Von Ina Kerner
Brauchen wir einen neuen Feminismus? Seit die Wochenzeitung DIE ZEIT diese Frage eindeutig, und zwar eindeutig positiv beantwortet hat – und das war im Sommer 2006, also vor immerhin zwei Jahren – werden wir sie offenbar nicht mehr los. Zumindest im medialen Diskurs nicht. Das ist wohl ein gutes Zeichen, zumindest dann, wenn man das ständige Wiederholen der Frage und die große Anzahl zustimmender Antworten als Symptom dafür wertet, dass Probleme der Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich auf der Tagesordnung stehen.
Selbst Magazine wie DER SPIEGEL haben zwischen Anfang 2007 und Mitte 2008 von der Pauschal-Verleumdung der Strategien des Gender Mainstreaming über die Präsentation so genannter „Alpha-Mädchen“ bis hin zur Diagnose umgeschwenkt, wir steckten mitten in der Emanzipation von Männern und Frauen. Immerhin. Feminismus geht wieder. Wenigstens in den Redaktionen. Auch wenn er noch zu selten rockt, wie Kerstin Grether vor kurzem festgestellt hat. Aber das kommt ja vielleicht auch noch. „Cool, erfolgreich, sexy... feministisch?!“ hieß, sehr programmatisch, eine Podiumsdiskussion, die vor gar nicht langer Zeit an der Freien Universität Berlin stattfand – um hier auch mal den akademischen Feminismus lobend zu erwähnen.
Ein Spartenfeminismus für leistungsfähige Individualistinnen
Doch halt. Kann und sollte Feminismus tatsächlich immer cool, erfolgreich und sexy sein? Oder eine Sache für Frauen, die cool, erfolgreich und sexy sind, und dann gern auch für deren Freunde? Wer ist eigentlich gemeint, wenn die Frage gestellt wird, ob „wir“ einen neuen Feminismus bräuchten? Diejenigen von uns, denen es vor allem um gesellschaftlichen Erfolg nach selbst gesteckten Zielen samt, so denn möglich, einem kleinen oder auch größeren bisschen Glamour geht? Oder auch diejenigen von uns, deren primäre persönliche und politische Ambitionen zum Beispiel auf einen gesicherten Arbeitsplatz hinauslaufen oder auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus, den Kampf gegen häusliche Gewalt oder auch den Kampf gegen Homophobie und andere Varianten der sexuellen Diskriminierung?
In der Mediendebatte der letzten Monate bzw. Jahre ging es, so mein Eindruck, vor allem um die erste Gruppe. Wogegen zunächst wenig einzuwenden ist, wenn es kenntlich gemacht wird. Das wiederum ist eher selten passiert. Ein Spartenfeminismus von und für leistungsbereite Individualistinnen stand oft als neuer Feminismus für alle da. Doch die Problemlagen unterschiedlicher Frauen unterscheiden sich gravierend, und ein Feminismus, der tatsächlich ein Feminismus für alle sein will, muss diese unterschiedlichen Problemlagen im Blick haben – genauso wie die Konflikte, die sich daraus ergeben können.
Feministische Grundsatzfragen sind noch zu diskutieren
Für eine berufstätige Akademikerin z.B. könnte es durchaus ein Emanzipationsgewinn sein, billig eine illegalisierte Zugehfrau einzustellen. Für diese wiederum sähe ein Emanzipationsgewinn aber vermutlich anders aus und würde wohl nicht zuletzt ein ordentliches Gehalt einschließen. Schon auf der Ebene individueller Handlungen und Interaktionen sind die Dinge also komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheinen mögen. Wobei erstens noch zu ergänzen wäre, dass diese Fragen zusätzlich strukturell und damit eine Ebene grundsätzlicher diskutiert werden sollten, und zweitens, dass längst nicht ausdiskutiert ist, ob und inwieweit Feminismus als Synonym für „Frauenpolitik“ verstanden werden sollte oder nicht eher, weiter gefasst, für jede Politik stehen könnte, die sich Zielen der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtet. Und somit nicht zuletzt Männer einbezieht sowie Personen, die der eindeutigen Mann/Frau-Unterscheidung nicht entsprechen können oder wollen.
Brauchen wir also einen neuen Feminismus, und was ist neu an dem, was zur Zeit unter diesem Label verhandelt wird? Grundsätzlich muss ja leider konstatiert werden, dass mit Blick auf die Bundesrepublik, wenn auch nicht nur auf diese, von verwirklichter Geschlechtergerechtigkeit nicht unbedingt die Rede sein kann – auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten einiges getan hat. Feminismus ist also weiterhin wichtig. Inwiefern aber muss es ein neuer Feminismus sein? Hier sind meiner Ansicht nach zwei Dinge zu sagen.
Der Feminismus soll immer ein neuer Feminismus sein
Erstens sollte der Feminismus immer aktuell sein, das heißt er sollte vergangene Entwicklungen in seine Analysen einbeziehen, eigene Probleme und gegebenenfalls Fehler kritisch reflektieren und sich in diesem Sinne ständig erneuern. In diesem Sinne also sollte Feminismus immer ein neuer Feminismus sein.
Zweitens kursiert in der medialen Öffentlichkeit ein Zerrbild des alten Feminismus, das in erster Linie mit Dingen assoziiert ist, die heute meist als uncool, wenig erfolgversprechend und unsexy gelten: lila Latzhosen, Männer- und Lustfeindlichkeit, Selbstviktimisierung etc. Pikanterweise waren an der Produktion dieses Zerrbildes nicht zuletzt Postfeministinnen wie Katja Kullmann mit ihrem Buch „Generation Ally“ und Thea Dorn mit ihrer „neuen F-Klasse“ beteiligt. Diesem eher unattraktiven Zerrbild ein neues, attraktiveres Bild des Feminismus entgegenzusetzen, ist sicher richtungweisend. Nur wie sollte es aussehen?
Binnenfeministische Aspekte sind zu berücksichtigen
Einige Aspekte des skizzierten Zerrbildes halte ich für Produkte antifeministischer Rhetorik, z.B. die Vorstellung, der Feminismus gefalle sich in der Opferrolle oder habe es sich dort sogar gemütlich gemacht. Bezogen auf derartige Vorstellungen empfehlen sich vor allem Genauigkeit und Fairness. Das Anprangern von Unrechtserfahrungen muss auf keinen Fall als Jammerei abgetan werden. Man kann es z.B. auch als Kampfstrategie verstehen.
Es gibt jedoch auch Aspekte des besagten Zerrbildes, die tatsächlich mit innerfeministischen Streitpunkten verknüpft sind. Etwa die Frage danach, ob Prostitution und Pornographie grundsätzlich frauenverachtend und daher möglichst abzuschaffen seien oder ob nicht eher die gängigen sehr schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Bereichen das zentrale Problem darstellen. Und auch bezogen auf die Frage, wie mit weiblichen Körpernormen umzugehen sei, waren sich Feministinnen nie einig. Röcke, Absätze, BHs, Langhaarfrisuren, Lippenstift, die Enthaarung von Achseln, Beinen und neuerdings auch Scham ja oder nein? Das ist schon immer umstritten; weniger kontrovers scheint auf diesem Terrain derzeit nur die Sache mit dem Schlankheitswahn und den Schönheitsoperationen. Bezogen auf derartige binnenfeministische Konfliktlinien ist das Zerrbild so etwas wie eine Karikatur des Radikalfeminismus. Der allerdings war trotz der Schlüsselposition von Alice Schwarzer nie allein bestimmend und sollte entsprechend kontextualisiert werden.
Das Gesicht des feministischen Mainstream
Tatsächlich diskutiert werden muss allerdings, welche Zielgruppen der Feminismus im Auge hat. Und hier stimmt wohl, dass zumindest der feministische Mainstream in der Bundesrepublik meist ein inländischer, weißer, heterosexueller Mittelschichtsfeminismus war. Und auch wenn gegen den ganz grundsätzlich nichts einzuwenden ist, sollte doch deutlich werden, dass er in seiner Reichweite deutlich begrenzt ist und dass er sowohl perspektiviert als auch erweitert gehört. Und eine derartige Erweiterung des feministischen Mainstreams wäre dann wohl tatsächlich eine inhaltliche Erneuerung.
Um die möglichen Implikationen dieser Erneuerung auszuloten, empfiehlt sich ein ausführlicherer Blick in die feministische Theorie. Erstaunlicherweise hat die ja in der Mediendebatte um den neuen Feminismus einen eher schlechten Ruf – obwohl dort vielfach Fragen verhandelt werden, zu denen die Theorie längst Antworten produziert hat, und zwar oftmals gute und präzise. Wer die Probe aufs Exempel will, lese beispielsweise Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ zusammen mit Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ (1949), Susan Bordos „Unbearable Weight“ (1993) oder Iris Marion Youngs „On Female Body Experience“ (2005).
Nichts ist praktischer als eine gute Theorie: auch in Sachen Feminismus
Nichts gegen das Anprangern von Hygienezwängen in riesiger Auflage. Aber Theoriefeindlichkeit in Sachen Feminismus ist eher ein Schritt zurück als ein Schritt nach vorne. In diesem Sinne also sollten wir uns um zweierlei bemühen. Erstens um Analysen und Deutungsvorschläge nicht nur der aktuellen Ausprägungen geschlechtsvermittelter und -vermittelnder Machtverhältnisse, sondern auch von deren Wirkungsweisen. Meines Erachtens kann man hier verschiedene Dimensionen unterscheiden, die zusammenspielen und sich gegenseitig stützen: Eine Wissensdimension, hinsichtlich derer Normen und Diskurse eine Rolle spielen, eine institutionelle Dimension und die personale Dimension der Einstellungen, des Verhaltens, der Handlungen und Interaktionen. Politische Bestrebungen können bei allen dreien dieser Dimensionen ansetzen. Als sinnvoll erscheint dennoch, dann auch die anderen nicht aus dem Blick zu verlieren. Zweitens sollten wir uns bemühen, intersektional zu denken, also Sexismus, Heterosexismus, Rassismus, Nationalismus, Fragen sozialer Ungleichheit etc. zunächst einmal als potenziell miteinander verwoben zu denken und im Konkreten zu fragen, worin diese Verflechtungen jeweils bestehen. Praktisch kann das dann zu Formen der Bündnispolitik führen. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Feministische Anliegen sollten nicht gegen andere progressive Anliegen ausgespielt werden. Und wenn Frauenrechtlerinnen den Vatikan für seine Prostitutionskritik loben, dann läuft mit der Bündnispolitik auch was schief.
Ina Kerner ist Politologin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin. Im Herbst 2008 erscheint im Campus Verlag ihr Buch „Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus“.