Premiere und Experiment zugleich

Lesedauer: 5 Minuten

19. März 2008
Berlin, 23.September 2005

von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Dieser Kongress ist für uns ein Premiere und ein Experiment, vor allem in der Vielzahl der beteiligten Akteure und der Kombination vielfältiger Elemente: Diskussionen, Filme, Installationen, Musik, Ausstellungen. Es ist nicht nur ein Kongress über Kunst – Kunst ist als Denkform und Medium der Auseinandersetzung mit der Welt selbst zentrales Moment dieses Kongresses, und Künstler sind seine zentralen Akteure.

Anlass des Kongresses ist, dass wir genauer wissen wollen-, was es mit der vielbehaupteten Repolitisierung von Kunst auf sich hat; welche politischen Impulse von aktueller Kunst ausgehen und wie die Wechselbeziehung von Politik und Kunst in Berlin aussieht.

Indizien für eine neue Politisierung von Kunst und Künstlern gibt es en masse. So rief dieser Tage Herbert Grönemeyer auf der Popkomm in der Nachfolge Bob Geldorfs zum Kampf gegen Armut auf und verkündete: „Wir machen so lange weiter, bis die Politiker uns nicht mehr ertragen können“.

Hatten sich Schriftsteller und Künstler wie Grass, Walser, Kumpfmüller, Zeh, Staeck schon im Wahlkampf für die SPD stark gemacht, wünscht sich Grass jetzt eine Ampel-Koalition – Schröder muss Kanzler bleiben, trotz oder gerade wegen seines kabarettreifen Auftritts am Wahlabend.

Dagegen äußert Schlingensief den frommen Wunsch, Regierung und Opposition sollten sich „endlich zusammen tun und die ganzen Machtspielchen unterlassen“; Aktionskünstler HA Schult ist über das schlechte Abschneiden von Merkel enttäuscht und wünscht sich ein Zusammengehen mit den Grünen, und Theaterdirektor Peymann sagte, jetzt gebe es wirklich einen Grund für Neuwahlen, weil es „sonst zum Endspiel wird“ wie bei Beckett.

Aber auch jenseits der Tagesaktualität inszeniert sich Kunst zunehmend als politisches Statement, von der Documenta über die RAF-Ausstellung in den Berliner Kunstwerken bis zur Auseinandersetzung um den Palast der Republik. Globalisierung, Migration, Krieg, soziale Deklassierung prägen die Spielpläne der Theater und die Programme der Museen.

Sind das Vorboten für eine neue radikale Infragestellung der herrschenden Verhältnisse oder nur ihre kritische Begleitmusik? Die rasanten sozialen und kulturellen Umbrüche und die Leerstelle, die die vorherrschende politische Sachzwangverwaltung hinterläßt, erzeugen offenbar ein Vakuum an Welterklärung und Orientierung, das von den Künsten gefüllt wird. Wer sonst übernimmt diese Rolle, wenn Parteien und Kirchen es nicht mehr können? Wie weit der politische Einfluß von Künstlern und Kunst tatsächlich reicht, steht auf einem anderen Blatt.

„Als Künstler scheint man erst einmal ohnmächtig“, sagt der Maler Jörg Immendorf, aber „andererseits sind wir Kulturträger gar nicht so wirkungslos, weil wir eine spezielle kulturelle Atmosphäre bewirken.“

Berlin ist ein guter Ort, um diesen Fragen nachzugehen. Berlin hat einen weltweiten Ruf als vitales und kreatives Zentrum für Kunst und Kultur. Die Stadt bietet dafür offenbar einen fruchtbaren Nährboden: als Drehscheibe zwischen Ost und West; als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Umbrüche und politischer Debatten; als interkulturelle Metropole - hier leben Deutsche aus allen Regionen und mehr als 400.000 Migranten aus 184 Nationen.

Die Berliner Kulturlandschaft ist zum zentralen Image-Faktor für eine ansonsten eher anämische Hauptstadt geworden. Allein die siebzehn staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bilden den größten Museumskomplex des Kontinents. Berlin ist die bedeutendste deutsche Theaterstadt. Nirgendwo ist die Kulturdichte höher: Drei große Opernhäuser, über 150 Theater und Bühnen, 800 Chöre, rund 170 Museen und Sammlungen, etwa 300 kommunale und private Galerien, mehr als 250 öffentliche Bibliotheken, 265 Kinos und zahlreiche weitere kulturelle Einrichtungen, ganz zu schweigen von den periodischen internationalen Festivals, Theatertreffen, Literaturtagen etc. pp.

Dem Reichtum der Kulturlandschaft steht ein chronisch unterfinanzierter Kulturhaushalt gegenüber. Besonders merkwürdig ist, dass angesichts dieser Lage der Titel für die Förderung freier Gruppen nicht ausgeschöpft wurde. Bei einem Ansatz von bescheidenen 4,096 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr nur 3,565 Millionen ausgegeben. Ob das an der Kulturbürokratie oder der Subventionsmüdigkeit der freien Szene liegt, kann ja vielleicht am Rande geklärt werden.

Wir wollen heute und morgen einen genaueren Blick auf die Berliner Kultur werfen, auf ihre Produktionsbedingungen, Eigenheiten, Konkurrenzen, Allianzen und Strategien.

An beiden Tagen spielen künstlerische Inszenierungen neben Vorträgen und Diskussionen eine zentrale Rolle. Wir konnten dafür KuratorInnen (mit großem I) aus Berlin gewinnen, die mit bescheidenen Budgets und großem Einsatz dieses Programm auf die Beine gestellt haben.

Ich bedanke mich namentlich bei Ulrike Kremeier, Plattform; Vera Tollmann und Andreas Broeckmann von transmediale; Julia Gerlach von Klangquadrat und Olaf Kretschmar von clubcommission; Thomas Wohlfahrt von der LiteraturWerkstatt und Dirk Dotzert von Filmlounge.

Ein großes Dankeschön auch an unsere Kulturreferentin Britta Scholze und ihr Team, die den Kongress konzipiert und organisiert haben – und an Annette Maennel, die mit Rat und Tat bei der Realisierung dieses Projekts mitgewirkt hat.

Ich bedanke mich auch bei Alexander Schellow, der es geschafft hat, mit geringen finanziellen Mitteln eine intelligente Ausstellungsarchitektur zu kreieren.

Ich ziehe meinen imaginären Hut vor unserem Tagungsbüro, insbesondere vor Gundula Fienbork, bei der die vielen Fäden bei der Organisation und technischen Realisation des Kongresses zusammenliefen und die dabei nie den Überblick verlor.

Last but not least bedanken wir uns bei unseren Kooperationspartnern, der Arena und dem Kunstherbst Berlin, für die gute Zusammenarbeit.

» zur Übersicht des Kongresses

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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