Blick zurück nach vorn

Lesedauer: 7 Minuten

Eröffnungsrede zu dem Kongress "25 Jahre Grün - Blick zurück nach vorn", Berlin, 28./29. Januar 2005. Von Ralf Fücks

19. März 2008
25 Jahre sind eine lange Zeit, erst recht für eine Partei wie die Grünen,  die sich so turbulent  entwickelt und vielfach gehäutet hat.  Dazu fällt mir eine kleine Geschichte von Bert Brecht ein: Ein alter Bekannter begegnete nach langen Jahren Herrn Keuner (dem alter ego des Dichters) und begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich ja gar nicht verändert!“ – Oh! sagte Herr Keuner, und erbleichte...

Wir wollen mit diesem Kongress genauer wissen, wie sich die Grünen auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen geändert haben: was ist noch lebendig von den Idealen der Gründerzeit, wie hat das Regieren die Partei und ihr Politik-verständnis verändert – und vor allem: was sind die grünen Perspektiven über den nächsten Wahltag hinaus?

Wir haben deshalb v.a. diejenigen zu Wort gebeten, die aktuell für grüne Politik stehen. Ich bitte das nicht als Achtlosigkeit gegenüber der Gründergeneration zu nehmen. Geschichtsblind soll diese Tagung  ganz und gar nicht sein. So wird der heutige Abend ganz im Zeichen eines Blicks zurück nach vorn stehen.

Der Reigen wird eröffnet durch Wilhelm Knabe, der das Schlusswort auf dem Gründungskongress in Karlsruhe gehalten hat.

Vor dem anschließenden Podium zeigen wir einen kurzen Dokumentarfilm, der uns im Zeitraffer die Geschichte der Grünen vor Augen ruft. Mich haben diese Bilder ziemlich bewegt, und ich vermute, vielen hier wird es ebenso gehen. Von heute aus betrachtet scheint es fast ein Wunder, daß diese Partei trotz all dem Tohuwabohu überlebt hat – ein Wunder an politischer Energie, Sendungs-bewußtsein, Chaostoleranz und Durchhaltevermögen. Die Grünen haben mit dem Ökologie-Thema eben doch einen Zentralnerv getroffen; die Partei bündelte eine Aufbruchstimmung, die nach einem eigenen politischen Ausdruck drängte.

Zugleich erinnert der Film an den faszinierenden Reichtum an Talenten und Persönlichkeiten, die durch das grüne Projekt angezogen wurden. Ich möchte nur drei von ihnen nennen, die nicht mehr unter den Lebenden sind:
Petra Kelly, die mit ihrer vibrierenden Energie und ihrem Charisma zur grünen Symbolgestalt auf allen Kontinenten wurde – auch wenn die deutschen Grünen eine Pionierrolle spielten, waren sie von Beginn an Teil einer internationalen Bewegung;
Willi Hoss, der den Bogen spannte zwischen den Anliegen der Arbeiter in der Autoindustrie, den Lebensbedingungen der Indianer am Amazonas und dem globalen Ökosystem;  und Rudi Dutschke, der in den Grünen die Chance für ein Bündnis zwischen  undogmatischen Linken und Bürgerlichen auf der Basis der ökologischen Frage sah;

Diese politische und menschliche Vielfalt war außergewöhnlich.  Sie war auch anstrengend, aber die Grünen  haben daraus eine geistige Lebendigkeit bezogen, die weit ausstrahlte. Mit den Jahren sind wir professioneller geworden, das war nötig, um als Regierungspartei zu bestehen; inzwischen huldigen wir der Tugend der  „Geschlossenheit“ in einem Maß, von dem Angela Merkel nur träumen kann – aber wir sollten aufpassen, daß wir darüber unsere Debattier-freude und jene produktive Unruhe nicht verlieren, die eine Reformpartei braucht.

Realismus und Augenmaß sind politische Tugenden, aber wir brauchen auch künftig den Mut zum Querdenken, wenn wir der Reform-Motor der Republik bleiben wollen. Heute droht den Grünen Gefahr nicht von zu viel, sondern von zu wenig Debatte. Dem versuchen wir als Stiftung nach Kräften zu begegnen.

Keine Sorge, ich bin weit davon entfernt, die alten Zeiten zu beschwören, in denen sich Fundis und Realos, Ökosozialisten und Ökolibertäre, Feministinnen und Konservative erbitterte Schlachten lieferten. Nur Masochisten können von der grünen Streitkultur der 80er Jahre schwärmen. Es war überfällig, daß diese Sorte von Richtungskämpfen entschieden wurde, und es  war unvermeidlich, daß es dabei zu Trennungen kam – nach links wie nach rechts.

Zu Beginn war ja keineswegs klar, in welches politisches Fahrwasser der ökologische Protest  geraten würde. In der Partei gab es in der Gründerzeit  Strömungen, die als  nationalkonservativ zu bezeichnen noch milde ist.
Auf der anderen, der linken Seite des Spektrums gab es viele, die in den Grünen nur einen Durchlauferhitzer für eine neue Linkspartei oder ein Vehikel radikaler Systemopposition sahen. So tobte ein permanenter Kampf um die Definitions-macht über grüne Politik, und  es zählt zu den historischen Verdiensten der Grünen, daß sie die Ökologiefrage fest in der demokratischen Moderne verankert haben.

Die Grünen haben ihren Teil dazu beigetragen, unsere Gesellschaft demokratischer, weltoffener, toleranter und ökologischer zu  machen. Und wir werden auch die nächsten 25 Jahre als Impulsgeber und Antreiber gebraucht, wenn es darum geht, den ökologischen Umbau voranzubringen, Menschenrechte zu verteidigen, der Globalisierung ein menschliches Gesicht zu geben und das Recht auf Selbst-bestimmung und soziale Teilhabe für alle zu sichern.

Es ist wahr, wir haben uns in den letzten 25 Jahren vom Rand in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Aber ich wehre mich dagegen, diesen Weg als Preisgabe grüner Ideale zu denunzieren. Vieles, das die Grünen angestoßen haben, ist inzwischen gesellschaftlich anerkannt; was sie über Bord geworfen haben, waren v.a.  fehlgeschlagene Experimente und ideologische Verrenkungen. Wer weint etwa der mechanischen Abgeordneten-Rotation oder dem imperativen Mandat eine echte Träne nach? Und wer mag sich noch damit geißeln, daß es revolutionstheologisch betrachtet keine richtige Politik im falschen System geben kann? Das überlassen wir doch gern der kommunistischen Plattform in der PDS.

Schwieriger wird es mit der Frage von Krieg und Frieden – es war tatsächlich eine kopernikanische Wende, daß die Grünen friedenserzwingenden Einsätzen der NATO zugestimmt haben.  Aber ich erinnere daran, daß wir uns dazu durchgerungen haben, noch bevor Grüne im Bundeskabinett saßen – nämlich angesichts des Massakers in Srebrenica, das sich in diesem Jahr zum 10. Mal jährt. Das war kein Regierungsopportunismus, sondern eine Frage der Verteidigung der Menschenrechte und der Beendigung eines brutalen Krieges.

Wenn Rainer Trampert, ehemaliger Star der Linken in den Grünen, uns heute  „die mangelnde Bereitschaft, nichts zu werden“, vorwirft, können wir damit gelassen leben – wie heißt es doch in der „Internationale“: „Ein Nichts zu sein ertragt nicht länger, alles zu werden, strömt zu Hauf...“ Dabei wollen wir gar nicht „alles“ werden,  sondern  nur die stärkste der Partei‘n, damit die Sozis nicht mehr so viel Wasser in den grünen Wein gießen können!

Wir sollten es also nicht als Vorwurf verstehen, wenn man uns vorhält, wir wären nicht mehr die Grünen von 1980. Es ist gut, daß wir auf unserem langen Marsch die parlamentarische Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Pluralismus schätzen gelernt haben. Es trifft zu, daß grüne Politik heute v.a. aus parlamentarischer Kleinarbeit besteht, von den Kommunen bis zum Bund. Das ist  nicht sehr sexy. Aber große Ziele und kleine Anfragen schließen sich nicht  aus. Man darf nur nicht die tägliche Presseerklärung mit realer Politik verwechseln.

Sicher macht es mehr Spaß, dabei zu sein, wenn große Geschichte gemacht wird – wie in den Tagen der friedlichen Revolution von 1989. Wir West-Grünen haben damals übrigens keine besonders gute Figur abgegeben, von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen. Solche Tage sind aber eher selten, erst recht in demokratischen Gesellschaften, und danach beginnen wieder die Mühen der Ebene. Sein Leben im Wartesaal der Geschichte zu verbringen, ist kein guter Rat, schon gar nicht für eine politische Partei.

Es ist aber auch wahr, daß Wahlen, Parlamente und Regierungen nicht die ganze politische Welt bedeuten. Grünes Politikverständnis ist nicht die umfassende staatliche Beglückung der Gesellschaft, sondern die weitestgehende Freisetzung von Eigeninitiative und Selbst-bestimmung. Wer die Welt nur noch aus der Regierungsperspektive sieht, wird mit Opposition nicht unter vier Jahren bestraft.

Wir sind in diesen 25 Jahren nüchterner geworden, pragmatischer und kompromissfähiger. Aber wir sind darüber nicht zu Zynikern geworden, die nicht mehr an die Veränderbarkeit der Welt zum Guten glauben. Ich wünsche uns allen weiter viel Glück und Erfolg auf diesem Weg – und eine ebenso anregende wie unterhaltsame Konferenz.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.