Berlin, Thomas Girst, dem Leiter Kulturkommunikation der BMW Group, und der Berliner Galeristin Barbara Weiss darüber zu reden, ob die Krise nicht auch eine veränderte Geschäftsgrundlage, eine Neubewertung von Kunstvermittlung und Kunstpräsentation in der Öffentlichkeit bewirken könnte.

Welche Kriterien leiten Unternehmen, GaleristInnen oder MuseumsleiterInnen bei ihrer Suche nach „guter Kunst“? Gibt es – nach den Zeiten des Kunsthypes und überhitzter Preise – nun veränderte Maßstäbe für die Zumessung von Wert und Bedeutung? Werden "marktferne" Positionen künftig einen Aufwind erleben? Und welche neuen Allianzen – gerade angesichts knapper öffentlicher Kassen und Restrukturierungsplänen in bestimmten Sektoren der Wirtschaft – sind im Bereich der Kunstförderung denkbar? Moderiert wurde die Veranstaltung von Elke Buhr, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins Monopol.

Wie geht`s uns denn heute?

Jan Engelmann, Kulturreferent der Heinrich-Böll-Stiftung, verwies in seiner Einleitung auf den grundsätzlichen Charakter einer Krise als den eines Wendepunkts, einer instabilen Übergangssituation. Der Gegenwartskunst, die sich ja eigentlich permanent in der Krise wähnen dürfe, um daraus ihre Legitimation und Motivation zu beziehen, komme in dieser schwankenden Zeit tatsächlich eine seismographische Rolle zu. So kündeten schwächere Auktionsergebnisse, Galerienschließungen und hektische Rückholaktionen privater Sammler von einer Erschütterung, die eben nicht nur das spekulative Feld der Finanzökonomie, sondern eben auch das volatile Feld der kulturellen Aufmerksamkeitsökonomie erfasst habe. Es gehe dabei in beiden Sphären um die Neuinterpretation eines Satzes von Andy Warhol, der lautet: „Die Ästhetik unserer Tage heißt Erfolg.“

Ist die Krise also allenthalben spürbar? So lautete die Eingangsfrage von Elke Buhr, die ihren Gästen jedoch kaum larmoyante Statements entlocken konnte. Die Situation sei auf dem ohnehin stets gebeutelten Kunstmarkt nicht neu, so der Konsens unter den Gästen, man habe „ja immer irgendwie gekämpft“. Zwar seien in jüngster Zeit vor allem im hochpreisigen Segment Objekte weggefallen, mit etablierten Künstlern und vernünftiger Preisgestaltung sei aber weiterhin gut zu verkaufen, so Barbara Weiss. „Die Institutionen sitzen immer zwischen den Stühlen“, bekannte Udo Kittelmann, ohne Drittmittel von Stiftungen oder Sponsorengelder komme man schon seit Jahren nicht mehr aus: „Eine Situation die nie leicht war, wird somit nicht leichter“. Er plane auf der Grundlage der bestehenden Etats erst einmal weiter wie gewohnt. „Was soll ich auch sonst tun?“

Auch Thomas Girst verwies darauf, dass dreißig Jahre unternehmerisches Engagement in der Kulturförderung nicht von einem Tag auf den anderen in Frage gestellt würden. Zwar sei dieser Tage in den Sponsoring-Abteilungen der Unternehmen ein harter interner Verteilerkampf im Gange, langfristige Kooperationen sollten aber auch in Zukunft geschützt werden. Ohnehin sei Sponsoring mit nur fünf Prozent Anteil an der gesamten Kulturfinanzierung in Deutschland von jeher die „Kirsche auf dem Eisbecher“ gewesen. Allein die Zeit der Dekadenz sei vorbei: „Wir haben die Party so lange gefeiert, wie es ging“, räumte Girst ein, statt Champagner fließe nun eben Rotkäppchensekt.

„Sechs oder vier – ist doch egal“

Insgesamt scheint im Kunstsystem also auch Erleichterung über das Ende eines Trends zu herrschen, der von zu vielen Spekulanten und zu viel Geld lebte, der Kunst inhaltlich jedoch nichts hinzugefügt hat. Gibt es – nach den Zeiten des Kunsthypes und überhitzter Preise – nun veränderte Maßstäbe für die Zumessung von Wert und Bedeutung? Kittelmann hoffte auf einen erzwungenen Qualitätssprung: Vorbei seien die Zeiten, als sich Bedeutung allein über stetig wachsende Raumgrößen und Mega-Installationen hergestellt habe. Er erlebe gegenwärtig mit einer gewissen Genugtuung, dass so mancher wieder mehr Bodenhaftung unter die Füße bekomme – „Die Kunstwelt war zuletzt oft arrogant.“

Das größte Problem für den öffentlichen Sektor sah Kittelmann bei den sinkenden Personalressourcen, beispielsweise in der Museumspädagogik, die von Jahr zu Jahr zurückgefahren werde. „Der Bildungsfaktor von Kunst darf nicht weiter verloren gehen. Ob man im Jahr nun sechs oder nur vier Ausstellungen realisieren kann, ist doch letztlich egal.“

Dieser Weg wird kein leichter sein

Einen krisengestützten Trend hin zu einer neuen inhaltlichen Debatte mochten Barbara Weiss und Thomas Girst dagegen nicht erkennen. Es habe schon immer verschiedene Ausrichtungen nebeneinander gegeben, so Weiss, die ihre Erleichterung über den nachlassenden Druck auf Künstler und Galeristen gestand. Thomas Girst bezeichnete es als nachgerade absurd, jetzt nach einer neuen Ernsthaftigkeit in der Kunst Ausschau zu halten. Ohnehin, so wandten in der Diskussion Teile des Publikums, sei die Diskussion bereits konditioniert: Während auf dem Podium über die „oberen 1 Prozent“ des Starsystems gesprochen werde, verdiene die breite Masse der deutschen Kulturschaffenden im Jahr gemäß der Statistiken der Künstlersozialkasse weiterhin sehr dürftig. Daran anknüpfend fragte Elke Buhr, ob die Krise nicht zwangsläufig den etablierten Positionen zuarbeite und damit jungen KünstlerInnen zusätzliche Chancen verbaue. „Der Weg ist hart“, bekannte Barbara Weiss ohne jede Sentimentalität, „aber die Leute finden ihren Weg“.

„Es gibt keine Sicherheit. Es ist nur das sicher, was uns öffentlich gehört“ – so das Fazit von Udo Kittelmann. Er habe das „wunderbare“ Privileg, im Museum arbeiten zu dürfen, und zitierte auch gleich den Titel der Herbst-Präsentation im Hamburger Bahnhof: „Kunst ist super!“

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