Sehr geehrte Damen und Herrn,
Ladies and Gentlemen,
ich begrüße Sie herzlich im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir freuen uns sehr über das große Interesse und die Teilnahme zahlreicher internationaler Fachleute an dieser Konferenz.
Wir wollen mit dieser Konferenz zum einen die Diskussion über Arbeitsmigration unter den Vorzeichen der demografischen Entwicklung in Europa, der Entwicklung der internationalen Arbeitsmärkte und der ökonomischen Integration von Migranten vorantreiben; darüber hinaus geht es darum, Empfehlungen für eine konsistente EU-Politik zur Arbeitsmigration und Arbeitsmarktintegration zu erarbeiten.
Während sich die öffentliche Debatte um Zuwanderung und Integration in Europa vor allem an kulturellen und religiösen Differenzen festmacht, ist aus unserer Perspektive die Frage der ökonomischen Integration von Immigranten die Basis auch für ihre gesellschaftliche und politische Einbürgerung, wenn wir darin nicht nur einen formalen Akt sehen. Dabei geht es sowohl um Aufstiegschancen für Einwanderer wie um den Bedarf der europäischen Gesellschaften an talentierten Köpfen, zupackenden Unternehmern, Ingenieuren, Ärzten und Fachkräften aller Provinienz.
Europa steht zunehmend vor dem Problem, seinen wachsenden Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften zu decken. Zwar ist die EU bestrebt Hochqualifizierte anzuwerben, um so die drohende demographische Krise und den damit verbundenen Fachkräftemangel abzuwenden. Aber die bisherigen Bemühungen zur Attraktion von „High Potentials“ aus aller Welt waren eher halbherzig und nicht sehr erfolgreich. Die meisten europäischen Länder tun sich immer noch schwer damit, Neuankömmlinge aus anderen Kontinenten und Kulturen zu akzeptieren, und das Fehlen einer aufeinander abgestimmten Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik der EU ist ein klarer Wettbewerbsnachteil. Kleinkarierte Regelungen zum Familiennachzug und die Mobilitätsbeschränkungen innerhalb der EU wirken eher abschreckend auf potentielle Zuwanderer.
Dazu kommen protektionistische Tendenzen zum Abschirmen der eigenen Arbeitsmärkte, die durch die aktuelle Wirtschaftskrise noch verstärkt wurden. Schon auf mittlere Sicht wirkt sich dieser vermeintliche Konkurrenzschutz für einheimische Arbeitskräfte verheerend auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Europas aus. Gerade für Deutschland mit seinen gravierenden demographischen Problemen ist Protektionismus kein gangbarer Weg.
Es wird erwartet, dass sich die Weltwirtschaftsleistung in den nächsten 20-25 Jahren verdoppelt und rund eine Milliarde neuer hochqualifizierter Arbeitsplätze entstehen. Die Frage ist, wie viele davon in Europa und Deutschland angesiedelt sein werden. Das Gewicht Europas und Deutschlands wird in der globalisierten Wirtschaft von heute rund 19 Prozent auf geschätzte 5 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung zurückgehen. Dieser Trend ist unumkehrbar. Offen ist aber, welche Rolle Europa künftig noch in der Weltwirtschaft spielen wird, wie weit es ein Standort für innovative Industrien bleibt und am Wachstum der aufsteigenden Nationen teilhat.
Vor diesem Hintergrund werden Erzeugung, Vermittlung und produktiver Einsatz von Wissen zu entscheidenden Wohlstandsquellen Deutschlands und Europas im 21. Jahrhundert. Wirtschaftlich erfolgreich und sozial stabil kann Europa nur sein, wenn seine Mitgliedsländer sich zu nach oben durchlässigen, mobilen Gesellschaften entwickeln. Dafür braucht es den Zugang zu Wissen für alle Gesellschaftsschichten, die Mobilisierung aller Bildungsreserven, die Integration von Einwanderern und ausländischen Studierenden, die Überwindung geschlechtsspezifischer Benachteiligungen und die Anwerbung von Hochqualifizierten - in dieser Reihenfolge. Wir können nicht durch die Anwerbung von Hochqualifizierten kompensieren, was wir gegenüber den bereits hier lebenden Migranten versäumen.
Die aktuellen Trends gehen in die entgegen gesetzte Richtung: Während die Nachfrage nach Hochqualifizierten auf dem europäischen Arbeitsmarkt kontinuierlich steigt, sinkt aufgrund der demografischen Entwicklung in den meisten EU-Staaten das Angebot.
Länder wie Deutschland oder Frankreich verzichten zudem auf das kreative Potential großer Teile ihrer Bevölkerung. Institutionelle Barrieren beim Zugang zu Bildung und Arbeit sowie diskriminierende Einstellungen behindern die Aufstiegs- und Fortbildungswünsche von jungen Leuten aus bildungsfernen Milieus. Selbst gut ausgebildete Zuwanderer werden in ihrem Tatendrang gebremst, wenn ihre Qualifikationen nicht anerkannt werden oder die unsichtbaren Hürden für ihren beruflichen Aufstieg besonders hoch gelegt werden.
In den letzten Jahren ist sogar eine negative Wanderungsbilanz bei Akademikern und Fachkräften zu beobachten – so kehren qualifizierte junge Migranten türkischer Herkunft der Bundesrepublik den Rücken, weil sie sich in der Türkei größere Chancen versprechen, und auch unter deutschstämmigen Fachkräften nimmt die Zahl der Auswanderer zu.
Damit schwächen die europäischen Staaten ihre Position nicht nur gegenüber klassischen Einwanderungsländern wie USA, Kanada und Australien, die nach wie vor eine aktive Einwanderungspolitik betreiben; sie geraten zunehmend auch gegenüber klassischen Entsenderländern wie Indien, China, Brasilien oder der Türkei ins Hintertreffen. Denn diese Länder sind längst selbst attraktive Wirtschaftsräume geworden.
Eine weitsichtige europäische Politik für die Anwerbung und Integration hochqualifizierter Arbeitskräfte muss die Spannungen zwischen den verschiedenen Politikebenen Europas in Rechnung stellen. Gut gemeinten Initiativen der Kommission stehen zu oft eine gegenläufigen Praxis der europäischen Mitgliedsländer im Wege. Das beharren auf der nationalen Souveränität in Migrationsfragen verhindert eine konsistente Einwanderungs- und Integrationspolitik in Europa.
EU-Initiativen wie die Blue Card konzentrierten sich darauf, die Mobilität von Hochqualifizierten in der EU zu verbessern. Sie vernachlässigten aber das Problem des Brain Drain in Entwicklungsländern. Eine umfassende Strategie zur Arbeitsmigration muss dem Prinzip der Reziprozität (des gegenseitigen Nutzens) folgen, um die negativen Auswirkungen in Entwicklungsländern zu minimieren. Zu einem solchen Paket gehören verstärkte Investitionen in den Bildungssektor, der Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und die Förderung des privaten Unternehmenssektors in den Entsendestaaten, also Maßnahmen, die den sozialen Druck zur Auswanderung mindern und Anreize für die Rückwanderung qualifizierter Arbeitskräfte schaffen.
Diskussionsbedarf gibt es auch zu der Frage, wie und nach welchen Prämissen die grenzüberschreitende Zuwanderung gesteuert werden soll. Wieweit kann und muss staatliche Politik dabei eine steuernde Rolle spielen, z.B. Instrumente wie ein Punktesystem für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen, die Einführung einer europäischen „Blue Card“ und verbesserte Zugänge bereits hier lebender Migranten und Flüchtlinge zum höheren Bildungssystem und zum Arbeitsmarkt.
Das von der Heinrich-Böll-Stiftung vorgelegte, von Steffen Angenendt und Roderick Parkes verfasste Diskussionspapier „After the Blue Card. EU Policy on Highly Qualified Migration“ schlägt unterschiedliche Wege aus der Sackgasse europäischer Einwanderungspolitik vor. Ich nenne vor allem eine deutliche Verbesserung der Attraktivität Europas für Hochqualifizierte; die Integration aller einheimischen Potentiale sowie die Entwicklung Europas zu einem Raum des Wissens und der Bildung.
Wir danken den Autoren für ihre Anregungen. Roderick Parkes wird das Discussion Paper heute Nachmittag präsentieren.
Am Ende der Konferenz wollen wir die Impulse aus dieser Vorlage mit den Anregungen aus der Diskussion zu einer politischen Handlungsempfehlung für die Europäische Union weiter entwickeln. Insofern ist Ihr Feedback im Verlauf der Tagung ein wichtiger Beitrag für die politische Handlungsempfehlung, die am Ende entstehen soll.
Diese Konferenz ist ein Follow-up der Vorgängerkonferenzen “European Governance of Migration” (September 2008) und „Euro-Mediterranean Border Management“ (Mai 2009). Sie wurde mit langjährigen und neuen Kooperationspartnern vorbereitet. Ich bedanke mich sehr beim British Council, der amerikanischen Botschaft und der International Organization for Migration; sie haben maßgeblich zur Realisierung dieser Veranstaltung beigetragen.
Stellvertretend für die Partnerinstitutionen gilt unser besonderer Dank an dieser Stelle: Guido Jansen, André Weiß und Marijke Brouwer (vom British Council); Regina Sharif (von der US-Botschaft); und Danijela Medved und Luisa Freier (von IOM).
Das verantwortliche Organisationsteam in der Heinrich Böll Stiftung für diese Tagung besteht aus Mekonnen Mesghena, Simonetta Neubert und Olga Drossou. Auch ihnen gilt mein besonderer Dank für ihre inhaltliche und praktische Vorarbeit.
Ich wünsche Ihnen allen anregende Diskussionen sowie angenehmen Aufenthalt bei uns in der Heinrich-Böll-Stiftung und in Berlin.
Nun bitte ich die beiden Vertreter unserer Partnerinstitutionen auf die Bühne: zunächst spricht Mr. Patrick Hart, Direktor des British Council, gefolgt von Ms. Argentina Szabados, der neuen Vertreterin von IOM (International Organization for Migration) in Deutschland.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.