Nadezda Fedorova, Freie Universität Berlin
Die gegenwärtige russischsprachige Literatur Lettlands begann sich in der kulturellen Opposition der lettischen Sowjetrepublik der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu formen. Maßgeblich für die Entwicklung ihrer Ästhetik war ihre Positionierung auf der Schnittstelle zwischen der nationalen lettischen Literatur und der inoffiziellen Literatur Russlands.
Die ideelle und ästhetische Ausrichtung, die die russischsprachige Literatur Lettlands bestimmt, bildete sich Mitte der 80er Jahre in literarischen Kreisen um die kulturpolitische Zeitschrift „Rodnik“ (Quelle) heraus. Seit Ende der 90er Jahre ist ihr Zentrum das literarisch-intermediale Projekt „Orbita“.
Das Ziel meiner Dissertation ist eine umfassende historische und literaturwissenschaftliche Untersuchung dieses kulturellen Phänomens. Die Untersuchung wird in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten werde ich soziologische, historische und kulturelle Voraussetzungen für die Herausbildung der russischsprachigen Literatur Lettlands darstellen. Dabei werde ich mich sowohl auf schriftlichen Quellen (Periodika, historische und kulturpolitische Analysen) wie auf persönliche Interviews mit den Autoren und Akteuren der kulturellen Opposition der 80er Jahre und mit heutigen Autoren stützen.
Im zweiten Teil meiner Untersuchung werde ich eine komparatistische Analyse literarischer Schlüsseltexte unternehmen. Dazu kommt das für die lettische Literatur so wichtige Genre der Audio- und Videogedichte. Es sollen die Arbeiten russischsprachiger Autoren Lettlands aus dem Umkreis von „Rodnik“ und „Orbita“ mit einerseits zeitgenössischen, lettischsprachigen Autoren und andererseits Autoren der inoffiziellen Literatur Russlands der 80er Jahre sowie einiger heutiger russischer Autoren in dieser Tradition verglichen werden.
Als Ergebnis hoffe ich formale und inhaltliche Merkmale der russischsprachigen Literatur Lettlands sowie den Grad der Wechselwirkung dieser drei Literaturen (russischsprachige lettische, lettische und russische) aufeinander feststellen können.
Im Fokus meines Interesses liegt also besonders die Interkulturalität der russischsprachigen Literatur Lettlands. Ihre konstitutive Intermedialität zwischen Schrift, Video, Musik ist ein zusätzlicher, wichtiger Aspekt. Im Laufe der Arbeit möchte ich auch die folgenden beiden Fragen beantworten: Welche Rolle spielte und spielt die russischsprachige Literatur Lettlands in der Bildung neuer ästhetischer Tendenzen im gesamten Raum der russischsprachigen Literatur? Warum griffen und greifen die russischsprachigen Autoren Lettlands überwiegend auf lyrische Formen zurück?