Nachhaltig aus der Krise - Mit der ökologischen Finanzreform eine doppelte Dividende erzielen

Cover des Strategiepapiers Nachhaltig aus der Krise.

14. Juli 2010
Renko Recke.

Von Renko Recke

Die öffentlichen Kassen werden zunehmend leerer, das Haushaltsdefizit steigt unaufhörlich, und der Klimawandel schreitet weiter voran. Trotz dieser bedrohlichen Entwicklungen sinkt der Anteil von umweltbezogenen Abgaben am gesamten Steueraufkommen in den letzten Jahren stetig. Genügend Gründe für die Heinrich-Böll-Stiftung, den Vorschlag einer ökologischen Steuerreform zu präsentieren.

Das Strategiepapier „Nachhaltig aus der Krise“, das im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) erstellt wurde, zeigt, wie mit Ökosteuern kurzfristig Milliardeneinnahmen nicht nur sozial-, sondern auch wirtschaftsverträglich erzielt werden sollen. In dem Papier werden Ideen vorgestellt, wie die milliardenschweren Konjunkturprogramme gegenfinanziert und nachhaltige Lenkungseffekte für ein ökologisches Verbraucherverhalten sowie eine zukunftsweisende Klimapolitik gefördert werden könnten.

Doch wie kann eine solche Reform politisch umgesetzt werden? Welche Probleme könnte es bei der Umsetzung der Vorschläge geben und was wären die Alternativen? Diesen Fragen stellten sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung am 15. April in Berlin Lisa Paus von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, Ralph Brinkhaus von der CDU-Fraktion und ebenfalls Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, Berthold Welling, Abteilungsleiter für Steuern und Finanzpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Damian Ludewig, Mitautor des Strategiepapiers und Geschäftsführer des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft unter der Leitung von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Chancen einer ökologischen Steuerreform

Ralf Fücks stellte einleitend fest, dass die Krise und deren ökonomische Folgen nicht durch ein einfaches Wirtschaftswachstum zu überwinden sind. Daher stellt die ökologische Steuerreform ein wichtiges Instrument zur Finanzierung des Staatshaushaltes dar und besitzt gleichzeitig die positiven Lenkungswirkungen, die wir brauchen um die in Deutschland und Europa gesetzten Klimaziele zu erreichen. „Die bisherigen politischen Instrumente werden dafür nicht genügen“, so Ralf Fücks.

Damian Ludewig bezeichnet in seiner Präsentation die heutige Steuerpolitik als eine Politik der „perversen Anreize“, d.h. wer sich ökologisch verhält wird finanziell bestraft. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt zudem, dass der Anteil von Umweltsteuern durchgehend rückläufig ist und ohne einen Politikwechsel laut Strategiepapier bis 2013 weiter abnehmen wird. Zudem wird umweltschädliches Verhalten wie der Abbau von Braunkohle weiterhin staatlich subventioniert. Aber auch andere umweltschädliche Bereiche wie der Flug- und Automobilverkehr werden laut Studie zusammengenommen jährlich mit ca. 34 Milliarden Euro subventioniert.

Neben einer ökologischen Besteuerung fordert die Studie auch den Abbau dieser Subventionen und präsentiert 13 Maßnahmen für eine ökologische Reform. Die Vorschläge sind allesamt im Bereich Verkehr und Energie angesiedelt. Darunter befinden sich eine Dienstwagenbesteuerung abhängig vom CO2-Ausstoß der Fahrzeuge, die Einführung einer Abgabe für Flugtickets, die Einrichtung einer emissionsabhängigen Zulassungssteuer, aber auch der Abbau von Energiesteuerausnahmen für die Industrie und die Einführung einer Kernbrennstoff-Steuer. Insgesamt würden die in der Studie untersuchten Maßnahmen dem Staat kurzfristig Mehreinnahmen von rund 18 Milliarden Euro und bis 2015 sogar rund 65 Milliarden Euro einbringen. Mit diesem Geld könnte man dem ökologischen Wandel unserer Gesellschaft neue Impulse geben und zugleich das Staatsdefizit wesentlich verringern, berichtet Ludewig.

Wachstum wird die fiskalischen Probleme nicht lösen

Berthold Welling stellt gleich zu Beginn der Diskussion in Frage ob denn die Lenkungswirkung der Steuern überhaupt die richtigen Ziele verfolgt. Seiner Meinung nach wird man mit der steuerlichen Verteuerung von Ressourcen nicht zwangsläufig Mehreinnahmen erreichen. Zudem bezeichnet er dies als autoritären Eingriff des Staates, der eine überzogene Lenkungswirkung besitzt. Welling plädiert in seinen Ausführungen daher für einen effizienteren Staat und Ausgabenkürzungen anstatt weiterer Belastungen für Unternehmen. Er befürwortet hingegen die Verlagerung von CO2-Reduktionsmaßnahmen ins Ausland, wo diese seiner Meinung nach wesentlich günstiger erreicht werden könnten. Zum Problem des Staatsdefizits schlägt er deshalb vor die Ausgaben zu kürzen und den Staat effizienter zu gestalten.

Ralph Brinkhaus stimmt mit den Analysen der Studie insofern überein, dass er der Aussage zustimmt, dass die fiskalischen Probleme des Staates allein mit Wachstum nicht zu lösen sind und dass der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen sehr stark reduziert werden muss und bestenfalls bis 2050 bei Null liegen sollte. Er bezeichnet die ökologische Frage sogar als die Frage nach der die heutige Generation später einmal bemessen werden wird. Herr Brinkhaus befürwortet die Ansätze der Studie, sieht aber Probleme bei der Kommunikation dieser Botschaften an die breite Bevölkerung. So werde seiner Ansicht nach im Bezug auf ökologische Themen häufig ohne Rücksicht auf die Lebensrealitäten der Menschen gesprochen. Zudem kritisiert er die Fokussierung der Studie auf den Auto- bzw. Verkehrsbereich. Er betonte dennoch, dass man ehrlich zu den Menschen sein müsse und ihnen deutlich mache müsse, dass wir nicht so verschwenderisch weiterleben können wie bisher. Dazu gehöre eben auch Verzicht, so Ralph Brinkhaus. Den Konzepten zur Flugticketabgabe und der Besteuerung von Flächenversiegelung konnte er nur einhellig zustimmen. Er spricht sich deshalb für einen intensiveren Austausch zwischen Wissenschaftlern und Menschen aus der Praxis in den angesprochenen Bereichen aus.

Mehr Ökosteuern, weniger Subventionen

Der Ausgangspunkt der Diskussion liegt für Lisa Paus bei der Tatsache, dass die jetzige Regierung das Problem der Staatsverschuldung angehen muss, dafür aber keine ausreichenden Konzepte besitzt. Zur Lösung dieser zentralen Probleme kann eine ökologische Steuerreform laut Paus einen wesentlichen Beitrag leisten, denn aufgrund der derzeitigen Lage wird keine Regierung über kurz oder lang um Steuererhöhungen herumkommen.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland laut Paus bei den Ökosteuern keinesfalls an der Spitze. Der Anteil der Umweltsteuern liegt bezogen auf das BIP in Deutschland bei ca. 2,2 Prozent und damit noch unter dem europäischen Durchschnitt von 2,7 Prozent. „CO2-armes Wirtschaften muss möglichst schnell Realität werden“, fordert Paus.

Der Subventionsabbau der in der Studie vorgeschlagen wird findet ihrer Meinung nach überhaupt nicht statt. Zumindest diese negativen Anreize sollten von der jetzigen Regierung in Angriff genommen werden. Dabei handelt es sich laut Zahlen des Bundesumweltamts um ca. 40 Milliarden Euro im Jahr. Des Weiteren gibt Paus zu bedenken, dass eine niedrige Dienstwagenbesteuerung auch eine Folgewirkung für den gesamten Markt besitzen würde, da von den als Neuwagen zugelassenen Fahrzeugen ca. 60 Prozent Dienstwagen sind. Diese würden dann wiederum später auf dem Gebrauchtwagenmarkt als Fahrzeuge mit hohen CO2-Emissionen auftauchen.

Ludewig zeigte sich in der Diskussion überrascht, dass aus der Sicht von Brinkhaus die Preise weniger eine Rolle spielten als die Überzeugung der Menschen. Er kenne persönlich viele Menschen die ökologisch motiviert seien, aber trotzdem nach Spanien flögen, weil die preislichen Anreize extrem stark sind. Das Problem des Gegensatzes von Lenkungswirkung und fiskalischer Wirkung das Welling zuvor anführte sieht Ludewig hingegen nicht. Bisherige Erfahrungen zeigten, dass meistens eine Mischwirkung aus beidem besteht. Die Lenkungswirkung beträgt in solchen Fällen 10 bis 20 Prozent. Der Verbrauch bestimmter Ressourcen wird dadurch also kurz- und mittelfristig nicht völlig abgestellt, sodass sich aus den erhöhten Abgaben dann die Mehreinnahmen ergeben. Dies könne man auch bei der Besteuerung von Arbeit beobachten. Eine höhere Besteuerung stellt einen Anreiz dar Arbeitsplätze wegzurationalisieren, trotzdem wird sie nicht abgeschafft. Die Frage ist vielmehr welche Lenkungswirkung man hervorrufen möchte und welche nicht. Jeder hat weiterhin die Möglichkeit sich frei zu verhalten, nur sollen Kosten von denjenigen getragen werden die sie verursachen. Diejenigen die ihr Verhalten hingegen ändern sollten finanziell belohnt werden, schlussfolgert Ludewig.

Prämissen eingehen und die Zukunft gestalten

In der Diskussion mit den Gästen der Veranstaltung stand die Frage nach dem „ob“ weniger zur Debatte als die Frage nach dem „wie“ einer ökologischen Steuerreform. Nach der Präsentation des Papiers schien den meisten Beteiligten deutlich zu sein, dass mit diesem Instrument eine realpolitische Möglichkeit besteht zwei drängende Probleme der Gegenwart gleichzeitig in Angriff zu nehmen.

Auf die Frage nach der konkreten Ausgestaltung machte Lisa Paus nochmals deutlich, dass eine ökologische Steuerreform nicht einzeln betrachtet werden sollte sondern aus Sicht der Bündnis 90/Die Grünen als ein Teil eines Gesamtpaktes zur ökologischen Transformation der Wirtschaft, des so genannten „Green New Deal“.

Brinkhaus sieht in der gesamten Diskussion um ökologische Themen immer noch zu viele ideologische Gräben zwischen den Grünen und der Regierung, die bestimmte Übereinkommen verhindern würden. Man müsse vielmehr gemeinsam den Verbrauchern die Angst vor steigenden Kosten nehmen und ihnen einen Weg aufzeigen wie auch mit Mehrbelastungen ihr Lebensstandard gehalten werden kann und trotzdem bestimmte ökologische Ziele erreicht werden können. Dass kurzfristig konkrete Mehrbelastungen auf die Menschen zukommen würden, bestätigte Ludewig. Diese Belastungen werden aber insgesamt geringer sein, als mögliche Alternativen, die zur Verfügung ständen. Mittelfristig ist das Ziel aber, die ökologischen Steuern aufkommensneutral zu halten. Wenn man das Haushaltsdefizit in den Griff bekommen hat, soll weitestgehend eine Umschichtung von Mitteln und keine Mehrbelastung stattfinden.

Welling sieht die Pflicht im Bereich des ökologischen Handelns der Industrie bereits erfüllt und keine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen. Die Industrie habe sich an die Abmachungen über die Einsparungen von 170 Millionen Tonnen CO2 gehalten. Zudem sehe er in den Vorschlägen des Strategiepapiers keine Anreize sondern nur Verbote, die er so nicht akzeptiere. Ludewig betonte nochmals, dass es sich bei den Vorschlägen immer um Anreize und nicht um Verbote handele, da es immer die Möglichkeit gebe auf Alternativen auszuweichen, was dann die erhoffte Lenkungswirkung mit sich bringt.

Zur Frage nach der Einführung einer PKW-Maut kann Lisa Paus nicht nachvollziehen, warum diese sozialer als eine Erhöhung der Mineralölsteuer sein solle. Zudem würde die technische Einrichtung eines solchen Projektes einen erheblichen Teil der Einnahmen wieder auffressen. Paus wünscht sich lieber zukunftsweisende Konzepte für moderne Mobilität in Deutschland, die nicht die PKW-lastige Infrastruktur verstärken. In diesem Punkt stimmt auch Brinkhaus zu. Er sehe bei einer Einführung zu viele Probleme und auch keine ökologische Lenkungswirkung.

Wir brauchen einen neuen Impuls für eine ökologische Steuerreform

Am Ende der Veranstaltung schloss Ralf Fücks mit einem Appell an das Publikum. Angesichts der bevorstehenden Herausforderungen scheinen ihm die Vorschläge des Strategiepapiers fast noch zu bescheiden. Man sei nicht mehr im Jahr 1998 oder 2003. Daher sei es Zeit für eine neue Debatte um die ökologische Steuerreform und für einen neuen Impuls in diese Richtung: „Wir stehen vor einer finanzpolitischen Herausforderung, die dramatisch und präzedenzlos ist und deshalb außerordentliche Maßnahmen erfordert.“ Die jetzige Regierung wird sich diesen Herausforderungen stellen und Prämissen eingehen müssen um diese Probleme zu bewältigen.

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