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Aus den Chancen und Risiken, die KritikerInnen wie BefürworterInnen aus der feministischen Perspektive an den genannten Konzepten feststellen, ergeben sich einige wichtige Punkte, die bei der Diskussion um eine geschlechtergerechte Ausgestaltung Sozialer Sicherung beachtet werden sollten. Die Verankerung der feministischen Perspektive in der Sozialstaatsdebatte ist schließlich kein Selbstzweck, sondern trägt zu einer mehr gerechtigkeitsorientierten Ausgestaltung Sozialer Sicherungssysteme bei, weil mögliche Ungleichzeitigkeiten von Geschlechterkultur und Geschlechterordnung bereits in der Konstruktion des Konzeptes berücksichtigt würden.
Die Ansprüche und Vorschläge, die aus der Kritik an den gender-armen Modellen und -diskussionen resultieren, lassen sich als Kriterien und Rahmenbedingungen zusammenfassen. Kriterien betreffen konkret die Ausgestaltung und Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens oder der Grundsicherung, während die Rahmenbedingungen das eigentliche Instrumentarium für geschlechtergerechte Politik darstellen, da sie dem Konzept für Armutsminderung (und Freiheitsgewinn im Falle des Grundeinkommens) genderorientierte Begleitmaßnahmen anempfehlen. Dies kommt dem immer wieder geäußerten Hinweis entgegen, dass weder Grundeinkommen noch Grundsicherung per se geschlechtergerecht bzw. -ungerecht wirken: Es kann beides sein, je nach Ausgestaltung.
- Kriterien für das Bedingugslose Grundeinkommen
- Kriterien für die Bedarfsabhängige Grundsicherung
- Geschlechterpolitische Rahmenbedinungen für beide Modelle
Kriterien für das Bedingungslose Grundeinkommen
Die wesentlichen allgemeinen Kriterien für das Bedingungslose Grundeinkommen sind jene vier vom deutschen Netzwerk Grundeinkommen und dem Basic Income Earth Network (BIEN) formulierten. Ein Grundeinkommen, das im Sinne eines grundsätzlichen Gerechtigkeitsgedankens zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beiträgt,...
- ... muss existenzsichernd sein im Sinne der Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe: Das bedeutet, dass die Höhe des Grundeinkommens Männer und Frauen, egal in welcher Lebenslage, vor Armut schützen und ihnen Teilhabe garantieren muss, wobei gesellschaftliche Partizipation aber mehr bedarf als nur materieller Absicherung. Dies begründet die Notwendigkeit zusätzlicher Rahmenbedingungen.
- ... muss auf einem individuellen Rechtsanspruch basieren: Das Grundeinkommen ist universell und individuell ausgerichtet und als solches garantiert – keine Person sollte als „abgeleitetes Wesen“ von PartnerInnen oder als Teil eines Haushalts berechnet werden, sondern das Grundeinkommen wird unabhängig von sozialem Status und sozialer Einbindung gewährt.
- ... darf keine Bedürftigkeitsprüfung vorsehen: Der individuelle, universelle und bedingungslose Anspruch des Grundeinkommens soll tatsächlich allen unabhängig von der jeweiligen Lebenslage, von Vermögen und sonstigem Einkommen zugestanden werden.
- ... darf keinen Zwang zur Arbeit beinhalten: Erst dadurch werden die Entkopplung von Arbeit und Einkommen und der daraus resultierende Paradigmenwechsel hin zu einem breiteren, gerechteren Arbeitsbegriff, zu Anerkennung nicht-bezahlter Arbeit und einem positiveren Menschenbild, das individuelle Lebensentwürfe respektiert, ermöglicht. Dennoch ist zu diskutieren, wie gesellschaftliche Integration jenseits des Arbeitsparadigmas aussehen kann – nur ist das Grundeinkommen hier der Anstoß einer Debatte, nicht deren Antwort.
Kriterien für die Bedarfsabhängige Grundsicherung
Demgegenüber finden sich so deutliche Kriterien für die Bedarfsabhängige Grundsicherung nicht, da die Modelle sowohl in ihrer Ausgestaltung als auch in ihrem ideellen Hintergrund zu sehr schwanken. Dies zeigt der Vergleich der so unterschiedlichen Ansätze der Grünen, der FDP und dem heutigen Hartz IV – System. Allgemeine Kriterien, die sich aus grüner Perspektive ergeben, sind:
- Existenzsicherung im materiellen Sinne und im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe muss individuell und mit Blick auf Renten, Krankenversorgung etc. gegeben sein.
- Die Grundsicherung muss vom individuellen Bedarf abhängig sein, also auf einem individuellen Rechts- und Leistungsanspruch basieren, sodass insbesondere Frauen nicht auf soziale Abhängigkeiten zurückverwiesen werden.
- Lebenslagenbezogene Hilfen und Fördermaßnahmen, nicht nur zur Re-Integration in den Arbeitsmarkt, müssen die Leistungen individuell ergänzen.
Geschlechterpolitische Rahmenbedingungen für beide Modelle
Ebenso wichtig wie die eher allgemein gehaltenen Kriterien selbst sind für beide Modelle die geschlechterpolitischen Rahmenbedingungen, die als Maßnahmen für eine aktive Gleichstellungspolitik parallel zur Einführung des Grundeinkommens angewandt werden müssten:
- Ausbau sozialer Infrastruktur: Weder Grundeinkommen noch Grundsicherung können ein Argument dafür sein, an Investitionen in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie Pflege und soziale Dienstleistungen, die besonders Frauen in einer eigenständigen Lebensplanung unterstützen, zu sparen. Der Ausbau öffentlicher Infrastruktur muss klar Vorrang haben vor individuellen Transferleistungen, besonders in Ländern wie Deutschland, das aufgrund einer jahrzehntelangen falschen Prioritätensetzung zu Gunsten des traditionellen Rollenmodells noch massive Defizite im Bereich öffentlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder hat. Dieser Vorrang sollte möglichst auch chronologisch verstanden werden: Eine verlässliche Infrastruktur muss möglichst schon vorhanden sein, bevor die Verteilungskämpfe um die öffentlichen Mittel losgehen.
- Aktive Arbeitsmarktpolitik: Eine aktive und aktivierende Arbeitsmarktpolitik muss den gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zum Arbeitsmarkt ermöglichen: durch qualifizierte Beratung, Betreuung und Vermittlung, adäquate (Weiter-) Bildungsmöglichkeiten und die Verhinderung von geschlechtsspezifisch ungleicher Bezahlung – was auch ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft, Quotierungen von hohen Positionen etc. einschließt.
- Anreize zu geschlechtergerechter Arbeitsteilung: Der Paradigmenwechsel zu Gunsten der Anerkennung von Familienarbeit und einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung muss durch ein Anreizsystem begleitet und forciert werden. Das Elterngeld ist ein gutes Beispiel dafür, wie Männer zu mehr Verantwortung innerhalb der Familie ermutigt werden können. Solche Ansätze, die Männern und Frauen mehr Flexibilität in der Arbeitszeitplanung ermöglichen und strukturelle Diskriminierung überwinden helfen, müssen ausgebaut werden.
- Bessere Vereinbarkeit von verschiedenen Tätigkeiten und Lebensphasen: Die Vereinbarkeit verschiedenster gesellschaftlich relevanter Tätigkeiten wie Familienarbeit, Ehrenamt und Erwerbsarbeit ist durch die Förderung von Teilzeitarbeit und flexiblen Übergängen zwischen den einzelnen Lebens- und Arbeitsformen oder auch durch Lebensarbeitszeitkonten zu gewährleisten. Auch die Entbürokratisierung, mit der sowohl Grundeinkommen als auch Grundsicherung einhergehen müssen, trägt zu mehr Verlässlichkeit und Sicherheit bei, was besonders für Frauen wichtig sein dürfte, um beispielsweise in der Frage nach Beruf und Familie keine entweder-oder-Entscheidungen zu erzwingen.
- Mindestlohn: Ein ähnliches Instrument aktiver Gleichstellungspolitik und fairer Chancenverteilung ist die Einführung von Mindestlöhnen, um Lohndumping zu verhindern und damit die Möglichkeiten eigener Existenzsicherung insbesondere für Frauen, die den Großteil der Arbeitenden im Niedriglohnsektor darstellen, anzuheben.
- Zugang zu öffentlichen Gütern sichern: Insbesondere durch das Grundeinkommen, aber auch durch eine verbesserte Grundsicherung dürfen wichtige Errungenschaften des Sozialstaates nicht abgebaut, sondern müssen weiterentwickelt werden: So ist der Zugang zu öffentlichen Ressourcen wie Gesundheitsversorgung und Mobilität sowie der öffentlichen Daseinsfürsorge zu gewährleisten und im geschlechtergerechten Sinne zu verbessern, indem z.B. die Krankenversicherung individuell, also unabhängig von PartnerInnen, gestaltet wird.
- Professionalisierung und Qualitätssteigerung haushaltsnaher Dienstleistungen: Der weiteren Privatisierung von „typischer Frauenarbeit“ muss die Professionalisierung von Dienstleistungen um Haushalt, Pflege und Betreuung entgegengesetzt werden. Diese Dienstleistungen sind qualitativ hochwertig und quantitativ ausreichend weiterzuentwickeln und zu fördern, um Frauen von „typischer Frauenarbeit“ zu entlasten. Allerdings ist hierbei darauf zu achten, dass das Problem der „Frauenarbeit“ nicht einfach nur von wohlhabenden zu ärmeren Frauen verlagert wird (siehe Kritik der Debatte).
- Neudefinition von Wirtschaft und Arbeit: Schließlich muss die Debatte um eine geschlechtergerechte Ausgestaltung Sozialer Sicherungssysteme aufrecht erhalten werden, um den Paradigmenwechsel des Arbeits- und Wirtschaftsbegriffs, der sich v. a. durch das Grundeinkommen anbietet, auch für die Umsetzung von mehr Geschlechtergerechtigkeit zu nutzen. Dem androzentrischen Wirtschaftssystem, das auf Vereinzelung und Konkurrenz aufbaut und alles „Schwache“ in den vorpolitischen Bereich der Familie verschiebt – überwiegend zu Lasten von Frauen – kann mit Hilfe des Grundeinkommens eine humanere Alternative entgegengesetzt werden, die Arbeit als solche honoriert und Würde des Menschen grundsätzlich achtet, statt nur im Verwertungskontext zu denken. Dieser recht radikale Wandel des Wirtschaftens und Denkens kann durch die unbequeme feministische Perspektive forciert, ja provoziert werden. Im Grundsicherungsparadigma wäre ein solcher ideeller Wandel ungleich schwerer zu erreichen, aber bereits die Diskussion des Grundeinkommens hat gezeigt, dass Alternativen möglich sind. Auch hier sind feministische Positionen geeignet, ein Umdenken zu fordern. Da Abhängigkeiten, patriarchalischen Denken und Handeln in diesem System viel präsenter ist, erscheint die Fortsetzung der Debatte über unser Verständnis von Arbeit, Wirtschaft und (Geschlechter-) Gerechtigkeit umso notwendiger.