Heldinnen des Protestes

22. April 2008
von Stefan Klein, 18. November 2007
Von Stefan Klein

Sie haben in Pakistan ein hartes Los - trotzdem engagieren sich Frauen im Widerstand gegen Staatschef Musharraf.
 
 Lahore - Sie protestieren nicht laut, aber unübersehbar. Sie palavern nicht, sondern packen an und denken praktisch. Sie mögen Angst haben wie alle anderen, aber sie zeigen es nicht. Sie sind die kleinen Helden des Protestes, und eigentlich muss man Heldinnen schreiben, denn es sind überwiegend Frauen. Khawar Mumtaz zum Beispiel oder Farida Shaheed: Sie sind Frauenrechtlerinnen in der Stadt Lahore und haben eigentlich genug damit zu tun, das Los der pakistanischen Frauen zu verbessern, das kein gutes ist. Aber was immer sie an Plänen und Projekten haben in diesen Tagen, es wird zurückgestellt, denn seitdem der Ausnahmezustand oder genauer: Das Kriegsrecht gilt in Pakistan, haben sie Wichtigeres zu tun.

Es werden ja Menschen verhaftet jeden Tag, vor allem Rechtsanwälte, und es braucht andere Menschen, die sich um sie kümmern. Die herausfinden, wo man jene festhält. Die sie mit Essen, Wasser und Medikamenten versorgen. Die sich überlegen, wie man ihnen sonst helfen und ihre Moral stärken kann. Die sich auch dann noch um einen Besuch bemühen, wenn er schon x-mal abgelehnt worden ist. Die Geld sammeln, um den Familien der Verhafteten beizustehen.

Stundenlang fragen

Khawar Mumtaz und Farida Shaheed tun all das und noch einiges mehr: Sie stehen stundenlang in Polizeistationen und fragen, so lange, bis sie vielleicht doch eine Antwort bekommen. Sie stehen stundenlang in Gerichtsgebäuden und versuchen Kaution zu stellen. Aber während sie das tun, gehen die Verhaftungen weiter - manchmal sogar mitten im Gericht.

Rechtsanwälte kommen ins Gericht, um sich um die Freilassung eines Kollegen zu bemühen - und werden verhaftet. Rechtsanwälte sitzen irgendwo im Gerichtsgebäude mit anderen Anwälten zusammen und unterhalten sich - und werden verhaftet. So haben es die beiden Frauen selber gesehen. Sind sie dann wieder im Büro, fügen sie ihren Listen neue Namen hinzu. Allein den Überblick zu behalten, ist schon eine Anstrengung. Am Mittwoch trafen sie sich mit anderen Helfern. Das war mutig, ein ähnliches Treffen zehn Tage vorher hatte mit einer Polizeiaktion und 53 Verhafteten geendet. Aber es war ihnen wichtig, denn es gab viel zu besprechen und viel zu tun, zum Beispiel die Flugblätter und die Armbänder und Aufkleber zu verteilen, die sie zu Tausenden haben anfertigen lassen.

Schwarze Protestarmbänder und ein schwarzes Flugblatt, auf dem sie in Weiß ein Gedicht des großen Dichters Faiz Ahmed Faiz abgedruckt haben. "Sprich!" heißt es. "Sprich!" steht auch auf den Aufklebern, und das soll heißen: Die Leute sollen ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Denn, und das ist die Frage, die neben dem Gedicht steht: "Wenn du mit dem Kriegsrecht nicht einverstanden bist - warum schweigst du dann?" Flugblatt, Aufkleber und Armbänder werden keine Massenartikel werden in Pakistan. Aber dass sie produziert, verteilt und benutzt werden, ist ein Zeichen, dass die Zivilgesellschaft sich rührt in Pakistan und sich jedenfalls nicht still ergibt.

Sie rührt sich auf den Straßen, wo man Autos mit schwarzen Tüchern sieht, und sie rührt sich sogar in einer Universität, die bislang für ihre unpolitischen Studenten bekannt war. Die "Lahore University of Management Sciences" (LUMS) ist eine kleine Elite-Uni, an der strebsam an Karrieren gebastelt wird. Doch plötzlich scheint sie aus der Art zu schlagen. Jeden Tag sind dort jetzt Protestaktionen, und das mitten im Examen. "Die sind auf einmal erwachsen geworden", wundert sich Literaturdozent Furrukh Khan und freut sich. Er sagt, er hätte das nicht für möglich gehalten. Nicht, dass sich das Kriegsrechtsregime fürchten müsste: Auf die Straße haben sich die LUMS-Studenten bisher noch nicht gewagt, und an der großen "Punjab-University" haben islamistische Studenten sogar kollaboriert, als sie diese Woche den Widerständler und Politiker Imran Khan festgesetzt und dann der Polizei übergeben haben. Nicht alle sind auf der gleichen Linie, aber die es sind, machen weiter.

Khawar Mumtaz und Farida Shaheed geht die Arbeit nicht aus, und sie sind dankbar für alle, die helfen. Eine von denen heißt Nasira Iqbal. Sie war Richterin und lebt jetzt im Ruhestand, der aber keiner ist. Sie engagiert sich, und ihr Schwiegervater wäre vermutlich stolz auf sie. Muhammad Iqbal ist eine Ikone. Er war Dichter, Philosoph, Politiker und Visionär, und es war sein Traum von einem eigenen Land für die Muslime auf dem Subkontinent, der später nach seinem Tod zur Bildung Pakistans führte. Der Staat, den er sich gewünscht hatte, sollte ein Rechtsstaat sein, demokratisch und säkular. Wie es wäre, wenn er in diesen Tagen des Kriegsrechts zurückkäme? "Vermutlich", sagt seine Schwiegertochter lakonisch, "vermutlich würde er geschlagen und ins Gefängnis gesteckt." Muhammad Iqbal war Rechtsanwalt von Beruf.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr. 265, Samstag, den 17. November 2007, Seite 11.

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