"Schiefe Bilder gerade rücken"

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Iranische Zeitungen auf einem Stand in Teheran

Bahman Nirumand, Autor des Iran-Reports der Heinrich-Böll-Stiftung, gibt Einblick in seine Arbeitsweise und erläutert Schwierigkeiten im Umgang mit Nachrichten aus dem Iran. Der 1936 in Teheran Geborene lebt seit fast drei Jahrzehnten als Journalist und Publizist in Berlin – allerdings: gedanklich hält er sich mehrere Stunden täglich im Iran auf.

Herr Nirumand, der Iran-Report erscheint zum 100. Mal. Ist das auch für Sie als Autor ein Grund zur Freude?
Ja, in der Tat. Ich freue mich interessierte Leserinnen und Leser Monat für Monat über den Iran informieren zu können. Hundert Ausgaben – das ist eine durchaus ein Erfolg.

Seit 2002 verfassen Sie den Iran-Report im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Erinnern Sie sich noch an die ersten Ausgaben vor acht Jahren?
Ich erinnere mich durchaus. Eigentlich waren ja nur vier bis fünf Seiten vorgesehen. Aber als ich angefangen habe über das Wichtigste zu berichten, musste ich feststellen, dass ich damit nicht auskomme.
In den ersten Ausgaben hatte ich noch keine richtige Linie. Es brauchte einige Zeit, bis die Arbeit für den Report dann mehr oder weniger zur Routine wurde. Zwar bin ich als Journalist tätig, aber den Iran-Report regelmäßig und in diesem Umfang fertig zu stellen, war schon eine Herausforderung. Es handelt sich ja nicht um Nachrichtenberichterstattung im eigentlichen Sinn, sondern ich habe versucht auch Hintergründe zu beleuchten. Da vieles vor allem für deutsche Leser nicht einfach nachvollziehbar ist, muss man Zusammenhänge analysieren und  aufzeigen.

Das scheint nicht immer ein Leichtes zu sein – angesichts der medialen Konzentration auf die Atompolitik…
Ja, es ist aber auch nicht leicht, weil vor allem die meisten hiesigen Medien ein schiefes Bild des Iran zeigen. Sämtliche Kommentare und Analysen scheinen mir – und das ist bis heute der Fall – nicht auf genauer Kenntnis der Lage zu beruhen. Vor der Protestbewegung im Iran hat man ein völlig falsches Bild von diesem Land gezeichnet. Als sei der Iran ein trauriger und dunkler Ort, eine triste und sinistere Welt, in der Frauen gebückt und umhüllt von Schleiern herumlaufen. Ich versuche, soweit es durch den Iran-Report möglich ist, aber auch durch meine sonstige journalistische und publizistische Tätigkeit, dieses falsche Bild zu korrigieren. Das heißt, ich bemühe mich, durch Fakten und Nachrichten zu zeigen, dass Iran ein heterogenes Land  mit großer Vielfalt ist. All dies musste man vom ersten Iran-Report an neu in die Presselandschaft Deutschlands hineintragen und diese Aufgabe besteht bis heute.

Obwohl Sie seit Jahrzehnten nicht mehr in den Iran reisen können, sind Sie dennoch immer auf dem neuesten Stand. Wie gelingt Ihnen das?
Tatsächlich glaube ich, dass ich besser informiert bin als viele Iraner. Ich lebe zwar in Deutschland, aber ich halte mich gedanklich jeden Tag mehrere Stunden im Iran auf – dank Internet und meinen Verbindungen sowie persönlicher Kontakte, die ich in den Iran habe. Deshalb sind Freunde oder Bekannte, die mich aus dem Iran besuchen kommen, oftmals erstaunt, wie gut ich informiert bin. Es gibt mittlerweile sehr viele Wege sich über die Lage im Land zu informieren.

Können Sie Beispiele nennen?
Zuerst sind da inländische und ausländische Agenturen, iranische und internationale Zeitungen. Dann gibt es sehr viele Internetseiten im Iran, die auch von Oppositionellen betrieben werden…

Nutzen Sie auch Blogs?
Ja, sicher. Bevor es das Internet gab, hätte ich über nicht einmal halb so viele Informationen verfügt. Das Internet hat sehr viel dazu beigetragen Auslandsopposition und die Menschen im Iran einander näher zu bringen. Es gibt eine sehr rege Kommunikation und man kann behaupten, dass das Internet hier revolutionär wirkt. Auch das Regime nutzt das Internet zunehmend – ob Ayatollah, die  Heiligen Stätten in Ghom oder auch Ahmadinedjad, alle haben ihre eigene Website.

Nutzen Sie selbst auch neue Medien wie Twitter oder Facebook?
Ja! Das Schöne daran ist, dass Twitter oder Facebook die private Stimmung einfangen können. Das heißt, ich muss mich nicht nur auf Nachrichten berufen, sondern es besteht die Möglichkeit zu erfahren, wie sich die Menschen fühlen und was sie denken. Mir fällt gerade ein Zitat ein, da schreibt ein Junge offensichtlich an seine Freundin „Ach wie wunderbar wäre es, wenn wir eines Tages mit einer Flasche Wein in der Hand gemeinsam nachts durch Teheran tanzen – aber natürlich nur wenn deine Mutter es erlaubt“. Diese Stimmung, diese Sehnsüchte können plötzlich gehört werden. Es sind einzelne Stimmen des Alltags, denen man anhört, ob die Menschen sich freuen oder resignieren.

Ein Land wie der Iran ist dennoch nicht immer einfach zu durchschauen. Lassen sich Meldungen aus dem Iran in der Ferne überprüfen?
Man muss immer skeptisch sein und besonders ungewöhnliche Meldungen versuchen zu überprüfen. Ich selbst habe es immer strikt vermieden, eine Nachricht zu bringen, die nicht gesichert ist. Man kann natürlich andere zitieren, aber dann muss man es explizit machen und darf es nicht als Tatsache übernehmen. Über das Atomprogramm Irans werden zum Beispiel soviel Vermutungen geäußert – vor allem von israelischer Seite teilweise auf sehr dramatische Art und Weise – da muss man unterscheiden und versuchen herauszufinden was stimmt und was nicht.

Wann werden Sie das erste Mal wieder in den Iran reisen?
Das kann man leider nicht wissen. Als ich 1982 geflohen bin, dachte ich, es würde sich nur um ein paar Monate handeln. Aber aus Monaten sind fast dreißig Jahre Sehnsucht geworden. Dennoch, ich bin ein sehr optimistischer Mensch.

Das Interview führte Christian Eichenmüller.