Stiftungsmagazin 2/2001 Nach dem 11. September
Von Ralf FücksDie Terroranschläge des 11. September wurden vielfach als Produkt der Verzweiflung über die Demütigung und Perspektivlosigkeit des Südens interpretiert, als ein Akt der Gegengewalt gegen die Wirtschaftsmacht und die arrogante Hegemonialpolitik der USA selbst.
Selbstverständlich muss der soziale und politische Nährboden des Terrorismus diskutiert werden, ohne sich damit den Vorwurf einer verdeckten Rechtfertigung der Anschläge einzuhandeln. Selbstkritik gehört zu den Stärken demokratischer Gesellschaften. Sie ist umso notwendiger in Zeiten, in denen sie angegriffen werden.
Es liegt auf der Hand, dass der notorische Antiamerikanismus in weiten Teilen der Welt auch mit den doppelten Standards der US-Außenpolitik zu tun hat, mit der Beschwörung oder Missachtung von Menschenrechten und Völkerrecht je nach machtpolitischer Interessenlage. Vergleichbares gilt für die Gleichgültigkeit der reichen Industriegesellschaften gegenüber den miserablen Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung in den südlichen Kontinenten. Wenn Milliarden Menschen in den bloßen Kampf ums Dasein abgedrängt werden, ohne Aussicht, dem Elend durch eigene Anstrengung zu entkommen, ist das eine Brutstätte für Fanatismus und Gewalt aller Spielarten. Wer Stellvertreterkriege finanziert und Bürgerkriegsparteien bewaffnet, muss sich nicht wundern, wenn sich diese Waffen am Ende gegen ihn selbst richten.
Dennoch greifen diese Erklärungen zu kurz. Zum einen ist es eine Art negativer Omnipotenzphantasie, "den Westen" für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen, die den Nährboden für den militanten Fundamentalismus bilden: für den Hunger in der Subsahara oder in Südasien wie für die Regionalkriege am Kongo oder um Kaschmir, für die gescheiterte Modernisierung der meisten arabischen Länder wie für den staatlichen Despotismus in zahlreichen ehemaligen Kolonien.
Die These, dass die Ursache für die Attacken auf die USA vor allem in der westlichen Welt selbst zu suchen sind, verkennt auch den Charakter und die Motive des militanten Islamismus. Man muss klar aussprechen, dass der Islamismus – nicht der Islam als Religion – eine totalitäre Bewegung ist, weil er die Differenz zwischen Religion, Gesellschaft und Staat einebnen und das gesamte gesellschaftliche Leben einer antiliberalen, extrem intoleranten und frauenfeindlichen Interpretation des Islam unterwerfen möchte.