Offener Brief an die Mitglieder von "Bündnis 90/Die Grünen"

Lesedauer: 6 Minuten

7. August 2008
Betroffen und mit großer Spannung verfolgen wir die Diskussion über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan und die Sendung von Tornados  innerhalb Ihrer Partei und in Ihrem Bundestag.

Wir waren im Glauben, dass insbesondere Ihre Partei verstehen würde, warum wir Afghanen, Sie unsere deutschen Freunde im Kampf gegen Taliban und Al Qaida an unserer Seite brauchen. Vielmals besuchten Mitglieder Ihrer Partei unser Land, sprachen mit den unterschiedlichsten Afghanen, somit dürften Ihrer Partei am deutlichsten von allen die Grausamkeiten und der Terror der Taliban bewusst sein.  Die Gefahr, dass sich diese Grausamkeiten an den Menschen in Afghanistan wiederholen besteht. Wenn Sie nicht an unserer Seite sind, wer soll uns dann vor dieser drohenden Gefahr beschützen? Welche afghanische Polizei? Welche afghanische Nationalarmee? Leider sind wir noch nicht soweit uns alleine zu verteidigen zu können. Die Gefahr durch Taliban und Al Qaida ist existent und muss gemeinsam bekämpft werden. Bei einem Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan jedoch fürchten die meisten Afghanen auch einen Bürgerkrieg angeführt durch rivalisierende Warlords, die nur darauf warten, dass ISAF das Land verlässt.

Mit Schrecken hören wir ausgerechnet afghanische Stimmen in Deutschland, die davon sprechen, dass es den Frauen in Afghanistan heute schlechter ginge  als zu Talibanzeiten. Die Realität sieht anders aus: Über 1 ½ Millionen Mädchen gehen heute zur Schule, mehr als 25% der Parlamentarier in beiden Parlamentshäusern sind Frauen, Ministerien werden von Frauen geleitet, die Menschenrechtskommission wird von einer Frau geleitet, Afghanistan hat eine Botschafterin in Deutschland und weitere in anderen Staaten, afghanische Frauen machen Business, sind in Universitäten - sie sind präsent. Ist das nicht ein Erfolg, den wir gemeinsam erreicht haben? Die Frauen und Mädchen Afghanistans sind dankbar dafür.

Stellen Sie sich vor, ISAF wäre nie nach Afghanistan gekommen: Was wäre in Afghanistan? Wie groß und mächtig wäre Al Qaida geworden? Wie sehe unsere Welt aus?

Lösen Sie sich bei Ihrer Entscheidung von den negativen Berichterstattungen der letzten Monate, sondern vertrauen Sie auf das Wort Ihrer eigenen Parteimitglieder, die hier waren und sich selbst ein Bild machen konnten. Sehen Sie die positiven Entwicklungen:  das afghanische Volk hat sich zu 80% an den Präsidentschaftswahlen beteiligt, das afghanische Volk hat für eine Regierung gegen den Terror gestimmt und somit auch für ISAF in Afghanistan. Es ist der Wille des afghanischen Volkes, das insbesondere auch Deutsche Soldaten im Land sind. Der Ruf, den die Deutschen im Lande bei der Mehrheit der Afghanen genießen, ist einzigartig. Deutschland ist vielleicht die einzige Nation, der die Afghanen – egal ob Pashtune, Hazara oder Tadschike -  keine negativen Hintergedanken bei der Unterstützung der afghanischen Regierung unterstellen.

Wir geben zu, dass in den letzten Jahren in Afghanistan nicht alles richtig gelaufen ist. Lassen Sie uns aber deshalb nicht auf halbem Weg aufgeben, sondern gemeinsam überlegen, was wir falsch gemacht haben. Wir müssen an unserer Wiederaufbaustrategie und Staatsbildung gemeinsam arbeiten.

Eine Ablehnung des Wunsches des afghanischen Volkes neben humanitärer Unterstützung auch nach deutscher militärischer Unterstützung, wäre ein Rückschlag für die junge Demokratie in Afghanistan und ein Erfolg für die Terroristen. Sie weisen zwar immer wieder darauf hin, dass Sie das ISAF-Engagement nicht in Frage stellen und es Ihnen um OEF und die Tornado-Einsätze geht. Sie verkennen aber, welche Signalwirkung das in unserem instabilen Land hat. Die Menschen differenzieren nicht zwischen deutschen Tornados oder dem ISAF-Einsatz. Das, was ausschließlich ankommt ist, dass die Deutschen den Abzug vorbereiten. Die deutschen Tornado-Einsätze und die damit zusammenhängende innenpolitische –und rein deutsche–  Debatte sind hier nicht bekannt. Im Gegensatz zu dem, was auf Ihrem Sonderparteitag behauptet wurde, spielen die deutschen Tornado-Einsätze überhaupt keine Rolle! Wir empfinden es als sehr befremdlich, dass ausgerechnet die Grünen eine rein interne Parteidebatte auf Kosten der Menschen in Afghanistan führen. Wie kann ein Herr Zion behaupten, im Interesse des afghanischen Volkes zu sprechen? Wieso hat uns niemand gefragt zu kommen und Ihnen zu sagen wie wichtig das deutsche militärische Engagement ist.

Ohne den politischen Willen Deutschlands, wird Afghanistan in spätestens 1-2 Jahren vergessen sein. Setzen Sie Ihre Signale bitte mit Bedacht und bitte denken Sie daran, welches Vertrauen auf Ihnen ruht.

Was wird aus uns, was wird  aus Afghanistan und was werden die Folgen für die Weltgemeinschaft sein, wenn Sie uns jetzt verlassen: Al Qaida wird zum Gewinner; diese Terroristen werden denken, dass Ihre Strategie aufgeht und werden Ihre Aktivitäten von Afghanistan aus auf die ganze Welt ausweiten; in Afghanistan wird wieder ein Bürgerkrieg ausbrechen. Die Bekämpfung von Terrorismus würde dann viel schwieriger und teurer werden. Die Menschenleben, die bis dahin überall auf der Welt verschwendet werden, sind unbezahlbar. Afghanistan ist schon einmal in einer schwierigen Zeit, nach Abzug der Sowjets, alleine gelassen worden. Die Konsequenzen davon waren der schreckliche 11. September 2001, die schrecklichen Attentate von Barcelona und Bali, um nur einige zu nennen. Lassen Sie uns diesen Fehler nicht noch einmal begehen.

Wenn Sie hier in diesen Tagen den Menschen auf der Strasse erzählen, dass die Deutschen das Land verlassen wollen, so sehen sie nur Unglauben und Angst auf den Gesichtern – ob alt, jung, reich oder arm, Mann oder Frau.

Der Krieg gegen den Terror in Afghanistan und überall auf der Welt ist noch nicht zu Ende.

Wir können noch gewinnen, wenn wir zusammenhalten. Für ein friedliches, demokratisches Afghanistan, ein sicheres Deutschland und eine bessere Welt.

Unterzeichnet:

    * Vertreter des afghanischen Parlaments: Shinkay Karokhail, Mir Ahmad Joyenda, Nur Akbari, Watanwal, Gharghashta Suleimankhail, Dr. Satir, Soleha Mehdzad, Gulhod Jalal und andere
    * Vertreter der Unabhängigen Menschenrechtskommission: Fahim Hakim, Nader Naderi, Farid Hamidi und andere
    * Vertreter des Afghanischen Zivilgesellschaftsforums (ACSF): Aziz Rafi und Mitarbeiter sowie Mitgliedsorganisationen von ACSF
    * Mitarbeiter der Stiftung für Kultur und Zivilgesellschaft (FCCS)
    * Mitarbeiter von AWEC (Afghan Women’s Educational Center)
    * Mitarbeiter von TLO (Tribal Liaison Office)
    * Adela Mohseni und andere afghanische Menschenrechtsvertreter
    * Palwasha Hassan und andere afghanische Frauenrechtsaktivistinnen
    * Mitarbeiter von SYNERGY und andere afghanische Privatwirtschaftsvertreter

Dossier

Afghanistan - Ziviler Aufbau und militärische Friedenssicherung

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist seit Anfang 2002 in Afghanistan aktiv und fördert die zivile und demokratische Entwicklung des Landes. Afghanistan ist auch ein Prüfstein dafür, ob der Prozess des „state building“ und des friedlichen Wiederaufbaus in einem zerrütteten Land gelingt.

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