Irak gefährlichstes Land für Journalisten weltweit
Von Layla Al-Zubaidi und Magda Abu-Fadil
Zwei Journalistinnen, die im September/Oktober 2005 an einem Medienausbildungskurs teilgenommen hatten, der vom Institute for Professional Journalists an der Lebanese American University mit Unterstützung des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut organisiert worden war, wurden im Abstand von weniger als einem Jahr in der nordirakischen Stadt Mossul von Milizionären ermordet. Sowohl Sarwa Abdul-Wahab als auch Sahar Hussein Ali Al-Haydari waren passionierte Journalistinnen, die dafür lebten und starben, den schwierigen Alltag im Irak zu schildern.
Der Fall Sarwa Abdul-Wahab
Sarwa Abdul-Wahab ist der jüngste Mordfall unter irakischen Journalisten, der von Medien weltweit und von Organisationen wie den Reportern ohne Grenzen und dem Committee to Protect Journalists scharf verurteilt wurde. Am 4. Mai 2008, einen Tag nach dem internationalen Tag der Pressefreiheit, besuchte Sarwa zusammen mit ihrer Mutter einen Markt. Auf dem Weg nach Hause hielten zwei bewaffnete Männer sie an und versuchten, sie in ihr Auto zu zwingen. Während sie sich gegen diesen Entführungsversuch wehrte, wurde sie vor den Augen ihrer Mutter mit einem zweifachen Kopfschuss ermordet. Drei Wochen vorher war ihr per SMS signalisiert worden, dass sie sterben würde, sollte sie nicht ihre Berichterstattung aufgeben. Sie schrieb als freiberufliche Journalistin Beiträge für die irakische Nachrichtenwebsite Muraslon und für Saladin TV. Zudem arbeitete sie als Rechtsanwältin und war als Aktivistin für die Rechte von Journalisten bekannt.
Der Fall Sahar Hussein Ali Al-Haydari
Sahar Hussein Ali Al-Haydari, Korrespondentin der nationalen irakischen Nachrichtenagentur und der unabhängigen Nachrichtenagentur Aswat Al-Iraq wurde mehrmals wegen ihrer mutigen Berichterstattung zu den internen Kämpfen in Mossul zusammengeschlagen, und schrieb schließlich nur noch unter einem Pseudonym für verschiedene Medien. Nach wiederholten Todesdrohungen floh sie mit ihrem Mann und vier Kindern nach Damaskus. Per E-Mail informierte sie das Committee to Protect Journalists wenige Monate vor ihrem Tod von einer an ihre Haustür geheftete Todesliste, auf der ihr Name an vierter Stelle erschien. Während eines kurzen Besuchs in ihrer Heimatstadt wurde sie am 7. Juni 2007 beim Einkaufen von vier unbekannten Männern erschossen.
Beide Frauen wurden aus einer Vielzahl von Bewerbungen als enthusiastische, vielversprechende und unabhängige Nachwuchsjournalistinnen für den Medienausbildungskurs ausgewählt. Ganz oben auf der Agenda stand der Austausch zwischen libanesischen und irakischen Journalisten zu den Gefahren und ethischen Standards der Berichterstattung aus Kriegsgebieten. Während der Woche Training in Beirut, diskutierten fünfzehn irakische Journalisten diverser Medien wie As-Sabah und Az-Zaman Zeitungen, Yanabeeh und Al-Jeel Magazine, Nawa Radio, Kurdish Satellite und Al-Diyar TV, Voices of Iraq und Iraqiyoun Nachrichtenagenturen, mit ihren Kollegen aus Beirut die Grundlagen eines professionellen Journalismus, lernten den Unterschied zwischen Nachrichten- und Meinungsartikeln, erprobten Recherche- und Interviewtechniken, und experimentierten mit Studiotechniken und Internetjournalismus. Der Kurs sollte einen Beitrag zur Fortbildung irakischer Journalisten und einer offenen und pluralistischen irakischen Medienlandschaft leisten.
Irak - das weltweit gefährlichste Land für JournalistInnen
Nach dem Ende des brutalen Regimes Saddam Husseins im Frühjahr 2003, freuten sich irakische Journalisten auf den Anbruch einer neuen Ära der freien Meinungsäußerung. Nach einer kurzen Phase der Euphorie, in der hunderte von neuen Zeitungen und Medienstationen erschienen, mussten Medienprofessionelle jedoch bald erneut um Leib und Leben fürchten. Inzwischen gilt der Irak als das weltweit gefährlichste Land für Journalisten. Laut den Reportern ohne Grenzen sind seit Kriegsbeginn vor fünf Jahren mehr als 212 Journalisten und Medienassistenten gewaltsam zu Tode gekommen. Der Irak führt auch die Liste der Länder an, in denen Mordfälle an Journalisten in der Regel straffrei ausgehen. Oft werden Journalisten rein aufgrund ihrer Profession zur Zielscheibe, werden von bewaffneten Milizen aus dem Hinterhalt überfallen oder fallen bewaffneten Kämpfen zum Opfer. Allein im Jahr 2007 wurden 25 irakische Journalisten gekidnappt. Viele werden mit Todesdrohungen eingeschüchtert und ins Exil gezwungen.
Journalisten stehen jedoch nicht nur im Kreuzfeuer verschiedener Milizen, sondern geraten auch unter Beschuss der irakischen Regierung und Besatzungskoalition. So können Journalisten, die kritisch über die Regierung berichten, in ernste Gefahr geraten. Berichten zufolge musste der irakische Korrespondent der Washington Post im Jahr 2007 sterben, weil er Korruptionsfälle in der Stadtverwaltung recherchiert hatte. Zudem werden Journalisten mit vielfältigen Einschränkungen von offizieller Seite konfrontiert. So ist seit Mai 2007 untersagt, die Orte von Bombeneinschlägen zu filmen, und Journalisten werden für den Kontakt zu Rebellen der PKK in den Kandilbergen an der türkischen Grenze verhaftet. Auch das US-amerikanische Militär hält Journalisten fest, oft monatelang ohne klare Anschuldigungen. Lokale Medien werden ermuntert, ein „positives Bild“ wiederzugeben, während kritische Berichterstattung im Allgemeinen unerwünscht ist und behindert wird. Dem irakischen Journalisten Ghaith Abdul-Ahad zufolge „hat zur Zeit keine Seite Interesse daran, dass ans Licht kommt, was wirklich vor sich geht.“
Layla Al-Zubaidi ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut (Libanon).
Magda Abu-Fadil ist Direktorin des Trainingsprogramms für Journalisten an der American University of Beirut, AUB.
Pressefreiheit und Journalismus im Konfliktgebiet Naher Osten
Lesen Sie den Beitrag "3. Mai: Internationaler Tag der Pressefreiheit - Pressefreiheit im Nahen Osten" von Christian Sterzing, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah (Palästina).