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Die Krise im Iran und ihre Auswirkungen auf die Region

Ahmed Rashid, einer der bekanntesten Publizisten Pakistans

29. Juni 2009
Von Ahmed Rashid
Von Ahmed Rashid, Lahore

Bisher haben US-Präsident Barack Obama und die europäischen Staats- und Regierungschefs genau richtig gehandelt: Vorsichtige, aber nicht drohende Zurechtweisung des Iran - obwohl sie wie wir alle entsetzt sind über das Ausmaß der Gewalt und der Vertuschungen durch das iranische Regime.

Ein vorsichtiger Umgang mit dem Iran ist entscheidend, wenn andere Schwerpunkte von Obamas Außenpolitik in der Region weiterhin bestehen bleiben sollen: das Zusammenspiel mit der muslimischen Welt, die israelisch-palästinensische Friedensinitiative, der Abzug der US-Truppen aus dem Irak und das Vorgehen gegen die Taliban in Afghanistan und Pakistan. Für europäische Staats- und Regierungschefs hingegen stehen vor allem weitere Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomwaffenprogramm im Vordergrund.

Drohgebärden - und ihre Folgen

Drohgebärden der Vereinigten Staaten gegenüber Iran würden viele dieser Initiativen scheitern lassen. Für muslimische Regierungen würde ihr Umgang mit den USA und Europa schwieriger werden, die anti-westlichen Ansichten vieler Muslime könnten sich verstärken und Obama der Gefahr aussetzen, bereits mit Antritt seiner Präsidentschaft zur „lahmen Ente“ in der islamischen Welt zu werden.

Es gibt jedoch noch zahlreiche andere Faktoren. Die Mehrheit der Iraner sind Schiiten, und politisch einflussreiche, schiitische Minderheiten leben in jedem muslimischen Land vom Libanon bis Indien. In Pakistan, das bereits mit einem sunnitisch-extremistischen Aufstand durch die Taliban konfrontiert ist, existiert eine schiitische Bevölkerung von 15 bis 20 Prozent.

Schiitische Minderheiten in der muslimischen Welt

Viele dieser schiitischen Minderheiten würden im Falle einer aggressiven US-Politik die Führung im Iran unterstützen. Dies könnte wiederum durch eine Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zur Destabilisierung von Regierungen im Nahen Osten und in Südasien führen. Präsident Ahmadinedschad ist eben noch lange nicht so ein „Großer Satan“ wie die Vereinigten Staaten.

Außerdem wurden in den letzten Jahren viele dieser schiitischen Minderheiten und ihre Anführer von den iranischen Revolutionsgarden mobilisiert und finanziert, um Widerstand zu leisten gegen die Versuche des früheren US-Präsidenten Bush, den Iran zu untergraben.

Der Iran verfolgte den vermutlich noch immer aktuellen Plan, dass diese vom Iran finanzierten muslimischen Gruppen im Namen Teherans Vergeltung üben und wahllos Angehörige des Westens und Amerikas angreifen würden, falls die USA oder Israel den Iran bedrohen oder sogar angreifen sollten. Im Rahmen dieser Strategie hat der Iran auch dabei geholfen, innerhalb der Taliban einige sunnitische militante Gruppen zu bewaffnen und zu finanzieren.

Iran - Zentrum einer Region mit wenig stabilen Regierungen

Alle benachbarten Regierungen Irans sind fragil, weshalb sie Präsident Ahmadinedschad bereits zu seinem Wahlsieg gratuliert haben - ungeachtet dessen, was sie von der Gültigkeit der Wahlen halten. Die Realität ist, dass weder Pakistan noch Afghanistan im Osten, weder Aserbaidschan im Norden noch der Irak oder die arabischen Golfstaaten im Westen und Süden es sich leisten können, von einem verletzten, gedemütigten und wütenden Iran beschuldigt zu werden, den Wünschen Amerikas zu entsprechen.

Unabhängig vom Ausgang der gegenwärtigen Krise im Iran wird das Land auch in nächster Zeit weiter polarisiert und instabil bleiben. Dabei werden Irans Nachbarn die Ersten sein, auf die Irans Instabilität übergreift. Daher sind diese Länder auf eine vernünftige und kluge US-amerikanische und europäische Führung angewiesen, die sie nicht kopfüber in eine Konfrontation mit dem Iran stürzt.

Staats- und Regierungschefs des Westens müssen verstehen, wie kompliziert der Iran und die Region geworden sind und wie eng die Staaten dieser Region miteinander verflochten sind. Und sie müssen sich geschlossen für eine Politik der Mäßigung und Vorsicht im Umgang mit der Krise im Iran einsetzen.


Ahmed Rashid ist einer der bekanntesten Publizisten Pakistans. Zuletzt erschien von ihm 2008 das Buch Descent Into Chaos: The United States and the Failure of Nation Building in Pakistan, Afghanistan, and Central Asia.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Berliner Zeitung vom 28. Juni 2009.

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