Von Astrid Rothe-Beinlich
Die Debatte um den „neuen Feminismus“ zieht seit einigen Monaten weite Kreise. Von „Aplhamädchen“ über „Brigitte-Studien“ bis hin zu Charlotte Roche wird Front gemacht gegen verstaubtes Emanzengehabe. Frauen wollen nun auf einmal Karriere und Kind unter einen Hut bringen, heißt es da. Der sogenannte „neue Feminismus“ soll sexy, jung und selbstbewusst sein. Frauen, die wissen was sie wollen und ohne Umwege ihr Ziele erreichen.
Fast könnte der Eindruck entstehen, dass es sich beim „neuen Feminismus“ um eine gut lancierte Kampagne einer in Berlin-Mitte ansässigen Werbeagentur handelt, die den Auftrag hatte, Frauenpolitik ein neues Image zu verpassen. Paradoxerweise griff man auf den Klassiker aller Werbebotschaften zurück: „Sex sells“.
Der „neue Feminismus“ – ein neues Produkt für alte Bedürfnisse
Allein das Wörtchen “neu“ irritiert doch sehr, denn außer markigen Sprüchen und medialer Effekthascherei ist hier eigentlich nichts neu. Vielmehr zeichnet sich die Debatte dadurch aus, dass sie in den Punkten, wo sie beginnt inhaltsschwer zu werden, eigentlich die Themen des sogenannten „alten Feminismus“ wieder aufgreift.
Es dürfte klar sein, dass sich soziale Realität mit Blick auf Feminismus und Frauenpolitik der letzen Jahrzehnte verändert hat. Manche Probleme sind verschwunden, andere sind hinzugekommen, wieder andere sind heute so aktuell wie damals. Dass der „neue Feminismus“ nun das Rad neu erfunden haben soll, verwundert daher und legt die Vermutung nahe, dass es hier nicht um die Sache an sich geht, sondern vor allem um gute Verkaufszahlen für ein Produkt. Positiv daran ist in jedem Fall, dass wieder über Feminismus diskutiert wird – und zwar nicht nur von denen, die dies schon immer thematisierten.
Noch gibt es keine Lösungen für „alte“ feministische Probleme
Wir sollten diese Debatte und die Diskussionsfreudigkeit nutzen, um zu den Sachfragen und den bewegenden frauenpolitischen Fragen zurückzukehren und für diese Antworten im Hier und Jetzt und für unsere eigene Politik suchen.
Wie steht es denn um die Frauenpolitik in Deutschland? Wie ist zum Beispiel die Situation von Frauen, die nicht unbedingt die Karriere, aber in jedem Fall Beruf und Kind tagtäglich miteinander vereinbaren müssen? Die dies im Gegensatz zu den großen Medienstars wie Ursula von der Leyen und Charlotte Roche meist ohne Rückgriff auf eine Kinderfrau leisten?
Jenseits vom hedonistischen Pop-Feminismus sind die klassischen Fragen aktueller denn je. Warum erhalten Frauen nach wie vor im Schnitt 22 Prozent weniger Lohn für gleichwertige Arbeit? Wieso gibt es kaum Frauen in Führungspositionen von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft? Wie kommt es, dass überwiegend von Frauen geleistete Arbeit so wenig Anerkennung findet? Welche Konzepte gibt es zur drohenden Altersarmut insbesondere von Frauen?
Wann werden Frauen endlich überall als eigenständige Wesen mit eigenen Wünschen, Ansprüchen und Bedürfnissen anerkannt? Wie steht es um die Rechte von Frauen und ihre Gleichberechtigung weltweit, insbesondere in Kriegs- und Konfliktsituationen?
Der neue Feminismus – eine geschlossene Gesellschaft?
Aber auch das Thema „Frauen und Migration“ bleibt in der neuen Feminismusdebatte absolut unterbelichtet, wie die Publizistin Mely Kiyak in einem Artikel in der ZEIT kürzlich richtig anmerkte. Sie kritisiert im Bezug auf die Debatte: „Kein Wort davon, dass in unserer Gesellschaft Frauen leben, die über keine sexuelle Selbstbestimmung verfügen, die aufgrund ihrer Herkunft bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche systematisch diskriminiert werden. Nichts über Frauen, die doppelt so häufig von häuslicher Gewalt betroffen sind wie diejenigen, über die die ganze Zeit gesprochen wird. Ganz zu schweigen von all jenen, die verheiratet sind und deren Ehemänner in befristeten Arbeitsverhältnissen stehen.“
Dementsprechend kommt sie zu dem Schluss, dass der sogenannte “neue Feminismus“ eine realitätsferne Veranstaltung ist, die mit der Lebenssituation vieler Migrantinnen nicht viel zu tun hat.
All diese Themen und Probleme sind weniger sexy und lassen sich schwerer für Hochglanz-Magazine aufbereiten, trotzdem sind es drängende frauenpolitische Fragen unserer Zeit - und sie sind nicht neu.
Was kann und soll die Grüne Frauenpolitik leisten?
Das zentrale Leitbild der Grünen Frauenpolitik ist schon immer das Konzept der Eigenständigen Existenzsicherung, bei dem es um eine geschlechtergerechte Sozial-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik gleichermaßen geht. Frauen müssen selbstverständlich ihre Existenz durch eigenständige Leistungsansprüche und Einkommen absichern (können), um nicht länger auf abgeleitete Ansprüche angewiesen zu sein.
Weiterhin steht Grüne Frauenpolitik für die Abschaffung des Ehegattensplittings und eine Reform der Steuerpolitik hin zur individuellen Veranlagung eines und einer jeden, die Durchsetzung eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft, die angemessene Bezahlung – ich bin mehr wert - (Forderung nach Mindestlöhnen), aber auch die Forderung nach der Einführung einer Mindestquotierung für Frauen in Aufsichtsräten.
Geschlechtergerechtigkeit als zentrales Anliegen ist auch heute "brandaktuell" und kommt doch zu wenig vor. Vielerorts wird über Familie und Vereinbarkeit gesprochen, die Frauenpolitik jedoch bleibt auf der Strecke. Dass Frauenpolitik immer auch Machtfragen im Blick haben muss, wird zu oft ausgeblendet. Dabei liegen die Fragestellungen auf der Hand.
Und es liegt an uns als Bündnis 90/Die Grünen, diese unsere Kernkompetenz immer und immer wieder mit Leben zu erfüllen und für echte Gleichstellung – die ALLEN Mädchen und Frauen zugute kommt – gleich welcher sozialen oder ethnischen Herkunft - im 21. Jahrhundert zu streiten.
Astrid Rothe-Beinlich ist frauenpolitische Sprecherin des Bundesvorstandes von Bündnis 90/ Die Grünen.
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