Auch der Klimawandel hat ein Geschlecht...

14. Juli 2008
Ulrike Röhr

Von Ulrike Röhr

Als ich vor etwa 15 Jahren auf einer Veranstaltung das Thema "Frauen, Gender und Klima" angesprochen habe, war die Reaktion des (männlichen) Veranstalters: „Ja, hat denn die Erdatmosphäre ein Geschlecht?“, die, wie nicht anders zu erwarten, Gelächter nach sich zog und damit war das Thema abgetan.

Daran wurde ich erinnert, als ich den Titel dieses Teils der heutigen Veranstaltung las – aber immerhin gibt es jetzt kein Fragezeichen mehr. Trotzdem: Nein, ich würde nicht davon ausgehen, dass die Erdatmosphäre und der Klimawandel ein Geschlecht haben, weder ein biologisches, noch ein soziales. Gleichwohl zeigen die Verursachung des Klimawandels und dessen Auswirkungen deutliche Geschlechterzüge. Gleiches gilt für die Instrumente und Maßnahmen, die zur Verminderung der fortschreitenden Erwärmung verhandelt werden, ebenso wie für die Verhandlungen selbst.

Und vielleicht ist es auch ein Ausdruck der Geschlechterverhältnisse, dass die Gender-Aspekte beim Klimathema gern „end of pipe“ angesiedelt werden, nämlich bei den Auswirkungen des Klimawandels auf Frauen, auf Männer und auf die Geschlechterverhältnisse. Das ist auf der einen Seite verständlich, gibt es dafür doch so eindringliche Bilder und auch ganz konkrete Beispiele, aber auch den dringenden und unbestrittenen Bedarf nach (vor allem finanzieller) Unterstützung derjenigen, die davon betroffen sind.

Nicht die Auswirkungen analysieren, sondern Ursachen

Aber würden wir der Situation nicht viel besser Rechnung tragen, wenn wir uns, statt “end of pipe“ die Auswirkungen zu bearbeiten, den Ursachen des Klimawandels zuwenden und diese aus der Gender-Perspektive analysieren würden? Ebenso wie die Instrumente und Maßnahmen, die die weitere Erwärmung des Klimas verhindern oder zumindest minimieren sollen? Wäre das für den bundesrepublikanischen Wahlkampf – und der ist ja, wenn ich das richtig verstanden haben, der Hintergrund der Veranstaltung, nicht auch die angemessene Perspektive?

Wenn wir den Blick also auf die Situation hier und auf die Verursachung des Klimawandels richten, gibt es einige Aspekte, die besonders ins Auge fallen:

Unterschiede im Energieverbrauch

Da ist zum einen der unterschiedliche Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen von Frauen und Männern – der ist weder gottgegeben, noch biologisch verursacht noch banal – sondern hervorgerufen durch die androzentrischen Sichtweisen und Definitionen, aber auch durch das „doing gender“, die Konstruktion von Geschlecht.

Sich diesen Unterschied genau anzugucken, führt nicht dazu, die einen als Gutmenschen, die anderen als böse Verursacher hinzustellen, es führt auch nicht dazu, das Problem zu individualisieren, sondern zu (hoffentlich) fundierten Analysen, wodurch diese Unterschiede beim Energieverbrauch bedingt sind. Wir sind dann ganz schnell bei unserer wachstumsorientierten Entwicklungsideologie und bei der feministischen Ökonomie – die für mich eines der grundlegenden Theoriekonzepte für die Klimadebatte aus der Gender-Perspektive bildet.

Klimaschutzlösungen haben auch ein Geschlecht

Diese Analysen verweisen dann unter anderem auch auf die unterschiedlichen Präferenzen von Frauen und Männern bei den Lösungen für den Klimaschutz: Die einen setzten voll auf technikorientierte Lösungen und verschließen gern die Augen vor deren (längerfristigen) Auswirkungen, die anderen fordern grundlegende Veränderungen in Lebensstilen und Ökonomie. Das hängt sicherlich zusammen mit Technikdistanz und -nähe, mit Geschlechterbildern und symbolischen Zuordnungen, oder auch mit „simplen“ Pay Gaps (wer kann sich die Technik leisten, wer muss dieselben Reduktionswirkungen anderweitig zustande bringen). Und es sind sicherlich auch - aber nicht nur - Geschlechterrollen, die dazu führen, dass die einen die „sustainable livelihoods“ im Blick haben und vorsorgend die Nebenwirkungen geplanter Maßnahmen bedenken.

Die Gender-Analyse betrachtet eben nicht nur eindimensional die direkten Auswirkungen (z.B. Kohlenstoffreduktion, ökonomische Wirkungen), sondern auch mittelbare Auswirkungen hier und anderswo auf der Welt.

Beispiel Agrokraftstoffe

Bestes Beispiel dafür sind die Agrokraftsstoffe: Mit den ersten Debatten über die Festlegung von Quoten zur Beimischung der sogenannten Bio-Kraftstoffe wurde von Seiten der Frauen-Umwelt-Organisationen und Gender-Expertinnen sofort die Frage nach grundlegenden Veränderungen der Mobilität aufgeworfen, die man doch wohl zuerst diskutieren müsse statt einfach einen Kraftstoff durch einen anderen zu ersetzen.

Ebenso wurde die Frage nach den Auswirkungen der Erzeugung der „Energiepflanzen“ (als Basis der Agrokraftstoffe, z.B. Raps, Mais, Getreide) auf Frauen, Männer und Geschlechterverhältnisse nicht nur bei uns, sondern vor allem auch im Süden gestellt und damit Fragen der Ernährungssicherung, der landwirtschaftlichen (Subsistenz-)Produktion, Biodiversität, Gentechnik... ins Spiel gebracht.
 
Dieser Kritik lagen vielleicht nicht die fundiertesten Daten zugrunde, mit denen wir dies hätten quantitativ belegen können, aber macht das die Analyse weniger richtig? Damit wurde die Kritik aber vor nicht allzu langer Zeit abgeschmettert – heute ist sie fast Allgemeingut, die Euphorie abgeflaut oder zumindest sehr gebremst.

Ich habe den Eindruck, dass die eindimensionale Fixierung der Klimapolitik auf CO2-Reduktions-Technologien immer neue Rechenkünstler und -künste hervorbringt, die jede Schliche kennen, wie man etwas so hinrechnet, dass am Ende auf dem Papier ein Minus vor einer beliebigen Zahl steht (z.B. -20 Prozent CO2 oder -12 Prozent Methan) – das sich dann allzu häufig in der Realität nicht bewahrheitet oder sogar in ein Plus umkehrt bei Betrachtung der gesamten Produktionskette.

Androzentrismus in der Klimapolitik

Auch dies ist eine Frage der Machtverteilung und vor allem der Definitionsmacht, womit wir nicht nur beim Thema der Repräsentanz von Frauen und Männern in Entscheidungspositionen, Gremien oder Partizipationsprozessen sind, sondern, viel wichtiger, beim Thema Androzentrismus:

Wessen Sichtweisen, Lebensmuster und Denkweisen stehen im Zentrum und werden als Norm definiert, von der alle anderen (Sichtweisen, Lebensweisen...) abweichen und damit immer das andere oder das Besondere sind. Androzentrismuskritik, wie sie zum Beispiel von Meike Spitzner dezidiert für den Verkehrsbereich ausgearbeitet wurde, brandmarkt die „Verallgemeinerung männlicher Perspektiven und deren Anspruch auf „Objektivität“ bzw. auf „allgemeine Nützlichkeit“ (Meike Spitzner et.al.: Städtische Mobilität und Gender. kfw Entwicklungsbank 2007), die auch in der Klimapolitik auf allen Ebenen nachvollziehbar ist.

Ökonomieorientierung und marktbasierte Instrumente

Eine Folge beider Konzepte, des Androzentrismus wie auch der Ökonomieorientierung, zeigt sich in der einseitigen Ausrichtung des Klimaschutzes an marktbasierten Instrumenten* – bei fast vollständiger Ausblendung aller anderen Optionen. Mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls wurde praktisch das Primat der Politik abgegeben an die Ökonomie. Dem Klima hat das nicht wirklich geholfen, wohl aber die Kassen vieler Unternehmen klingeln lassen. Die Profite der vier größten Energieversorger (EON, RWE, Vattenfall, EnBW) in der ersten Phase des Europäischem Emissionshandels sprechen eine klare Sprache, es kursieren Zahlen von sechs bis acht Milliarden Euro.

Was das mit Gender zu tun hat?

Die Prinzipien dieser Instrumente sind zutiefst androzentrisch: Die Global Forest Coalition hat das in Umkehrung des immer wieder eingeforderten „Polluter-Pays-Prinzip“ das „Pay-the-Polluters-Prinzip“ genannt. Um beispielsweise den tropischen Regenwald als Kohlenstoffsenke zu erhalten, sollen diejenigen finanziell entschädigt werden, die den Wald bisher zerstört haben. Ihnen gehen ja schließlich dadurch Profite verloren. Diejenigen, die im und vom Wald leben, ihn schützen, weil er die Grundlage ihres Lebens ist, gehen nicht nur leer aus, sondern werden ihn möglicherweise auch nicht mehr nutzen dürfen, weil er ja jetzt „geschützt“ ist.

Dass an der kommerziellen Abholzung Frauen selten beteiligt sind, muss wohl nicht erwähnt werden. Fragen, die dabei auch in den Blick rücken, befassen sich mit Land- und Eigentumsrechten, Menschenrechten, Frauenrechten...

Und nicht zu vergessen ist die Frage der ökonomischen In-Wert-Setzung von Natur: Nach dieser Logik bemisst sich der Wert der Natur an ihrem ökonomischem Nutzen – etwas, was auch bei der morgen zu Ende gehenden Biodiversitätskonferenz eine große Rolle spielt. Kann nur das geschützt werden, was einen ökonomischen Nutzen hat? Oder umgekehrt: Müssen wir der Natur einen ökonomischen Wert zuschreiben, um sie schützen zu können? Für wen hat die Natur diesen ökonomischen Nutzen, wer profitiert davon?

„Feminist analysis first!“

Viele Fragen, auf einige gibt es klare Antworten, andere bedürfen zur Beantwortung weiterer Analysen und Diskussionen. Eines ist mir, die sich seit vielen Jahren mit der Klimapolitik aus der Frauen- und Gender-Perspektive befasst, immer deutlicher geworden: Die in der Regel sehr frühzeitig geäußerten Bedenken und die Kritik der Frauen an den Instrumenten und technologischen Lösungsvorschlägen zur Verminderung der Emissionen – ob es sich um die Clean Development Mechanisms (CDM), den Emissionshandel, die Reduzierung von Emissionen durch Verhinderung der Entwaldung (REDD), die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) oder Agrokraftsstoffe handelt –, wurden allesamt als irrelevant abgetan.

Schlimmer noch, mit zunehmender Deutlichkeit der tatsächlich zu erwartenden Auswirkungen unserer Konsum- und Lebensstile auf die globale Erderwärmung wurde und wird immer offensiver die Einstellung vertreten, dass man jetzt erstmal das Klima retten müsse, und dabei dann vielleicht auch mal undemokratische Mittel und Wege in Kauf nehmen muss – der Zweck heiligt die Mittel. Um die altbekannten Nebenwidersprüche, z.B. die Gerechtigkeit, kümmern wir uns dann später.

Dem widersprechen wir vehement: Die geäußerten kritischen Positionen von Seiten der Frauen und Gender-ExpertInnen haben sich in aller Regel sehr schnell als die richtig(er)en erweisen. Inzwischen äußern auch einige Umweltverbänden Zweifel an der Wirksamkeit der Instrumente. Ob das dann aber zu einer kritisch(er)en Bewertung der jetzigen Mechanismen führt, wage ich zu bezweifeln. Zu erwarten ist vielmehr, dass ein bisschen an den Kriterien für die Projekte herumgebastelt wird, die Basis aber bleibt wie gehabt.

Das genau ist der Grund, weshalb wir für eine wirkungsvolle Klimapolitik nicht an fundierten Gender-Analysen vorbei kommen – und zwar nicht „end of pipe“, sondern „Feminist analysis first!“ (Elisabeth Stiefel, feministische Ökonomin).

Ulrike Röhr ist Koordinatorin von gendercc – women for climate justice.

* Marktbasierte Instrumente sind beispielsweise der Handel mit CO2-Emissionen, die sogenannten „Clean Development Mechanism“, mit denen Industrieländer klimaschonende Projekte in Entwicklungsländern umsetzen und sich die Emissionsreduktionen hier bei uns gutschreiben können (d.h. hier weniger reduzieren müssen), oder auch manche der Instrumente zum Schutz des tropischen Regenwaldes und der Landnutzung.