Von Helmut Eger und Johannes Scholl
Die Autoren sind Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit. Der Artikel gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wieder.
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Zum Dossier: Klima und Wandel in Amazonien
Überlebensstrategien und die Auswirkungen des Klimawandels in Amazonien
Über 6,6 Millionen Menschen waren im Jahr 2007 in Brasilien von Naturkatastrophen betroffen. Die Bilanz: 146.000 Vertriebene und 40.000 Obdachlose. Extreme Wetterphänomene haben in den letzten Jahren zunehmend die Aufmerksamkeit in Brasilien erregt, sei es der Hurrikan Catarina, der am 28. März 2004 als erster Hurrikan in der Geschichte der Erdbeobachtung die Südküste Brasiliens traf, oder die Trockenheit, die im Jahr 2005 den brasilianischen Bundesstaat Amazonas heimsuchte, Schifffahrtsstraßen zum Kollabieren brachte, massive Fischsterben auslöste und die Anfälligkeit für Waldbrände erhöhte.
Inwieweit diese Naturkatastrophen auf die Klimaerwärmung zurückzuführen sind, kann bis heute nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden. Wir wissen immer noch relativ wenig über die Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere auf den Wandel der reichen, aber fragilen Ökosysteme in Amazonien. Es gibt Prognosen, die die „Savannisierung“ großer Regenwaldflächen prophezeien und ungewöhnliche, extreme Wetterphänomene werden vermehrt beobachtet. Vieles deutet darauf hin, dass knapperes Wasser, höheres Waldbrandrisiko und Biodiversitätsverlust Risiken sind, mit denen in Amazonien auch in Zukunft gerechnet werden muss. Die Erfahrung der Trockenheit im Jahr 2005 zeigt, dass die am stärksten Betroffenen in der Regel ärmere Familien sind, die in abgelegenen Waldgebieten leben.
Zusammenarbeit in Amazonien
Die Zukunft Amazoniens liegt in der Hand der Anrainerstaaten des Amazonasbeckens, die seit vielen Jahren von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bei der Gestaltung der Transformationsprozesse unterstützt werden. Dem brasilianischen Teil Amazoniens kommt mit seinen knapp 4 Millionen km² - was in etwa 63% des gesamten Bioms entspricht – eine besondere Bedeutung zu. Die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist seit Anfang der 90er Jahre an der Seite der Brasilianer dort tätig, insbesondere im Kontext des Pilotprogramms zur Erhaltung der tropischen Regenwälder Brasiliens – oder kurz: PPG7. Das Programm ist ein Gemeinschaftsprojekt der brasilianischen Regierung mit internationalen Partnern, wurde 1990 in Houston ins Leben gerufen und 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro mit Legitimität versehen. Nach 14 Jahren befindet es sich momentan in einer Phase des Übergangs hin zum Mainstreaming der gemachten Erfahrungen im Rahmen des Programa Amazônia Sustentável. Deutschland ist mit knapp 300 Mio. US$ der größte Geber dieses Programms.
Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) ist Teil des Deutschen Beitrags seit 1994. Seit der Reformulierung im Jahr 2007 erbringt sie ihre Leistungen in drei Themenfeldern: Erstens, Naturschutz und nachhaltige Nutzung – hierzu gehört die Ausweisung von Naturschutzgebieten und nachhaltige Waldbewirtschaftung – zweitens, Demarkierung und Management von Indianerterritorien und drittens, Raumordnung und Regionalentwicklung. Im Rahmen des PPG7 wurde eine Vielzahl wichtiger Erfahrungen erarbeitet, die für die Überlebensstrategien der Menschen in Amazonien unmittelbare Relevanz haben.
Relevante Erfahrungen des PPG7
Dank der Unterstützung des PPG7 existieren heute in Amazonien mehrere Dutzend lokale Fischereiabkommen auf Selbsthilfebasis: Belastbare soziale Strukturen, die die Menschen dazu befähigen, konstruktiv mit einer zunehmenden Knappheit natürlicher Ressourcen umzugehen, die der Klimawandel vermutlich mit sich bringen wird. Fisch ist die wichtigste Proteinquelle für die Bewohner Amazoniens und damit für das Überleben der Menschen fundamental.
Lösungsansätze für erhöhte Brandrisiken wurden in mehreren Projekten mit Zivilgesellschaft und Munizipalverwaltungen entwickelt. Die Brandrodung ist als Produktionsmuster kulturell tief verwurzelt und wird sowohl zur Öffnung neuer Flächen als auch zur „Säuberung“ bereits angelegter Felder und Weiden verwandt. Daher ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig, um das Problem in den Griff zu bekommen: Neben einer verstärkten Brandkontrolle kommt einer gezielten Umwelterziehung eine wichtige Bedeutung zu. Die Setzung von Anreizen für eine intensivere Bewirtschaftung bereits entwaldeter Flächen mindert den Expansionsdruck auf den noch stehenden Wald. Auch der Schutz von zusammenhängenden Waldflächen in Ökokorridoren hilft. Ein durch unkontrollierte Besiedlung fragmentierter Wald ist viel anfälliger für Brandkatastrophen als ein intakter Wald. Der größte Schutzgebietskorridor der Welt zieht sich heute – auch dank der Arbeit des PPG7 – mehrere tausend Kilometer quer durch Amazonien.
Traditionelles Wissen als risikomindernder Faktor
Wie reagieren die Menschen auf das Verschwinden von Arten, wenn die Temperaturen steigen? Was, wenn Indigene, Fischer oder Kleinbauern plötzlich bestimmte Medizinalpflanzen oder Früchte nicht mehr finden können, die sie zum Überleben brauchen? Eine profunde Kenntnis der Biodiversität und deren Nutzung können diese Risiken reduzieren. Die Überlebensstrategien von Menschen, die seit mehreren Generationen in Amazonien leben, bestehen bereits heute in vielen Fällen aus diversifizierten Produktionssystemen auf Agro-Forst-Basis, unter anderem, um wetterbedingte Risiken abzufedern. Das Wissen darum besitzen vor allem Indigene oder andere Flussanrainer, wie die Gummizapfer (die es wiederum von den Indianern haben), die bei dessen Bewahrung und Verbreitung durch eine Vielzahl von PPG7-Projekten unterstützt wurden. Die Neusiedler hingegen, die meist aus dem Süden, Südosten oder Nordosten Brasiliens kommen, kennen weder Böden noch Vegetation. Sie bearbeiten ihr Land häufig in einer Form, die an die lokalen Konditionen unangepasst ist. In der Regel brauchen sie auch länger, um tragfähige soziale Organisationsstrukturen aufzubauen. Diese sind wichtig, um kollektive Entscheidungen herbeiführen zu können, was etwa die Priorisierung von Anpassungsmassnahmen angeht oder den Umgang mit Knappheit kollektiver Güter, wie Wasser, Fisch oder Wald.
Zukunftsfähige Planung durch gesellschaftliche Dialogprozesse
„Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer kein Bestand“, soll Charles Darwin einmal gesagt haben und hat damit bereits die Richtung gewiesen für ein zukunftsorientiertes Katastrophenrisikomanagement im Kontext des Klimawandels. Denn landwirtschaftliche Produktionsfähigkeit und Biodiversitätserhalt schließen sich nicht per se aus. Sie können Hand in Hand gehen. Ökonomisch-ökologische Makroplanungen, wie das Zoneamento Económico-Ecológico der Brasilianer in Amazonien können, bei partizipativer Herangehensweise ein Fundament sein für die Gestaltung geordneter Entwicklungsprozesse, die die unkontrollierte Fragmentierung der Wälder und damit die Katastrophenanfälligkeit der Region vermindern. Dabei ist zunächst einmal zweitrangig, welche konkrete Landnutzung – ob Schutzgebiet, Forstkonzession, Viehweide oder Zuckerrohrplantage – auf bestimmten Flächen stattfindet. Wichtig ist, dass Besiedlung und Entwicklung in einer kontrollierten und geplanten Art und Weise erfolgen, die es allen gesellschaftlichen Kräften ermöglichen, die Zukunft Amazoniens aktiv mitzugestalten.
Die politischen und gesellschaftlichen Dialogprozesse, die hierfür nötig sind, finden bereits heute statt, sei es im Rahmen von Regierungsprogrammen, wie dem interministeriellen Aktionsplan für Entwaldungskontrolle, der gegenwärtig überarbeitet wird, sei es in Stakeholderforen, wie dem Roundtable on Responsible Soy, der Sozial- und Ökostandards für den Sojaanbau diskutiert. Die Deutsche EZ unterstützt diese Prozesse auf allen Ebenen, weil sie überzeugt davon ist, dass sie nicht nur richtungweisend für das Überleben der Menschen in Amazonien sind, sondern auch für uns, auf der anderen Seite des Ozeans mit dem stetig steigenden Meeresspiegel.