Das Kombikraftwerk belegt: Mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen lässt sich die Vollversorgung sichern.
Zu Besuch bei Kurt Rohrig, dem Erfinder dieser neuen Technologie und Träger des Deutschen Klimaschutzpreises
Das Spannende war für ihn der Entwicklungsprozess. Kurt Rohrig und sein Team hatten von März bis Juni Zeit – knapp vier Monate. Zu Anfang gab es nur die Idee, saubere Energien zur Stromgewinnung irgendwie zu vernetzen. Am Ende war das "Kombikraftwerk" geboren, eine virtuelle Steuerzentrale, die die Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Biogas miteinander verknüpft. Der 52 Jahre alte Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel war am Ziel. Und wurde prompt mit dem Deutschen Klimaschutzpreis 2009 der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet.
"Es lohnt sich, mit viel Engagement auch Ungewisses zu wagen", sagt Rohrig in der ruhigen Art eines Wissenschaftlers, der sich nur wenig Stolz auf das Geleistete gönnt.
Dabei hat die Auszeichnung eine wichtige Signalwirkung: Das virtuelle Kombikraftwerk belegt nämlich erstmals, dass erneuerbare Energien eine Stromversorgung zu jeder Zeit und bei jedem Wetter gewährleisten können – vorausgesetzt, sie sind intelligent vernetzt.
In der Entwicklung des Kombikraftwerks war eine Unmenge an Daten zu erfassen und zu analysieren. Was passiert mit der Energieproduktion in Windparks bei hohen Windstärken? Welche Energien lassen sich wie am besten speichern? Und vor allem: Reicht das alles aus, um den Bedarf in Deutschland komplett abzudecken? Rund um die Uhr? Bei Sonnenschein genauso wie bei Dauerregen? Die realen Verbrauchsdaten in Deutschland aus dem Jahr 2006 dienten als Orientierung, wie viel Strom bereitzustellen ist. Ein Zehntausendstel des gesamten deutschen Strombedarfs sollte im Pilotprojekt gesichert werden, ungefähr 12.000 Haushalte, eine Stadt so groß wie Schwäbisch Hall.
Kurt Rohrig ist im Umland von Kassel aufgewachsen, seine Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Viehzucht. Nach einem Maschinenbau-Studium wurde er in der Elektrotechnik promoviert und forscht heute als Bereichsleiter des IWES zu Energiefragen. Dass er mithilft, die Klimaerwärmung zu verhindern, hat nicht nur mit seiner eigenen Naturverbundenheit zu tun, sondern betrachtet er auch als Pflicht seinen drei Kindern gegenüber.
Die Nachricht, dass er den Klimapreis erhält, hat ihn jedoch völlig überrascht. Auf dem Handy ist er angerufen worden und hat sich dann erst mal setzen müssen. Eine interne Feier zur Preisverleihung gab es Mitte November im IWES: Jeder aus dem Team war aufgerufen, sich klimagerecht zu kleiden und einen Beleg für seinen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz – etwa das Straßenbahnticket – mitzubringen. Rohrig mimte den "Klimapessimisten" und trug Strandbekleidung.
Im realen Leben hat Kurt Rohrig eher die Rolle des "Mutmachers". Die Auszeichnung mit dem Klimaschutzpreis belegt, so Rohrig, dass seine Botschaft angekommen ist. Und die heißt: Erneuerbare Energien müssen in ihrer Gesamtheit betrachtet werden! Die Vollversorgung zu sichern, ist dann keine Frage der Technik, sondern eine des geschickten Kooperationsmanagements. Vernetzungsstrategien müssen heute, sagt Rohrig, auf regionalen, nationalen und internationalen Ebenen vorangetrieben werden. Projekte wie Erene, die Europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien, wiesen da in die richtige Richtung.
Für das Kombikraftwerk hat es unzählige kleine Schritte gebraucht. Immer wieder wurden neue Daten eingespeist, das System neu konfiguriert und der Ablauf simuliert. Die zentrale Hürde dabei war, die Schwankungen beim Stromverbrauch und der Energiegewinnung durch intelligente Vernetzung auszugleichen. Um die Kraftwerksfunktionen zu berechnen, sind genaue Prognosen zum Strombedarf im Alltag und zur Stromerzeugung aus Wind und Sonne nötig. Die daraus berechneten Last- und Erzeugungsprofile sind das Herzstück der zentralen Steuerungseinheit, die mittels der entsprechenden Hard- und Software die Leistungen von elf Windparks, vier Biogas-, 20 Solaranlagen und einem virtuellen Pumpspeicherkraftwerk kombiniert.
In der Leitzentrale am Kasseler Institut treffen auch die Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes über Windstärken und Sonnenstunden ein, nach denen die Leistungen von Wind- und Solaranlagen prognostiziert werden. In der Simulation werden Energiegewinnung und Stromverbrauch laufend beobachtet und kontrolliert. Steigt der Verbrauch über das Maß an, das Sonne und Wind aktuell leisten können, wird eine Biogasanlage per Mausklick hinzugeschaltet. Damit bei starken Windböen keine Energie verloren geht, wird ein virtuelles Pumpspeicherkraftwerk angeschlossen.
Das Kombikraftwerk hat unterdessen längst "Kinder" bekommen. Die Forschungsergebnisse fließen bereits ein in das Projekt "Regenerative Modellregion Harz". Dort sollen die erneuerbaren Energien für den täglichen Gebrauch erschlossen und in bestehende Energiekonzepte eingebunden werden.
Susanne Werner ist Soziologin, Journalistin und Gesundheitswissenschaftlerin. Seit 2004 in Berlin selbstständig im Bereich Gesundheitskommunikation und Netzwerkmanagement tätig.