Gegen genetische Einöde

Lesedauer: 7 Minuten

Strategien zur Erhaltung der Agrobiodiversität

6. Februar 2008

Von Ursula Gröhn-Wittern

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Genetische Vielfalt ist ein hohes Gut. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Natur an veränderte Gegebenheiten anpassen kann. Die Erhaltung der Agrobiodiversität, die vor allem von der industriellen Agrarproduktion bedroht wird, betrifft also unmittelbar die Basis der menschlichen Ernährung. In den vergangen zehn Jahren sind Aktionspläne zum Schutz der genetischen Ressourcen verabschiedet worden. Sie sind jedoch sowohl in der Konzeption als auch in der Umsetzung bis jetzt nicht ausreichend. 

Der Verlust der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft wird seit Mitte der 1980er Jahre weltweit beobachtet und als Gefahr für die zukünftige Ernährungssicherheit und neuerdings als Gefahr für die Ernährungssouveränität erkannt. 1996 verabschiedete die Welternährungsorganisation FAO den Globalen Aktionsplan (GPA) für pflanzengenetische Ressourcen, dieses Jahr den GPA für die tiergenetischen Ressourcen. Generell ist dies zu begrüßen, aber einem Plan muss eine Umsetzung folgen und da hapert es bisher gewaltig.

Die Entwicklung der deutschen „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“, die Anfang November verabschiedet wurde, zeigt erhebliche Mängel auf. Die Tatsache, dass sie erst jetzt, unter dem Druck der sich nähernden 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) auf deutschem Boden im Mai 2008, fertig wurde, macht deutlich, dass dieses Problem keine Priorität hat.

Grundsätzlich hat sich aber zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die treibende Kraft hinter dem Verlust der Agrobiodiversität hauptsächlich eine immer stärker industrialisierte Agrarproduktion ist, die durch eine handvoll multinationaler Konzerne dominiert wird. Gleichzeitig wird das zu verlierende Gut, die genetische Vielfalt, durch monopolisierende Eigentumsrechte der Kontrolle der Allgemeinheit entzogen.

Allgemein wird zwischen einer Erhaltung „in situ“ und einer Erhaltung „ex situ“ unterschieden. In situ bedeutet auf den Feldern oder den Farmen selbst, ex situ sind Sammlungen in Samenbanken, Herbarien oder botanischen oder zoologischen Gärten oder bei den Tieren die Kryokonservierung. Der in-situ-Erhaltung wird in allen oben erwähnten Aktionsplänen eine besonders wichtige Rolle zugemessen und sie wird als die wünschenswertere Methode angesehen.

Pflanzengenetische Ressourcen
Ex-situ-Sammlungen haben einige wesentliche Nachteile im Vergleich zur in-situ-Erhaltung. Die Sicherheit von Hunderttausenden sogenannten Mustern in Samenbanken, also von eingelagerten und zu erhaltenden Sorten und Arten, ist abhängig von einer zuverlässige Energieversorgung, denn die Samen müssen ständig gekühlt oder tiefgefroren werden. Fällt der Strom aus, was in vielen Ländern häufig der Fall ist, sind die Sammlungen gefährdet. Kriege und Naturkatastrophen sind für einmalige Sammlungen eine große Gefahr. Die Samenbank des Irak ist seit dem Irakkrieg verschollen, die Samenbank des Internationalen Reisforschungsinstituts IRRI auf den Philippinen wurde durch eine Überschwemmung 2006 zu großen Teilen zerstört. Auch muss der Staat oder eine internationale Institution langfristig die Kosten übernehmen. Die vielen Muster müssen regelmäßig ausgesät werden, um eine Verjüngung der Samen zu gewährleisten, denn je nach Arten bleibt deren Keimfähigkeit in der Kühltruhe nicht ewig erhalten.
Diese Arbeit erfordert sehr viel Sorgfalt und Expertise, denn es muss sichergestellt werden, dass man auch genau weiß, welches kleine Feld welche Sorte enthält. Das ist sehr aufwendig und teuer. Eine gewisse Sicherheit geben hier Doppelungen in anderen Samenbanken, die untereinander ausgetauscht werden.

Außerdem wachsen die Sorten nicht in der Umwelt, an die sie angepasst sind, denn sie stammen aus anderen Ländern, anderen Ökosystemen. Daher werden sie bei der Vermehrung in der Samenbank einer Selektion unterworfen, die sie verändern wird. Man kann also die originalen Eigenschaften möglicherweise so gar nicht auf Dauer erhalten.

Bei der in-situ-Erhaltung geht man einen andren Weg. Die Sorten sollen in einem echten Anbausystem unter bäuerlichen Verhältnissen angebaut werden und nicht in einer Art musealer Erhaltung im Ist-Zustand. Umwelt und Anbau verändern die Sorten, aber das ist gewollt. Bauern und Bäuerinnen machen, was sie immer schon mit ihren Sorten gemacht haben: Sie arbeiten mit ihnen.

In der heutigen Zeit stellt sich nur die Frage, wie man Landwirte dazu bewegen kann, Sorten anzubauen oder Tiere zu halten, die mit ihren Eigenschaften vielleicht gerade nicht dem Marktwunsch entsprechen oder die besondere Lebensbedingungen brauchen, die es im Moment nicht gibt. Hier muss eine effektive Strategie ansetzen, die nicht nur den Ist-Zustand erhält, sondern auch die Weiterentwicklung will. Die Probleme, die bei der in-situ-Erhaltung auftreten, sind vergleichsweise nicht so gravierend, denn wenn die Ernte an einem Standort vernichtet wird, bleibt sie an einem anderen erhalten. Das evolutionäre Spiel zwischen Sorte, Umwelt und Bauern bleibt bestehen.

Tiergenetische Ressourcen
Der dramatische Verlust tiergenetischer Ressourcen macht sich am Beispiel der Hühnerrassen besonders deutlich. Die Ausrichtung auf Rassen die entweder für Fleisch oder für Eierproduktion gezüchtet wurden, hat zur Folge, dass es weltweit nur noch zwei Hühnerlinien gibt, die von Bedeutung sind, und keine angepasste Zweinutzungsrasse mehr. Tiergenetische Ressourcen müssen anders erhalten werden als Pflanzensorten. Ihre Anpassung an Umwelt, Futter, Haltungssysteme und die Lebensweise mit den Menschen ist teilweise sehr eng. 70 Prozent aller Menschen, die arm sind, halten Tiere. Ihr Beitrag zur Gesundheit und Sicherheit geht weit über die Bereitstellung von Fleisch und Milch hinaus und wird allgemein unterschätzt.

Die Erhaltung ihrer Vielfalt ist direkt abhängig von Zugangsrechten zu Weideland, Migrationsrouten, tierärztlicher Versorgung und Marktzugang. Dies kann nur in situ, also zusammen mit ViehalterInnen und Hirten geschehen. Verlieren sie ihre Rechte, werden die Tiere abgeschafft und die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Ex-situ-Lösungen wie eingefrorenes Sperma oder Embryonen sind eine Notlösung, technisch aufwendig und damit anfällig, teuer und allenfalls in den Industrieländern praktikabel.
In der industriellen Tierzucht kann sich ein erfolgreicher Bulle weltweit hunderttausendfach vermehren. Die Zuchtziele, die heute gelten, müssen aber nicht die von morgen sein. Die mit dieser Praktik einhergehende genetische Verarmung könnte über kurz oder lang durch die Vernachlässigung von Eigenschaften wie Krankheitsresistenz, Klauengesundheit, Lauffähigkeit, Farbe (UV-Schutz) oder Robustheit zu einer Krise in der Tierproduktion führen, wenn sich die Bedingungen ändern (Vogelgrippe, Klimawandel).

Agrarökologischer Ansatz
Für Tiere und Pflanzen gleichermaßen gilt daher: Eine Strategie, die die genetische Vielfalt ernsthaft und nachhaltig erhalten will, muss ganzheitlich sein. Sie darf sich auch nicht nur auf Rassen und Sorten beschränken, die vom Aussterben bedroht sind, sondern sie muss ganz im Sinne der Konvention über Biologische Vielfalt Ökosysteme, Anbausysteme, Arten und Gene umfassen. Dazu gehören auch Bodenlebewesen und die bestäubenden Insekten, die weltweit bedroht sind und ohne die es keine Nahrung gibt.

Anreize, die Bauern und Bäuerinnen dazu zu bewegen, sich von den Prioritäten schneller, größer und billiger zu lösen, helfen der Biodiversität. Agrarumweltprogramme müssen ein Wirtschaften unter Biodiversitätsgesichtspunkten stärker belohnen. Dies geschieht nicht ausreichend. Die gute fachliche Praxis reicht nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Die positiven Beiträge von Biodiversität müssen stärker betont werden. Dazu gehören ein geringerer Schädlings- und Krankheitsdruck, Geschmack, regionale Identität, Marktnischen und Schönheit.

Eine neue Gefahr, so befürchten viele, ist übrigens gerade in vollem Anmarsch – noch dazu unter dem Namen „bio“: Der Boom der „Biokraftstoffe“, die besser Agrarkraftstoffe heißen sollten (denn mit „bio“ haben sie nichts zu tun), wird Agrarlandschaften in Europa und im Süden in eine genetische Einöde verwandeln. Monokulturen von Mais, Soja, Jatropha, Palmöl oder Raps werden erst recht keinen Raum lassen für eine nachhaltige Erhaltung genetischer Vielfalt in der Landwirtschaft. Deshalb ist zu hoffen, dass der Stärkung eines Agrarökosystemansatzes in der CBD und in allen Strategien zur Erhaltung und Entwicklung von Agrobiodiversität eine hohe Priorität und jede Unterstützung eingeräumt wird.


Weitere Informationen liefert das neue Dossier der BUKO Agrar Koordination „Agrobiodiversität“ (90 Seiten, 10 Euro, zu bestellen bei www.bukoagrar.de oder Tel.: 040- 392526).
Das Jugendbildungsprojekt BIOPOLI der BUKO Agrar Koordination informiert bundesweit über biologische Vielfalt, Agrogentechnik, CBD, Pestizideinsatz und Weltagrarhandel.

Ursula Gröhn-Wittern ist Agraringenieurin und arbeitet bei der BUKO Agrar Koordination zur CBD und Agrobiodiversität.

 

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