Die Klimaverhandlungen in Kopenhagen - Zwischen alten und neuen Gräben

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16. Juni 2009
Von Tilman Santarius

Das zweite Halbjahr 2009 wird hart für die Klimapolitik. Im Dezember soll in Kopenhagen ein neues Abkommen gezimmert werden, das die Rahmenbedingungen für die internationale Klimapolitik nach 2012 festlegt. Nicht nur wegen des enormen Zeitdrucks, vor allem wegen der zunehmenden Differenzen steht die Klimapolitik vor beinahe unüberwindbaren Herausforderungen. Denn die Staatengemeinschaft bewegt sich derzeit nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu. Im Gegenteil, die Klimaverhandlungen sind weit von einer Einigung entfernt.

Freilich, es gab schon günstigere Zeiten für die internationale Klimapolitik. 2007 etwa war so ein Jahr. Der Weltklimarat (IPCC) und der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore hatten den Friedensnobelpreis gewonnen, und die Gefahr der globalen Erwärmung konnte sich weltweit einer breiten öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit erfreuen. Dies beeinflusste prompt die Verhandlungen: Im Dezember 2007 schaffte es die Staatengemeinschaft, sich nach jahrelangen Grabenkämpfen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, der EU und der USA, zusammenzureißen und sich auf den Bali-Aktionsplan zu einigen. Der gab den Startschuss für die gegenwärtigen Kopenhagen-Verhandlungen.

Von dieser Dynamik ist nicht mehr viel übrig. Schlimmer noch ist, dass die alten Gräben wieder aufreißen und obendrein neue entstehen. Die Weltwirtschaftskrise hat die Klimapolitik auf der Agenda wieder nach unten geschoben, weit hinter die Sorgen um Stabilität, Konjunktur und Arbeitsplätze. Nach den hart erkämpften Lerneffekten, dass Klimaschutz Arbeitsplätze schafft und Wachstum bringt, können sich die Wahrer des Status quo wieder leicht des falschen Arguments bedienen, wir könnten uns Klimaschutz nicht leisten. Das Ergebnis ist die Wiedergeburt des alten Schein-Konflikts zwischen Ökonomie und Ökologie.

Verschanzt hinter Konfliktlinien

Auf der politischen Ebene sind neue Gräben entstanden, etwa innerhalb der Europäischen Union. Der Streit über das Klima- und Energiepaket Ende 2008 hat ein Europa gezeigt, das die Klimapolitik nicht länger anführen kann. Es wird von inneren Spannungen zwischen Süden, Osten und Norden gelähmt. Die Europäische Kommission hat im Januar 2009 zwar einen intelligenten Vorschlag für die Klimaverhandlungen unterbreitet. Doch der Rat der Umweltminister – und nur der repräsentiert die EU in den Verhandlungen – blieb in seiner Erklärung weit dahinter zurück. Und nun franst die Agenda völlig aus: Zuerst in Tschechien und jetzt auch in Großbritannien kriselt die Regierung, Deutschland verfällt in Wahlkampf-Starre, der französische Ministerpräsident Sarkozy kämpft mit einbrechenden Popularitätswerten, der italienische Ministerpräsident Berlusconi mit sich und seiner Exfrau... Es gibt derzeit keine europäischen Staatsoberhäupter, die klimapolitische Visionen formulieren könnten.

Der Präsident der USA Barack Obama kann das. Zunächst hatte sein Amtsantritt große Hoffnung verbreitet, vor allem die Ernennung von klimapolitisch progressiven Personen für wichtige Ämter. Bei den Zwischenverhandlungen in Bonn im April 2009 hat er erneut seinen Willen bekräftigt, bis Dezember ein internationales Klimaschutzabkommen unter Dach und Fach zu bringen. Doch Obama ist kein wohlwollender Alleinherrscher, sondern auf die Mehrheit im US-Senat und Kongress angewiesen. Die ist bei Weitem nicht so progressiv wie Obamas Rhetorik. Die jüngste Reform der Effizienzstandards für Autos wie auch die Debatte über Reduktionsziele im geplanten US-Emissionshandel ernüchtern all jene eher, die geglaubt haben, die USA avancierten plötzlich zum klimapolitischen Vorreiter.

Zum Vorreiter sind stattdessen etliche Entwicklungsländer geworden. Die Gruppe der Entwicklungsländer (G77 und China) hat in den internationalen Verhandlungen einige der innovativsten Vorschläge unterbreitet, etwa zum Technologietransfer und zur Klimafinanzierung. Noch bemerkenswerter ist, dass Südafrika, Südkorea, Mexiko, China und auch Costa Rica enorm ambitionierte nationale Klimaschutzpläne vorgelegt haben. Damit haben sie dem Versprechen von Bali Taten folgen lassen, dass der Süden substanziell zum globalen Klimaschutz beitragen wird. Jetzt warten sie darauf, dass auch der Norden sein Versprechen einhält und sie unterstützt. Doch weder die EU oder die USA noch Japan, Kanada oder Australien bieten Zusagen an; die möchten sie sich als Verhandlungschip bis zur letzten Nacht in Kopenhagen aufheben. Im Ergebnis hat dies den alten Graben zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wieder aufgerissen, der in Bali für einen Moment geschlossen war. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Verhandlungen bisher noch weit entfernt sind von einer Einigung auf ein Abkommen für die Zeit nach 2012. Knapp ein halbes Jahr vor Kopenhagen liegen in keinem der Themenbereiche substanzielle Vertragstexte vor, über die nun verhandelt werden könnte.

Noch immer weigern sich die Industrieländer, CO2-Minderungsziele für die Jahre 2020 und 2050 festzulegen. Die Entwicklungsländer hatten vorgeschlagen, zunächst ein aggregiertes Ziel zu vereinbaren und davon länderspezifische Ziele abzuleiten. Sie führen den Vierten Sachstandsbericht des IPCC an und fordern von den Industrienationen, ihren CO2- Ausstoß um mindestens 25 bis 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Während Australien immerhin jüngst sein Angebot verbessert hat und nun bis zu minus einem Viertel in Aussicht stellt, verstecken sich Kanada, Japan und einige andere nach wie vor hinter den USA, die maximal auf das Emissionsniveau von 1990 zurückgehen wollen. Harte Verhandlungen dürfen erwartet werden, um die Anstrengungen vergleichbar zu machen zwischen der Fraktion um die USA und derjenigen um die EU, die minus 30 Prozent angeboten hat. Die USA und ihre Verbündeten machen ihre Reduktionsziele zudem davon abhängig, ob die großen Schwellenländer ebenfalls Verpflichtungen eingehen. Die haben sich zwar längst bereit erklärt, einen substanziellen Beitrag zu leisten. Allerdings wollen sie die Reihenfolge eingehalten wissen: Zuerst sollen die Industrieländer für sich Minderungsziele festlegen, bevor über Aktivitäten des Südens verhandelt wird. Außerdem fordern die Schwellenländer finanzielle Unterstützung, wenn sie sich aktiv am Klimaschutz beteiligen sollen. Tatsächlich kam es nur unter dieser Maßgabe überhaupt zur laufenden Verhandlungsrunde: Die Minderungsanstrengungen des Südens wurden an die Bedingung geknüpft, dass der Norden dafür Finanzen und Technologien zur Verfügung stellt.

Zwischen 100 und 200 Milliarden US-Dollar, so schätzen der Stern-Report und der IPCC, seien jährlich nötig, um dem Süden den Einstieg in einen postfossilen Entwicklungspfad zu finanzieren. Gemessen an der gegenwärtigen Entwicklungshilfe von weltweit rund 100 Milliarden US-Dollar ist das eine horrende Summe. Ob die Geberländer sie aufbringen werden, wird nicht nur vom Verlauf der Wirtschaftskrise und anderen Hemmnissen abhängen. Die Industrienationen wollen keine Summen nennen, ohne zu wissen, wofür das Geld verwendet wird; die Schwellen- und Entwicklungsländer aber möchten erst eine klare finanzielle Bereitschaft erkennen, bevor sie konkrete Klimaschutzmaßnahmen in ihren Ländern diskutieren.

Dem Süden droht eine Zerreißprobe

Einige Schwellenländer haben angekündigt, dass für sie der Technologietransfer sogar wichtiger ist als die bloßen Finanzen. Durch einen Transfer von Know-how wollen sie ihre industriellen Kapazitäten ausbauen. Neben einigen exportstarken Industrieländern wie Deutschland gehören nämlich auch China, Indonesien, Malaysia und Mexiko heute schon zu den Weltmarktführern für klimafreundliche Technologien. Die Mehrheit der Entwicklungsländer hingegen verfügt kaum über eigene Produktionskapazitäten für die Herstellung etwa von Erneuerbaren Energie- oder Effizienz-Technologien. Noch ist unklar, was die Verhandlungen dazu ergeben. Wenn indes die Industrienationen mit den exportstarken Schwellenländern gemeinsame Sache machen und in erster Linie ein grünes Exportförderprogramm auflegen, würde die Mehrheit der Entwicklungsländer leer ausgehen. Schlimmer noch, sie würden in neue Abhängigkeiten verwickelt. Dies dürfte einen neuen Graben zwischen den Schwellen- und Entwicklungsländern öffnen.

Ein solcher Graben droht ohnehin zu entstehen. Denn unter den ärmeren Entwicklungsländern wächst die Zahl jener, die ganz drastische Emissionsreduktionen fordern. Über einhundert Länder haben sich inzwischen der Position der „Allianz der kleinen Inselstaaten“ angeschlossen, welche die globale Erwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigen lassen möchte. Schon das 2-Grad-Ziel, dem sich die EU und einige andere Industrieländer angeschlossen haben, ist äußerst ambitioniert. Das 1,5- Grad-Ziel erfordert derart radikale Reduktionen, dass auch die Schwellenländer sofort beginnen müssten, ihre Emissionen zurückzufahren. Zwischen den globalisierungshungrigen Schwellenländern einerseits und der marginalisierten Mehrheit der Südländer andererseits rumort es daher gewaltig. Schließlich sind es gerade die vielen ärmeren und die am wenigsten entwickelten Länder, die aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer mangelnden Kapazitäten die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten ausbaden müssen.

Diese Länder fordern daher schon lange, für die bereits stattgefundenen wie auch für die kommenden Klimafolgen entschädigt zu werden. Konkret bedeutet das Hilfe für die Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel. Die Kosten für Anpassungsmaßnahmen werden auf 50 bis 86 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Demgegenüber bewegt sich das Finanzvolumen des Anpassungsfonds mit derzeit einigen Hundert Millionen Dollar auf extrem bescheidenem Niveau. Auf der Klimakonferenz in Poznan im Dezember 2008 kam es daher beinahe zum Eklat: Die Entwicklungsländer hatten eine Aufstockung der Mittel gefordert, doch die Industrieländer ließen dieses Anliegen einfach abblitzen.

So zeichnet sich schon jetzt ab, dass auch der alte Graben zwischen Minderung und Anpassung wieder aufreißen könnte. Mit dem Bali-Aktionsplan wurde vereinbart, die beiden Stränge gleichgewichtig zu verhandeln. Doch weil die Finanzen knapp sind, und weil sich die Aufmerksamkeit der Industrieländer vor allem auf die Minderungsaktivitäten der Schwellenländer und diese wiederum auf den Technologietransfer konzentrieren, droht das Thema Anpassung zur Schwachstelle des künftigen Kopenhagen-Abkommens zu werden. Ohne einen Schwerpunkt auf die Anpassung aber wird Klimapolitik nie gerecht sein.

Zweifellos steht die Klimapolitik vor beispiellosen Herausforderungen. Es bleibt wenig Zeit, um die alten und neuen Gräben zu überbrücken und den Weg frei zu machen für ein Klimaschutz-Abkommen in Kopenhagen, das seinen Namen verdient. Doch der Verhandlungserfolg ist alternativlos. Einigen sich die Staaten in Kopenhagen nicht darauf, innerhalb von nur wenigen Jahren den weltweiten Emissionsausstoß einzufrieren und anschließend gleich drastisch zurückzufahren, ist es für einen erneuten Anlauf zu spät. Egal ob zwei oder 1,5 Grad: Die globale Erwärmung wird dann weit jenseits dieser Ziele liegen. Wie kann es gelingen, dass alle Verhandlungsparteien sich zusammenreißen und mit einem gemeinsamen „Yes we can!“ über sich selbst hinauswachsen? Die Antwort darauf wäre allemal erneut einen Friedensnobelpreis wert.


Tilman Santarius, geb. 1974, ist Vorstandsmitglied bei Germanwatch und Referent für Internationale Klima- und Energiepolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Zuvor war er acht Jahre lang Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er ist Co-Autor des Reports „Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit“ und schrieb an der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“ mit.

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