Sofa gefällig?

31. August 2010
Von Gözde Pesman
Rosafarbene Tapete, instabile Treppenstufen und ein bestialischer Gestank, der auf ein nicht funktionierendes Abwassersystem schließen lässt. Der Hauseingang in der Kaloshin Straße 6 lässt einiges erahnen - am wenigsten aber eine Moskauer Couchsurfer-Party.

Kyrillische Schriftzeichen und die fremde Sprache macht es Touristen nicht einfach, sich in der Hauptstadt Russlands zu orientieren. Wer sich hier auf Englischkenntnisse verlässt, sollte sich schnell einen Muttersprachler organisieren oder vor der Reise einen Intensiv-Sprachkurs belegen. Was macht der moderne Backpacker aber, wenn er nur auf der Durchreise ist und niemanden kennt? Couchsurfing nennt sich die Lösung.

In westlichen Ländern hat sich Couchsurfing bereits als moderne und preisgünstige Form des Übernachtens etabliert. Das System ist einfach: Reiselustige können sich in dem Internetportal registrieren, die eigene Couch als Schlafplatz anbieten oder andere Sofas nutzen. Eine Bezahlung für die Übernachtung ist nicht vorgesehen, der interkulturelle Austausch ist inklusive. Bereits 1,6 Millionen Mitglieder zählt die Couchsurfingszene. Neben den Gratisübernachtungen werden auch Partys organisiert, so wie heute Abend in Moskau.

„Die Couchsurfingszene in Moskau ist groß“, bestätigt Natalia. Einmal im Monat stellt die Russin ihr Einzimmerapartment zur Verfügung, veranstaltet eine Party und lädt alle Mitglieder ein, die in der Stadt sind. Sie selbst hat einige Jahre in England gelebt und arbeitet seit kurzem in einem internationalen Unternehmen. Ihr Vorgesetzter sei ein Deutscher, erklärt sie mit perfektem britischem Akzent. Bis Gabriel die Gastgeberin unterbricht: „Die Fajitas sind fertig!“

Gabriel ist heute für den kulinarischen Teil zuständig und hat typisch brasilianische Spezialitäten zubereitet: frittierte Bananen und Caipirinha. Er lebt seit zwei Jahren in Moskau, er studiert hier Medizin. „Man verdient im Ausland einfach mehr“, sagt er. Er füllt die Cocktailgläser mit Cachaca. Der Brasilianer hat viele seiner Freunde beim Couchsurfing kennengelernt, Wie viele der Couchsurfer versucht er nicht mehr Geld als nötig auszugeben, Kleidung großer Marken sucht man auf der Party vergeblich. Es sind ganz normale Studenten, die sich der Sofagemeinde angeschlossen hat. Trotz kulturellem Interesses, welches Gabriel wie alle anderen Couchsurfer mitbringt: Die russische Kultur ist dem Südamerikaner aber immer noch fremd.

„Für immer könnte ich hier nicht leben“, sagt auch Alfredo und nimmt sich einen Cocktail. Der Italiener, der schon in Spanien gelebt hat, kann das Statusdenken, das viele Russen verinnerlicht haben, nicht nachvollziehen. Die russische Mentalität findet er gewöhnungsbedürftig. Aber Moskau, dass sei ja nicht für immer, winkt er ab und betont, dass er nur auf der Durchreise sei.

Genauso wie Alan, der gerade eine Weltreise macht und bald nach China aufbricht. Der Franzose fühlt sich mit 26 schon fast zu alt um zu reisen, dabei ist er als Couchsurfer in guter Gesellschaft: Die Mitglieder sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Viele sind Studenten oder haben erst wenige Jahre an Berufserfahrung vorzuweisen. Alan hat vorher in einem französischen Unternehmen gearbeitet, fühlt sich aber nicht dazu berufen, die nächsten 30 Jahre das gleiche zu machen. Wie viele der Couchsurfer, hat er keinen festen Plan für seine Reiseroute. Und auch keine Pläne für die Zeit nach seiner Rückkehr.

„Ich genieße es herumzureisen, ich weiß noch nicht, was danach kommt“, sagt er. Das muss er auch nicht. In Frankreich hat er alle Zelte abgebrochen und eine langjährige Beziehung beendet. Auch das scheint bei den Couchsurfern typisch zu sein: Viele von ihnen sind Single.

Ein Hostel zu buchen, kommt für Alan nicht in Frage. Warum auch? „Der Schlafplatz ist umsonst und außerdem lerne ich die interessantesten Menschen kennen“, sagt er. Diese Meinung teilen die meisten Couchsurfer. Und so machen sie sich jeden Abend auf die Suche nach der nächsten Couch. In einer Nacht, in der sie nicht wissen, was sie erwartet.

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