Transformationen des türkischen Nation-Verständnisses im Zuge des Europäisierungsprozesses. Eine Untersuchung zur aktuellen Staatsbürgerschaftsdebatte in der Türkei unter Berücksichtigung der Integration von ethnisch-kulturellen Minderheiten

Lesedauer: 3 Minuten

Eran Gündüz, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt

26. August 2009

Im Kontext der Debatten um einen Beitritt der Türkei zur EU werden vielfältige Fragen aufgeworfen, die im Kern auf die Kompatibilität von politischen und gesellschaftlichen EU-Standards mit den angenommenen und tatsächlichen kulturellen, religiösen und politischen Differenzen der Türkei abzielen. Was die politischen Differenzen betrifft, so geht es hier in erster Linie um die Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Praxis von Minderheitenrechten in der Türkei.
    
Vor dem Hintergrund dieser Debatten über einen Beitritt zur EU wende ich mich in meiner Dissertation der Frage zu, wie Staatsbürgerschaft, Nation und Minderheitenfragen aktuell in den türkischen Sozialwissenschaften und der Politik diskutiert werden. Welche Konzepte für eine „multikulturelle Staatsbürgerschaft“ werden hierbei erarbeitet und zur Diskussion gestellt? Werden die vorgeschlagenen Konzepte einer integrativen Staatsbürgerschaft durch die Politik angewendet und institutionalisiert? Und wie hängen diese Diskussionen mit einer Erfüllung von politischen Kriterien und gesellschaftlichen Errungenschaften der EU zusammen?

Diese Fragen spielen heute aus demokratietheoretischer Perspektive eine sehr wichtige Rolle für den weiteren Annäherungsprozess der Türkei an die EU. In der analytischen Verquickung der türkischen Staatsbürgerschaftsdiskussion mit dem Beitrittsprozess sehe ich auch den Beitrag dieser Untersuchung.

Eine Feststellung, die bereits jetzt getroffen werden kann, ist, dass es in den Sozialwissenschaften in der Türkei Vorschläge zu einer Neudefinition der Staatsbürgerschaft gibt. Diese relativ neue Diskussion ist einerseits zu verstehen als eine Anpassungsleistung im Europäisierungsprozess, andererseits aber als ein zivilgesellschaftlicher Versuch der Demokratisierung des türkischen Nation-Verständnisses. Denn das  Türkisch-Sein als eine staatlich und gesellschaftlich geförderte Praxis und nationalistische Ideologie negierte bislang Minderheitengruppen. Meine Annahme ist, dass es im Zuge der Annäherung an die EU zu einer Transformation dieser Praxis kommt. Die wichtige Frage ist hier jedoch, herauszufinden, welche Formen von Integrationsmodellen die Gesellschaft zusammenhält. Ich will hier insbesondere ein „multikulturelles“ Verständnis von Staatsbürgerschaft diskutieren.

Anhand von Theorien der Nation untersuche ich zunächst den türkischen Nationsbegriff mit Hilfe der Kategorien „ethnischer“ und „politischer“ Nationsbegriff. Dies soll überleiten zur Analyse der aktuellen Diskussion über Staatsbürgerschaft in der Türkei, die im Kontext von sozialwissenschaftlichen Konzepten „Multikultureller Staatsbürgerschaft“ beleuchtet wird. In einem dritten Teil werden zwei gesellschaftliche Gruppen als Fallbeispiele genauer untersucht. Zum einen handelt es sich vor dem historischen Hintergrund des Völkermords an den Armeniern um die Frage der heutigen Integration der armenischen Gruppe in die türkische Gesellschaft. Zum anderen möchte ich nach den kulturellen Integrationsbedingungen der kurdischen Minderheit fragen.

Die Arbeit ist theoretisch angelegt, wobei insbesondere Literatur zu Nation und  Staatsbürgerschaft in deutscher, türkischer, englischer und französischer Sprache verwertet werden soll. Zudem wurden 6 Experteninterviews sowohl mit Experten in der Türkei als auch in der EU-Erweiterungskommission geführt. Diese Interviews werden anhand einer Argumentationsanalyse für die Generierung des theoretischen Ansatzes herangezogen.

Zurück zur Übersicht

» Übersicht Förderung der Promovierendenvorhaben

Zum Warenkorb hinzugefügt: