Auszüge aus dem Artikel „Über den Schutz von traditionellem Wissen“ mit den wichtigsten Thesen
Von Eliane Moreira
Vollständiger Beitrag im portugiesischen Original: "CONHECIMENTOS TRADICIONAIS E SUA PROTEÇÃO"
1. Einführung
In der Geschichte der Menschheit war das Schaffen von Wissen durch Methoden und Prozesse, die sich an traditionellen sozialen Organisationsformen orientieren, schon immer wichtig für das Verständnis und die Annäherung an die Natur. Traditionelles Wissen ist die älteste Art und Weise, Theorien, Erfahrungen, Regeln und Begriffe zu schaffen, das heißt, eine uralte Art und Weise, Wissenschaft zu produzieren.
Das Schaffen von traditionellem Wissen hat vielfältige Dimensionen, allein schon in Bezug auf die Arbeitsorganisation von traditionellen Völkern, die über die technischen Elemente hinausgeht und „das Magische, das Ritual und auch das Symbolische“ einbezieht. Es existiert eine Wechselbeziehung zwischen wirtschaftlichem und sozialem Leben der Gruppe: „die Produktion ist Teil des Sozialverhaltens und untrennbar an dieses gebunden“ (CASTRO, 2000, S. 167).
Dieses Wissen beinhaltet ein ganzes Inventar an Nutzungsmöglichkeiten der Naturressourcen, das aus der Nähe und dem Verständnis der umgebenden Umwelt entsteht, jedoch auf einem nicht-utilitaristischen Verständnis dieses Wissens basiert.
Wissen entsteht aus kulturellen Praktiken und Wahrheiten durch sehr genaue und detaillierte Beobachtung, „mehr als vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen notwendig oder vernünftig wäre (…) ein „Übermaß“ an Wissen, kann nur durch pure Freude am Wissen, Freude am Detail und dem Versuch die Welt geistig zufrieden stellend zu erklären, gerechtfertigt werden. Das stärkste Verlangen ist das nach Wissen“ (CUNHA e ALMEIDA, 2002, S. 13).
Dieses Wissen, das bisher zur Aufrechterhaltung der Lebensformen traditioneller Gesellschaften diente, wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter einem utilitaristischen Blickwinkel gesehen, und zwar infolge eines neuen wissenschaftlichen und technologischen Szenarios, das mit dem Aufkommen neuer Technologien, die in diesen Ressourcen ein enormes industrielles Potential sehen, klare Formen annimmt.
Nicht nur die Biotechnologie steuert ihren Teil dazu bei, sondern auch das Verlangen der Konsumenten, für die traditionellen Kulturen immer mehr zum Konsumgut werden. Das galoppierende Wachstum des „grünen Marktes“, angetrieben durch die Vermarktung der Nachhaltigkeit, trägt in hohem Maße dazu bei und hat einen großen Einfluss auf das Eindringen in diese Kulturen.
2. Traditionelle Bevölkerungen
Über traditionelle Bevölkerungen zu sprechen ist eine große Herausforderung, nicht nur auf Grund der Komplexität, der Diversität und der Besonderheiten der Gesellschaften, die dieser Begriff in sich birgt, sondern auch wegen der Fülle an semantischen Unstimmigkeiten, die er hervorruft.
Man sollte sich nicht mit den semantischen Problemen auseinandersetzen, die sich darum drehen, welches denn nun die beste Bezeichnung für Gruppen wie indigene Völker, Quilombos und lokale Gemeinschaften ist. Man muss akzeptieren, dass es vom soziokulturellen Standpunkt aus problematisch ist, so verschiedenartige Gemeinschaften unter einen Hut bringen zu wollen, und in Wirklichkeit kann keine Gruppe ungestraft den Anspruch erheben, alle diese Völker in sich zu vereinen.
Die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) hat den Ausdruck „lokale Gemeinschaften und indigene Völker“ übernommen; Die von der Regierung erlassene Provisorische Maßnahme MP Nr. 2.186-16/01 bezieht sich auf „indigene Gemeinschaft und lokale Gemeinschaft“, Diegues (1998, S. 75) hebt hervor, dass immer noch Begriffe wie „traditionelle Bevölkerungen“, „traditionelle Gesellschaften“, „traditionelle Gemeinschaften“ benutzt werden, was auf die Existenz verschiedener anthropologischer Schulen zu diesem Thema deutet. Sicher ist, dass diese Terminologie noch sehr neu ist und da sie gerade erst geboren wurde, erst noch klar definiert werden muss (CUNHA e ALMEIDA, p. 184, 2001).
Aus diesem Grund entschieden wir uns willkürlich für den Begriff „traditionelle Bevölkerungen“ in der Absicht, darin indigene Völker, Quilombos und lokale Gemeinschaften, wenn auch künstlich, zusammenzufassen.
Es muss betont werden, dass nicht der Aufenthaltsort einer sozialen Gruppe entscheidet ob es sich um eine traditionelle Gruppe handelt. Die Gruppe kann sich in einem Schutzgebiet, auf indigenem Land, Quilombo-Land, an einem Flussufer in Amazonien, in einem städtischen Zentrum, auf einem Markt, in Häusern, in denen afro-brasilianische Religionen praktiziert werden, in Ansiedlungen der Agrarreform aufhalten. Nicht der Ort definiert, was die Gruppe ist, sondern ihre Lebensweise und die Art und Weise ihrer Beziehung zur biologischen Vielfalt, die sich aus einer Abhängigkeit ergibt, die nicht nur der Sicherung des Lebensunterhaltes dient, sondern auch materielle, wirtschaftliche, kulturelle, religiöse oder spirituelle Ausmaße haben kann.
Wir sollten Überlegungen zum Maßstab der nun angesprochenen Thematik anstellen: Wissen, das aus einer engen Beziehung zur Natur entsteht. In der Tat ist die Beziehung zur Natur ein Hauptbestandteil der sozialen Organisationsform traditioneller Bevölkerungen. Sicherlich stehen alle sozialen Gruppen in irgendeiner Wechselbeziehung zu den natürlichen Ressourcen, aber für die traditionellen Bevölkerungen ist diese Beziehung von so besonderer Bedeutung, dass jeglicher Vergleich mit den so genannten Industriegesellschaften unzulässig ist.
Die traditionellen Bevölkerungen bringen sich in die Debatten über biologische Vielfalt ein und versuchen die Thesen, die auf der Trennung von Mensch und Natur basieren, zu überwinden. Naturschutz als Alternative zur Naturzerstörung spielte und spielt noch immer eine wichtige Rolle, denn er ermöglicht es, eine bestimmte Umgebung zu erhalten und schädigende und räuberische Praktiken abzuwenden. Für Entwicklungsländer wie Brasilien jedoch ist er keine befriedigende Alternative. Betrachtet man den engen Zusammenhang zwischen Soziodiversität und Biodiversität, so sollte eine Alternative geschaffen werden, die neben dem Schutz der Biodiversität auch die soziale Entwicklung, besonders die der traditionellen Völker, zulässt.
Die Sichtweise der Erhaltung ist eine Gegenbewegung, die in der Beziehung der traditionellen Völker zur Natur einen Gewinn sieht und dies nutzt, um ihr Anliegen zu unterstützen, das später im Völkerrecht formalisiert und von der CBD unterzeichnet wurde.
Erhaltung bedeutet nachhaltige Nutzungsstrategien, die über vernünftige Ressourcennutzung und -management geregelt werden und die den Menschen als wichtigen Bestandteil des Gleichgewichts ansehen. Das heißt, dass die Strategie zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen die traditionellen Völker als wichtigste Akteure in den Schutz der biologischen Vielfalt mit einbezieht.
Tatsächlich erweisen die traditionellen Völker in der Zeit, in der sie die biologische Vielfalt schützen und mit ihr umgehen, der nicht-traditionellen Gesellschaft einen überaus wichtigen ökologischen Dienst. Diese Aktivitäten und ihre Bedeutung offen zu legen, heißt gleichzeitig, ihren Wert anzuerkennen und Gemeinschaften, die in der Geschichte ausgeschlossen waren, mit einzubeziehen, und das ist eine Herausforderung angesichts hartnäckig sich haltender Ansichten aus der kolonialen Vergangenheit in Ländern wie Brasilien.
Die traditionellen Völker werden zu Akteuren der nachhaltigen Entwicklung und des Naturschutzes und erhalten gleichzeitig einen Status, der institutionell und juristisch anerkannt ist. So beginnt für diese Gruppen eine neue Beziehung zum Staat angesichts der Frage nach politischer Anerkennung und Identität (PINTO und AUBERTIN, 2005, S. 11).
Der Schutz von traditionellem Wissen ist Teil einer Kampfagenda, die viele Themen wie Umwelt, Lebensraum, Wissen, Selbstbestimmung, Recht auf Gleichheit, soziale Einbindung, kulturelle Rechte usw. einschließt.
Diese Kampfagenda, die letztendlich die Rechte der traditionellen Völker vertritt, wird von kolonialistischen Auffassungen beharrlich boykottiert, die diese Menschen unter anderem als träge, minderwertig, exotisch bezeichnen.
Hier liegen die Schwierigkeiten hinsichtlich des Schutzes und der Verteidigung der besagten Rechte. Die Anerkennung einer sozial und historisch gesehen so ausdrucksstarken Gemeinschaft, die gleichzeitig Opfer ununterbrochener Ausschlusspraktiken ist, schafft ein Umfeld der Auseinandersetzung, der Rebellion gegen wiederholte räuberische Praktiken. Auch heute noch sorgen kolonialistische Reden dafür, dass die lokalen Bevölkerungen im hegemonialen Kontext untergehen und unsichtbar bleiben.
Tatsächlich wird dieses System durch die Dringlichkeit einer gesetzlichen Regelung, die diese Rechte bestätigt, in Frage gestellt. Sie ist das Ergebnis jahrelanger Kämpfe der traditionellen Bevölkerungen. Ein Schauplatz dieser Auseinandersetzung sind die neuen Regeln über Zugang und Nutzung von traditionellem Wissen.
Die traditionellen Völker haben den Kampf um die Hauptrolle bei der Nutzung ihrer Ressourcen aufgenommen, mit einem vor Kurzem begonnenen Prozess des Ungehorsams und der Nicht-Akzeptanz des von der hegemonialen Gesellschaft geschaffenen Systems. Wenn sich indigene Völker beispielsweise organisieren und sagen: „unser Wissen ist keine Handelsware“, so kritisieren sie damit das herrschende System und es beginnt ein Kampf um Macht in all ihren vielfältigen Erscheinungsformen.
3. Der rechtliche Schutz von traditionellem Wissen in Bezug auf biologische Vielfalt
Die CBD war eine Art “Wasserscheide” für die Erforschung der biologischen Vielfalt. Vor der Unterzeichnung stützte sich der Schutz der biologischen Vielfalt auf wissenschaftliche, ästhetische und Erholungswerte, besonderes Augenmerk wurde auf die so genannten „charismatischen Arten“ gelegt. Die CBD hat den Kreis der an der Diskussion über biologische Vielfalt beteiligten Akteure erweitert und diversifiziert. Durch die ökonomische Bewertung der biologischen Vielfalt beteiligen sich nun auch Unternehmen, nationale Bundesstaaten, internationale Institutionen, NROs und lokale Bevölkerungen an der Debatte, wobei letztere vor allem eine nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt und einen Vorteilsausgleich anstreben (ENRIQUEZ, 2005, S. 01).
Auch wenn man lange geglaubt hat, dass das Leben dieser Völker nicht mit Naturschutz und nachhaltiger Nutzung vereinbar ist, hat die CBD nun ein anderes Paradigma aufgestellt. Die Konvention akzeptiert die Möglichkeit einer harmonischen Koexistenz von Gesellschaft und Natur und überwindet damit die Tiefenökologie, nach der natürliche Ressourcen nur bestehen können, wenn der Mensch sich fern hält, denn jegliches Miteinander ist in erster Linier schädlich (DIEGUES, 1999, S. 5).
Wenn die CBD die engen Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt und der Lebensweise traditioneller Gemeinschaften anerkennt und die Theorie der sozialen Ökologie aufnimmt, erkennt sie auch die Wichtigkeit der Überwachung der Beziehung zwischen menschlichen Bevölkerungen und biologischer Vielfalt an und gesteht ein, dass „Landschaft das Ergebnis einer gemeinsamen, verknüpften Geschichte ist: die Geschichte der Menschheit und der Natur“, so dass die biologische Vielfalt ein “kulturelles und soziales Bauwerk“ ist (DIEGUES, 1999, S. 8).
Wir müssen allerdings nach Aubertin e Boisvert (1998, S. 17) den „ambivalenten“ Charakter der Konvention im Auge behalten. Diese Autorinnen weisen auf die Notwendigkeit einer objektiven Analyse der Konvention hin, denn zur selben Zeit, da sie den von traditionellen Völkern durchgeführten Arbeiten zur Bewahrung einen Wert beimisst, verfestigt sie das System geistigen Eigentums, indem sie Mechanismen zu seiner Erweiterung schafft. Auf der anderen Seite sind durch die Konvention die Diskussionen über das Recht der traditionellen Völker auf die Kontrolle ihrer natürlichen Ressourcen und das damit zusammenhängende Wissen, zurückgegangen. Dies sollte allerdings nur als eine neue Ausdrucksform der Auseinandersetzung gesehen werden, sicherlich sind die Diskussionen über biologische Vielfalt nicht der geeignete Ort für die Verteidigung dieser Rechte (AUBERTIN e BOISVERT, 1999, S. 73).
Die Konvention über biologische Vielfalt spielte eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Rechtsgrundlagen zur Sicherung einer ganzen Reihe von Rechten, wie beispielsweise Rechte, die das Wissen, Innovationen und Techniken betreffen, die von traditionellen Völkern in Interaktion mit der Natur entwickelt wurden.
Die Ziele der CBD sind in Artikel 1 festgelegt: “Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile, insbesondere durch angemessenen Zugang zu genetischen Ressourcen und angemessene Weitergabe der einschlägigen Technologien unter Berücksichtigung aller Rechte an diesen Ressourcen und Technologien sowie durch angemessene Finanzierung”
Die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen der biologischen Vielfalt ergebenden Vorteile, unter Berücksichtigung aller Rechte an diesen Ressourcen, ist also eines der entscheidenden Elemente, die in dieser Konvention festgehalten sind. Auf nationaler Ebene wurde als direkte Folge der Konvention ein normatives Konzept entworfen, das traditionellen Gesellschaften die Ausübung ihrer Rechte in Bezug auf traditionelles Wissen über biologische Vielfalt garantiert.
Die wichtigsten Normen über kulturelle Rechte traditioneller Völker, die im Rahmen der CBD auf nationaler Ebene geschaffen wurden, beziehen sich auf den Zugang zu traditionellem Wissen und dessen Nutzung, die Schaffung eines nationalen Systems von Schutzgebieten, die nationale Biodiversitätspolitik und Umweltverträglichkeitsprüfungen.
In Brasilien stützen sich die Rechte traditioneller Völker in Bezug auf ihr Wissen in erster Linie auf die brasilianische Verfassung, wobei die konkrete Frage nach Zugang und Nutzung traditionellen Wissens in der von der Regierung erlassenen Provisorischen Maßnahme MP Nr. 2.186-16/01 geregelt ist.
Trotz vieler Kritiken hat die genannte Provisorische Maßnahme einige Grundsätze über traditionelles Wissen aus der CBD aufgenommen: Sie legt eine notwendige Zustimmung der traditionellen Völker und eine ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus den Forschungsergebnissen, der Entwicklung von Technologien und der Bioprospektion fest. Dazu wird ein Vertrag über Zugang, Nutzung und Vorteilsausgleich abgeschlossen, der dem verantwortlichen Regierungsorgan zur Genehmigung vorgelegt werden muss. In Brasilien ist das der Nationale Rat zur Verwaltung des Genetischen Vermögens im Umweltministerium.
Die Anwendung dieses normativen Konzeptes sollte sich an folgenden Säulen orientieren, die Prinzipien gleich kommen:
- Gerechtigkeit und Ausgewogenheit in den Beziehungen zwischen den traditionellen Völkern und den Akteuren der Forschung, der technologischen Entwicklung und der Bioprospektion
- Wahrung des Rechtspluralismus
- Anerkennung von Armut oder Vulnerabilität traditioneller Völker
- Einsicht, dass diese Normen von öffentlichem und sozialem Interesse sind.
Neben diesen Prinzipien gibt es folgende Richtlinien zum Schutz von traditionellem Wissen, die übernommen werden sollten, um die Rechte seiner Eigentümer zu garantieren:
- vorherige begründete Zustimmung (bereits erwähnt)
- Angaben zum Ursprung des traditionellen Wissens
- das Recht der Gemeinschaften über die Nutzung ihres Wissens zu entscheiden
- die Weiterentwicklung der Kapazitäten lokaler Gemeinschaften und indigener Völker, damit sie die Schutzsysteme für ihr Wissen nutzen können
- der Nachweis über die zulässige Herkunft der Ressourcen als Voraussetzung für eine Bewilligung der Rechte in Bezug auf genetische Ressourcen (REPETTO, 2004, S. 10).
Übersetzung: Cornelia Knauss
Vollständiger Beitrag im portugiesischen Original "CONHECIMENTOS TRADICIONAIS E SUA PROTEÇÃO" (PDF, 9 Seiten) von Eliane Moreira.