Krise Israel - Libanon: Israel in die NATO. Eine paradoxe Intervention

Lesedauer: 7 Minuten

19. März 2008
von Ralf Fücks

Die militärische Eskalation im Nahen Osten hat Europa aus der außenpolitischen Lethargie aufgeschreckt. Hinter dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah werden die Umrisse eines Pulverfasses sichtbar, das auch die Sicherheit Europas bedroht. Der Irak droht unter seinen ethno-politischen und religiösen Konflikten auseinander zu brechen. Das radikal-islamische Regime im Iran stellt offen das Existenzrecht Israels in Frage und greift nach der Atombombentechnologie. Der sich selbst überlassene, von der Außenwelt weitgehend abgeschnittene Gazastreifen ist zu einem Treibhaus der Gewalt geworden. Israels Politik der vollendeten Tatsachen hat die Lage nicht entspannt, sondern zur Eskalation der Gewalt beigetragen.

In dieser brisanten Atmosphäre war der Angriff der Hisbollah auf Israel der Funke, der einen Flächenbrand auszulösen droht. Israel hat sich vor sechs Jahren aus dem Libanon zurückgezogen. In dieser Zeit verwandelte die radikalislamische „Partei Gottes“ unter syrischer und iranischer Obhut den Südlibanon in eine Raketen¬abschussbasis gegen Israel – ungeachtet aller UN-Resolutionen, die eine Entwaffnung der Milizen forderten. Israel blieb nach der Entführung der zwei Wehrpflichtigen, bei der acht andere Soldaten getötet wurden, keine andere Wahl, als massiv gegen die Bastionen der Hisbollah im Libanon vorzugehen. Der Überfall auf das israelische Militär und die folgenden Raketenangriffe auf israelische Städte berühren die Existenzfrage des jüdischen Staates. Es ist kein Ausdruck von Paranoia, dass in den Augen der meisten jüdischen Israelis ihre Sicherheit immer noch von der Abschreckungs¬fähigkeit der israelischen Armee abhängt. Dass die Attacken aus Gebieten kommen, die von Israel geräumt wurden, macht die Sache noch schlimmer.

Auch wenn Israel in der Öffentlichkeit jetzt als Angreifer dasteht, der mit seiner überlegenen Militärmacht einen Nachbarstaat mit Krieg überzieht, handelt es sich politisch wie rechtlich um einen Akt der Verteidigung. Das rechtfertigt keine wahllose Gewalt. Die Bombardierung von Wohnquartieren und zivilen Einrichtungen durch die israelische Luftwaffe ist menschlich und politisch unhaltbar. Es ist nicht absehbar, wie Israel mit dieser Art der Kriegführung seine legitimen Anliegen – Freilassung der entführten Soldaten, Auflösung der Raketenbasen der Hisbollah im Südlibanon – erreichen kann. Die Waffen sollten besser heute als morgen schweigen. Aber niemand sollte von Israel erwarten, dass es angesichts der Gefahr aus dem Norden die Hände in den Schoß legt. Jede politische Lösung des Konflikts muss dafür sorgen, dass die entführten Soldaten freikommen und die Bedrohung Israels aus dem Südlibanon ein Ende findet. Wenn die libanesische Regierung (in der die Hisbollah vertreten ist) dies nicht gewährleisten kann, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Israel sorgt selbst für seine Sicherheit, oder die UN muss diese Garantiefunktion übernehmen. Das Erste birgt die Gefahr einer militärischen Eskalation und steigender Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung. Deshalb spricht viel für die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe im Südlibanon, ausgestattet mit einem robusten Mandat der Vereinten Nationen, um die Situation zu stabilisieren. Die offene Frage ist, ob ein solches Mandat notfalls auch gegen die Hisbollah durchgesetzt werden soll. Das wäre mehr als „peace keeping“, und für eine konfliktträchtige Mission gibt es vermutlich wenig Anklang in der UN. Dennoch ist die Idee einer Internationalisierung des Konfliktmanagements im Nahen Osten richtig. Der Libanon könnte ein Einstieg sein. In der Westbank fehlen allerdings zurzeit alle Voraussetzungen für eine internationale Friedenstruppe. Ihr Mandat müsste als Bestandteil einer Verhandlungslösung vereinbart werden. Dann könnte eine internationale Präsenz in der Westbank sinnvoll sein, um den israelischen Abzug zu flankieren und den friedlichen Übergang zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu sichern.

Eine entscheidende Rolle für die Verschärfung oder Beruhigung der Lage spielt der Iran. In alle regionalen Konflikte ist das iranische Regime direkt oder indirekt verwickelt. Im Atomstreit lotet es die Spielräume für eine Veränderung des Kräftegewichts in der Region aus. Im Irak mischt die Islamische Republik längst über die „Shia Connection“ mit. Und die Hisbollah wie die Hamas finden im revolutionären Regime des Iran einen Bruder im Geiste des „Antizionismus“, der es versteht, auf der Klaviatur des ideologischen wie des bewaffneten Kampfs gegen Israel zu spielen. Für eine erfolgreiche Einhegung des Iran ist eine Entspannung des Nahost-Konflikts von elementarer Bedeutung. Wenn die USA und Europa Rückhalt in der arabischen Welt für eine harte Haltung gegenüber der iranischen Regierung gewinnen wollen, müssen sie glaubwürdig für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts eintreten. Zwar ist die iranische Bombe auch für die herrschenden Regimes in Ägypten, Saudi Arabien und den Golfstaaten ein Alptraum; aber unter den arabischen Massen sind die Sympathien anders verteilt. So lange Hoffnungslosigkeit und Erbitterung unter den Palästinensern grassieren, hat der Iran auch alle Möglichkeiten, die terroristische Karte gegen Israel zu spielen. Deshalb muss der Westen gerade angesichts der ideologischen und politischen Herausforderung durch Teheran möglichst rasch zu einer aktiven Nahost-Politik zurückfinden.

Die bisherige Erfahrung zeigt: Es geht um mehr als um einen fein austarierten Friedensplan, der nur noch implementiert werden muss. Friedenspläne gab es schon viele. Was blieb, ist der Konflikt. Ein wesentlicher Grund für die Stagnation ist der Mangel an Vertrauen, der – nicht ohne Grund – auf beiden Seiten herrscht. Auch moderate Palästinenser haben inzwischen den Glauben an die Verständigungsbereitschaft Israels verloren. Umgekehrt bezweifeln große Teile der israelischen Bevölkerung die Friedensfähigkeit der Palästinenser. Für sie liegt die einzige Existenzgarantie Israels in einer Politik der Stärke.

Jede realistische Friedenspolitik muss sich damit auseinander setzen, dass aus der Sicht der meisten Israelis im Rückzug aus den besetzten Gebieten ein schwer kalkulierbares Risiko für Israels Zukunft liegt. Die aktuellen Erfahrungen mit den Raketen-Angriffen aus dem Libanon und dem Gaza-Streifen verstärken diese Befürchtungen. Zwar spricht einiges dafür, dass der grassierende Antisemitismus in der arabischen Welt mit einem gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern an Schwungkraft verlieren wird. Aber in den radikal-islamischen Bewegungen gibt es genügend Kräfte, die sich mit Israel als jüdischem Staat (dem „zionistischen Gebilde“) nicht arrangieren wollen. Es braucht deshalb belastbare Garantien für Israel im Rahmen eines umfassenderen Abkommens.

Wer kann als Treuhänder für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten einstehen? Fakt ist, dass die große Mehrheit der Israelis der UNO nicht vertrauen und ihre Sicherheit nicht einer UN-Friedenstruppe überantworten werden. Dafür gibt es zu viele „Antizionisten“ in den Vereinten Nationen, die Israel als Stachel im Fleisch der islamischen Welt und als kolonialen Vorposten der USA sehen. Die Europäische Union allein ist mit der Rolle des Friedensstifters im Nahen Osten überfordert. Das gilt – aus anderen Gründen – auch für die USA. Aber gemeinsam könnten sie diese historische Aufgabe schultern, und zwar im eigenen Interesse. Deshalb muss die NATO diese Aufgabe übernehmen.

Die Mitgliedschaft in der transatlantischen Verteidigungsallianz würde Israel die politische und psychologische Sicherheit geben, einen historischen Kompromiss mit den Palästinensern einzugehen, mit dem sich beide Seiten wechselseitig als souveräne Staaten anerkennen. Die Beistandsgarantie gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages gäbe Israel den Rückhalt, den es braucht, um das Risiko eines Rückzugs aus der Westbank einzugehen. Umgekehrt würde es eine solche Lösung Palästina ermöglichen, endlich ein souveräner Staat zu werden, der über sein eigenes Schicksal bestimmt. Eine NATO-Mitgliedschaft würde es Israel erlauben, entspannter zu agieren und damit den Raum für einen Verhandlungsfrieden erweitern. Sie wäre gerade nicht ein Schritt zur Militarisierung des Konflikts, sondern würde die Schwelle für bewaffnete Auseinandersetzung höher legen – einerseits durch die Beistandsgarantie für Israel, andererseits durch die Einbindung Israels in die politische Konsultativstruktur der NATO.

Als flankierende Maßnahme sollte Palästina internationale Wiederaufbau-Hilfe nach dem Muster des Marshall-Plans zugesichert werden, der den Aufschwung Westdeutschlands aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs einleitete. Diese Hilfe muss an die Verpflichtung gebunden werden, einen demokratischen Verfassungsstaat aufzubauen, der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung garantiert.

Weshalb sollte sich das Angebot einer NATO-Mitgliedschaft zunächst an Israel richten? Die Mitgliedschaft in der transatlantischen Allianz sollte demokratischen Staaten vorbehalten bleiben, um ihre Kohärenz als demokratische Wertegemeinschaft zu bewahren. Diese Bedingung zu formulieren, ist keine Absage an eine künftige Einbeziehung arabischer Staaten, sondern beschreibt einen möglichen Weg in diese Richtung. Entscheidend ist, dass eine NATO-Mitgliedschaft Israels in der arabischen Welt nicht als Akt hegemonialer Machtpolitik erscheint, sondern als Beitrag zu einer kollektiven Sicherheitsordnung für den Nahen und Mittleren Osten. Das klingt utopisch, ist aber realistischer als alles andere, das in den letzten Jahren als friedensstiftende Strategie für die Region gehandelt wurde.

Ralf Fücks ist Vorstand der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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