Progressive Growth

Lesedauer: 20 Minuten

Der Weg in eine prosperierende Welt im 21. Jahrhundert

3. November 2010

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In den Vereinigten Staaten sind wir der Überzeugung, dass der Aufbau einer besseren Zukunft das eigentliche Herz dessen ist, was wir den amerikanischen Traum nennen – aber ich denke, es ist nur fair zu sagen, dass dieses Ziel die Menschen in der ganzen Welt antreibt. Es ist eine ziemlich einfache Gleichung: Arbeite hart, leiste deinen Beitrag zur Gemeinschaft, verbessere deine Lage – und du wirst die Welt als einen besseren Platz für deine Kinder hinterlassen. Diese fortschrittlichen Werte ermöglichten es Familien wie meiner, nach Amerika zu kommen mit wenig mehr als dem, was sie auf dem Leib hatten, Arbeit zu finden, sich nach oben zu arbeiten und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Aber wir wollen nichts schönreden – viele Familien arbeiteten hart und sahen sich dennoch Vorurteilen und einer ablehnenden Haltung gegenüber, die die großen Ideale des Landes untergruben.

Als die Realität den großen amerikanischen Versprechungen nicht mehr entsprach, haben fortschrittliche Politiker hart dafür gekämpft, dass der amerikanische Traum nicht starb. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist es Reformern von Theodore und Franklin Delano Roosevelt über John F. Kennedy und Lyndon Johnson bis hin zu meinem früheren Chef Bill Clinton gelungen, dieser eben genannten Gleichung einen weiteren Faktor hinzuzufügen. Sie beharrten darauf, dass die Erträge des Wachstums von allen geteilt würden – und sollte dies nicht funktionieren, die Regierung dafür sorgen muss, dass hart arbeitende Familien nicht abgehängt werden.

Wenn wir die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung in den Vereinigten Staaten betrachten, ist es deshalb wichtig zu begreifen, dass die Konservativen, auf die die Malaise der Wirtschaft zurückzuführen ist, nie für die Idee eines geteilten Wohlstands gearbeitet haben. Als Präsident Obama im Jahr 2008 ins Amt kam, hatte die Wirtschaft fast ein Jahrzehnt lang unter bewusster Vernachlässigung gelitten. Die konservative Wirtschaftspolitik der Bush-Regierung hatte das niedrigste Wachstum an Arbeitsplätzen, Löhnen und Einkommen seit den 1960er Jahren zur Folge. Bei den Frauen stagnierten die Löhne, bei den Männern sanken sie sogar. Die Einkommensunterschiede erreichten ein Niveau wie seit 1928 nicht mehr. Die Schaffung von Arbeitsplätzen unter Präsident Bush machte nur ein Zehntel derjenigen unter Präsident Clinton aus – und all das, bevor der Markt zusammenbrach und zur schlimmsten Depression seit 80 Jahren führte.

In der Folge verließen sich amerikanische Familien mehr und mehr aufs Schuldenmachen und nahmen Kredite auf, um ihren Lebensstandard zu halten, befördert durch die überhöhten Werte ihrer Häuser. Heute wissen wir alle, dass die in die Höhe schießenden Preise für Häuser illusionär waren und dass Kreditaufnahme kein von allen geteiltes und nachhaltiges Wachstum schaffen kann, das die Vereinigten Staaten für ihr Wohlergehen brauchen. Unglücklicherweise ist der Schuldenüberhang, der in der Zeit der Bush-Regierung angehäuft wurde, so riesig, dass es Jahre dauern wird, alles abzuzahlen – allein, um die amerikanischen Haushalte wieder auf den Stand von vor zehn Jahren zu bringen.

Die traurige Realität unserer Haushaltslage bedeutet nicht, dass Erholung ausgeschlossen wäre. Ich glaube nach wie vor, dass die Regierung Obama das Wachstum zurückbringen wird, und ich werde begründen, warum ich das glaube. Allerdings scheint die Verschuldung der amerikanischen Privathaushalte das Wirtschaftswachstum stärker zu verlangsamen, als wir gehofft hatten. Die amerikanische Öffentlichkeit ist im Gefolge der großen Rezession tief verunsichert und hat sich damit abgefunden, während der Entschuldungsperiode, die fast immer auf eine große Finanzkrise folgt, schleppend weiterzumachen.

Natürlich ließe sich die Aufgabe der Entschuldung angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und des gesunkenen Vertrauens der Verbraucher am besten mit einer energischen Politik der Schaffung von Arbeitsplätzen angehen, die die Wirtschaft wachsen lässt und das Vertrauen unserer Bürger wiederherstellt. Doch vom Moment der Wahl Präsident Obamas an schlugen die Republikaner einen Kurs der Blockade um jeden Preis gegen die Regierungsagenda ein. Sie glauben, dies sei der beste Weg, bei den Zwischenwahlen im November den Kongress zurückzugewinnen. Die Republikaner versuchen die wirtschaftliche Misere, die sie mit verursacht haben, der neuen Regierung in die Schuhe zu schieben, die mit den Folgen dieser schlimmsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren kämpft. Konsequenterweise sind die Möglichkeiten, neue Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, durch eine Partisanentaktik zerrieben worden, die schlimmer ist als alles, was ich in meinen Washingtoner Jahren erlebt habe.

Dieser Blockadepolitik zum Trotz hat Präsident Obama harte Entscheidungen getroffen, die die Wirtschaft stabilisiert haben, und ein tragfähiges Fundament für künftiges Wachstum gelegt. Es begann damit, dass er den Recovery Act über 787 Milliarden Dollar durch den Kongress brachte, was drei Millionen Arbeitsplätze rettete, die andernfalls von der Rezession vernichtet worden wären. Im Frühjahr dieses Jahres gelang es ihm, die bahnbrechende Gesundheitsreform durchzubringen, die 32 Millionen bisher unversicherten Amerikanern eine bezahlbare und gute Krankenversicherung bringt – eine historische Errungenschaft. Die Regierung hat trotz großer Widerstände im Kongress erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Klimawandel zu bremsen und den Übergang zu erneuerbarer Energie zu beschleunigen. Und im Juli hat Präsident Obama ein Paket zur Finanzreform unterzeichnet, dass für die Zukunft die Wahrscheinlichkeit solcher Finanzkrisen wie 2008 stark reduziert.

Darüber hinaus kann kaum Zweifel daran bestehen, dass das schnelle Handeln der Regierung Obama verhinderte, dass die Rezession sich verschärfte. Eine gemeinsame Studie zwei führender amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler – von denen einer Berater bei der Präsidentschaftswahlkampagne von John McCain war – hat eindeutig belegt, dass das Stimuluspaket zusammen mit der Intervention im Finanzsektor und verwandten Schritten der Regierung und der Notenbank mit ziemlicher Sicherheit eine zweite große Depression verhindert haben, die annähernd neun Millionen Arbeitsplätze gekostet hätte. Dank des entschlossenen frühen Eingreifens ist die wirtschaftliche Abwärtsspirale gedreht worden, und im privaten Sektor entstehen langsam neue Arbeitsplätze. Während dies zögerlicher geschieht, als mir lieb ist, stellt sich das Gesamtbild der Wirtschaft jedoch wesentlich besser dar als zu der Zeit von Präsident Obamas Amtsübernahme, als jeden Monat beinahe 800.000 Menschen ihren Job verloren.

Wenngleich in kurzer Zeit viel erreicht worden ist, bleibt die Erholung bisher dennoch kraftlos. Wie ich bereits sagte: Die Haushalte werden von Schulden erdrückt, die landesweite Arbeitslosenrate schwankt um 9,6 Prozent, und in der Folge sieht sich der Präsident erheblichen politischen Schwierigkeiten gegenüber.

Ich glaube, dass sich die Position des Präsidenten in dem Maße verbessern wird, wie die Erholung Fuß fasst und das Tempo steigt, mit dem neue Arbeitsplätze entstehen. In der Zwischenzeit sieht er sich jedoch mit zahlreichen schwierigen politischen Herausforderungen konfrontiert. Wenn die Amerikaner zu den Zwischenwahlen gehen, werden sie an jene 15 Millionen Amerikaner denken, die noch immer keine Arbeit haben. Es ist deshalb sicher, dass die Demokratische Partei als Partei an der Macht Stimmenverluste wird hinnehmen müssen.

Das ist besonders beunruhigend, weil die Republikaner in Bezug auf die Notwendigkeit entschlossenen Handelns völlig anderer Ansicht sind als wir. Sie ignorieren und leugnen ihre eigene Rolle bei der Finanzkrise und schieben den Demokraten einfach die Schuld für die Misere in die Schuhe, die sie selbst mit verursacht haben. Inzwischen haben sie einige wenige Vorschläge gemacht, wie das Wachstum zu verbessern sei und wie die langfristigen Aufgaben des Landes zu bewältigen seien. Der einzige detaillierte Plan, den die Republikaner vorgelegt haben, wärmt einfach nur die verfehlte Bush-Politik wieder auf, die die Öffentlichkeit längst verworfen hat: enorme Steuererleichterungen für die reichsten Amerikaner, Aufhebung der Gesundheitsreform, Anstieg der Staatsverschuldung auf sage und schreibe 200 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Kurz und bündig: Die Vision der Republikaner scheint in der Rückkehr zu der Politik zu bestehen, die das Land schon einmal beinahe ruiniert hätte.

Fairerweise muss man sagen, dass das Fehlen an innovativer Politik zum Teil dem mangelnden Zusammenhalt unter den Konservativen geschuldet ist. Eine neue sehr konservative Welle überschwemmt die Republikanische Partei, und die republikanischen Kandidaten der Mitte passen ihre Politik dementsprechend an, um die wachsende Zahl der „Tea-Party“-Konservativen zu umwerben. Konservative haben extrem parteiische Angriffe gestartet und zum Teil skandalöse Positionen bezogen, um die Stimmen der extrem konservativen Tea-Party-Bewegung für sich zu gewinnen.

Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz zum Beispiel erlaubt es Polizeibeamten in Arizona, jeden festzunehmen, bei dem der Verdacht besteht, dass er sich illegal im Land aufhält, was eine offene Aufforderung zur Schikanierung und Diskriminierung von Hispano-Amerikanern ungeachtet ihres staatsbürgerlichen Status darstellt. Nun sind natürlich Repressalien gegen Immigranten nicht allein ein amerikanisches Phänomen. Sie breiten sich weltweit aus und sind symptomatisch für wirtschaftlich schwierige Zeiten – und werden von Politikern auf der ganzen Welt ausgenutzt, die die Ängste ihrer Wähler instrumentalisieren.

Sie erleben das ja auch hier in Deutschland, wo ein populistischer Rechtsruck stattfindet. In der vorvergangenen Woche hat Kanzlerin Angelika Merkel einem jungen Publikum gegenüber argumentiert, die Vision eines multikulturellen Deutschlands sei „absolut gescheitert“. Gerade in Deutschland sind Ängste vor der Immigration fehl am Platz. Einerseits leisten Migranten in diesem Land wichtige wirtschaftliche, kulturelle und politische Beiträge, und es ist beeindruckend zu sehen, wie sich aufgrund dieser Tatsache das Gesicht des modernen Deutschlands positiv verändert – auf der anderen Seite gibt es eine Abwanderung von 140.000 Menschen jährlich. Deutschland kann es sich aber wegen seiner alternden und abnehmenden Bevölkerung und der Knappheit an ausgebildeten Fachkräften nicht leisten, jedes Jahr Menschen zu verlieren, die eigentlich ins Arbeitsleben eintreten könnten. Als Progressive müssen wir darauf achten, dass die Politiker im eigenen Land nicht die zeitgenössischen Ressentiments nutzen und die weniger Begünstigten unter uns mit einer drakonischen Immigrationspolitik bestrafen. Moderne Gesellschaften müssen in noch weit größerem Maße die Inklusion fördern und keine Grenzlinien ziehen, die Spaltung verursacht.

In den USA sehen wir uns in den demokratischen Institutionen auch Problemen gegenüber, die es schwerer machen, die Probleme unseres Landes anzugehen – etwa eine umfassende Einwanderungsreform durchzusetzen. Konservative von rechts außen haben sich dafür entschieden, buchstäblich Sand ins Getriebe der amerikanischen Demokratie zu streuen. Unser Gesetzgebungssystem baut auf Beratung, Konsens und dem Schutz von Minderheitsmeinungen auf, und aus diesem Grund sind 60 von 100 Stimmen erforderlich, um die Gesetzgebung im Senat vorwärts zu bringen. Aber dieses System der „Supermehrheit“ erfordert ein gewisses Maß an Zivilisiertheit, um funktionieren zu können. Als ich vor vierzig Jahren meine Arbeit in Washington aufnahm, erlebten wir dort pro Jahr einen Filibuster – mit dem die Opposition die 60 Stimmen Mehrheit erzwingen kann – in den vergangenen beiden Jahren gab es jährlich 80 Filibuster. Entschlossene Parteilichkeit bringt es fertig, die Aktivität des Kongresses zum Stillstand zu bringen, und genau das geschieht derzeit im Senat, hauptsächlich wegen der republikanischen Obstruktionspolitik. In einer Sonderwahl in diesem Jahr haben die Demokraten ihren sechzigsten Senatssitz verloren, und sie werden bei den Wahlen am 2. November mit Sicherheit noch mehr Sitze verlieren. In der Folge werden die Demokraten weiterhin einen sehr harten Kampf führen müssen, um wenigstens die kleinsten und bescheidensten Punkte ihres progressiven Programms durchzubringen. Nach zwei Jahren republikanischer Filibuster und unglaublicher Kämpfe um die sechzigste Stimme fällt es schwer, sich vorzustellen, dass wir nach den Zwischenwahlen einen regelrechten Sturm an gesetzgeberischer Aktivität erleben werden.

Doch um es ganz deutlich zu sagen: Die Blockade im Kongress und republikanische Mehrheiten schließen Fortschritte nicht aus. Sicher, sie machen die politische Lage komplizierter und die Aufgabe der Regierung Obama schwerer. Aber Präsident Obama und sein Team können diese gesetzgeberische Blockade durchbrechen, einen Weg nach vorn weisen und auch aktiv am Aufbau einer saubereren, nachhaltigeren und fortschrittlicheren Wirtschaft arbeiten. Trotz der großen Widerstände, denen wir uns gegenüber sehen, müssen die Progressiven die Initiative ergreifen und unsere Wirtschaft weiterhin in einer Art und Weise umbauen, die unseren Idealen besser entspricht.

Mit diesen Aufgaben vor uns: wohin führt unser Weg?

Historisch betrachtet, entstand wirtschaftliches Wachstum aus Innovationen, die unseren Lebensstil ebenso verändert haben wie die Art und Weise, wie wir wirtschaften. Das Automobil hat einen Produktionsboom angestoßen, der die amerikanische Mittelklasse geschaffen hat, enorme öffentliche Investitionen in die Transportinfrastruktur und ebenso massive öffentliche und private Investitionen im Wohnungsbau. Der Computer hat Billionen Dollar für Innovationen freigesetzt, hat die Dienstleistungsbranche und das Internet geschaffen, hat das Gesundheitswesen, die Telekommunikation und die Finanzwirtschaft verändert.

Und während ich glaube, dass die innovativen Technologien in unserer Welt zweifellos weiter eine führende Rolle spielen werden, glaube ich auch, dass das künftige Wachstum vor allem durch die innovativen Ideen vorangetrieben wird. Ganz besonders glaube ich, dass Nachhaltigkeit in naher Zukunft das Herzstück des ökonomischen Wachstums sein wird.

Die Bedingungen und das kulturelle Umfeld für Nachhaltigkeit zu schaffen ist eine Aufgabe, die weit über die Felder des Klimas und der Energie hinausgeht. Es kommt darauf an, konventionelle Gedanken über wirtschaftliche Entwicklung, weltweite Wettbewerbsfähigkeit und die Art und Weise, wie wir langfristig unser Wohlergehen sichern, in Frage zu stellen. Das bedeutet eine umfassende Neustrukturierung der amerikanischen Wirtschaft, der amerikanischen Infrastruktur und der amerikanischen Regierungsweise, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Es werden enorme öffentliche und private Investitionen nötig sein. Sie werden unseren Verbrauch natürlicher Ressourcen und unsere Energieproduktion verändern, Effizienz und Produktivität steigern, Innovationen entfesseln, neue Arbeitsplätze schaffen und unsere Gemeinschaften und unsere Infrastruktur stärken.

Das Beispiel, das Deutschland und allen in dieser Hinsicht gegeben hat, ist eindrucksvoll. Sie haben die Chancen der erneuerbaren Energie sehr früh genutzt, haben Milliarden Euros in eine neue bessere Infrastruktur und in wirtschaftliche Anreize gesteckt, die auf breiter Basis zum Umdenken führten, und sie haben erneuerbare Energien den fossilen vorzogen. Ich weiß, dass diese Politik am Anfang auf starken Widerstand stieß. Durch seine Politik konnte Deutschland die notwendigen Grundlagen schaffen, um auf dem Feld sauberer Elektrizität beeindruckende Ziele zu erreichen –  im Jahr 2020 werden mindestens 30 Prozent des gesamten Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen, 2050 mindestens 80 Prozent. Die starke Exportnachfrage nach deutschen Gütern, darunter auch nach Technologien für erneuerbare Energie, hat den größten wirtschaftlichen Aufschwung seit der Wiedervereinigung angetrieben. Kurz gesagt: Sie haben der globalen ökonomischen Orkanwetterlage besser trotzen können als jedes andere europäische Land und dabei zugleich Ihre Wirtschaft sehr schnell auf einen saubereren und nachhaltigeren Weg führen können.

In den Vereinigten Staaten haben wir das nicht so beispielhaft erlebt, in mancher Hinsicht aber doch bemerkenswerte Erfahrungen gemacht. Wir wissen alle zu gut um das Versäumnis des Senats, in diesem Jahr eine umfassende Klima- und Energiegesetzgebung zu verabschieden. Die Regulierung der Kohlenstoffemissionen bleibt in der US-Politik ein politischer Zündstoff. Unsere fortgesetzte Abhängigkeit von der Kohle sowie unser nicht abgestimmtes Regulierungssystem schaffen krasse regionale Unterschiede, die den Versuch, ein nationales Energieabkommen zu erreichen, zu einer Herkulesaufgabe machen.

Doch die Ideen, die hinter der Klimaschutzgesetzgebung stehen, bleiben enorm populär. Die Amerikaner wollen neue Jobs. Sie wollen eine stärkere Wirtschaft und eine bessere Infrastruktur. Sie wollen effektivere Technik und mehr Produktion im eigenen Land. Sie wollen unsere Abhängigkeit von ausländischem Öl beenden, das wir zu erheblichen Teilen von uns feindlich gesonnenen oder instabilen Staaten beziehen. Sie wollen, dass das Land weltweit wettbewerbsfähiger ist. Nachhaltigkeit – nicht nur beim Klimaschutz und der Energieversorgung, sondern auch im Transportwesen, der Sicherheit, im effizienten Regieren, in der Art und Weise des Umgangs mit natürlichen Ressourcen – kann all diese Wünsche befriedigen. Und zwar, indem sie die Arbeit und das Wachstum schafft, die unsere Wirtschaft wieder stark machen wird und die Löhne wieder steigen lässt.

Die Beendigung unserer Abhängigkeit von ausländischem Öl und von emissionsintensiven Energien wäre ein guter Anfang. Und der Aufbau einer Infrastruktur, die erneuerbare Energie produziert, liefert und lagert, würde uns dorthin bringen.

Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, unsere Autos, Gebäude und Häuser energieeffizienter zu machen.

Nachhaltigkeit bedeutet auch, unsere Regierungen effizienter zu machen, indem wir Informationen austauschen, Innovationen fördern und Programme beenden, die nicht funktionieren.

Nachhaltigkeit bedeutet den Aufbau eines amerikanischen Sicherheitssystems, das besser für die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts gewappnet ist.

Nachhaltigkeit bedeutet, ein Bildungssystem zu schaffen, das Amerika auch in den kommenden Generationen wettbewerbsfähig hält.
Und Nachhaltigkeit bedeutet die Modernisierung der Leistungen des Gesundheitssystems und die Ausdehnung des Versicherungswesens, um die Amerikaner gesünder werden zu lassen und die Kosten für Heilbehandlungen drastisch zu senken.
Wenn die Vereinigten Staaten der Wirtschaftskrise entkommen wollen, ist eine umfassende Politik der Nachhaltigkeit der beste Schritt nach vorn.

In Anbetracht des Stillstands im Kongress, den ich vorhin beschrieben habe, muss die Exekutive kurzfristig bei der Ansteuerung dieser Nachhaltigkeitsziele die Führung übernehmen. Sowohl die bisherigen Worte wie die Taten der Regierung zeigen, dass es ihr ernst damit ist, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, besonders was die Energieversorgung betrifft. Außer den 90 Milliarden Dollar für Energiemaßnahmen im Recovery Act hat die Regierung Obama ihre Weisungsbefugnis genutzt, um für eine breite Skala von Gerätschaften strenge Vorschriften zu erlassen. Das wird in den nächsten drei Jahrzehnten die amerikanischen Kohleemissionen um das Äquivalent von zwei Jahren senken. Die Regierung hat auch strikte neue Normen bei der Treibstoffeffizienz und bei den Auspuffabgasen erlassen. Und als erste überhaupt hat sie Effizienzstandards für den Schwerlastverkehr auf den Weg gebracht.

Schaut man nach vorn, bietet die Regulierung der Treibhausgasemissionen durch den Clean Air Act eine der besten Gelegenheiten für die Regierung Obama, zu zeigen, dass es ihr mit der Umstrukturierung der Wirtschaft und damit ernst ist, das Land nach vorn zu bringen. Die US-Umweltschutzbehörde (U.S. Environmental Protection Agency, EPA) setzt Gesetze zu Umwelt und Gesundheit um, die den Kongress passiert haben. Und ihre Anstrengungen, die neuen Regelungen des Clean Air Act durchzusetzen, werden für die Senkung der Kohlenstoffemissionen in den Jahren 2011 und 2012 entscheidend sein. Der Grund dafür ist, dass die EPA im vergangenen Jahr CO2 und andere Treibhausgase als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt deklarierte. Dies geschah auf Grundlage eines Bundesgesetzes, das die Behörde zur Regulierung und Senkung von CO2-Emissionen durch große Umweltverschmutzer verpflichtet – ein Vorgang, der unter der Regierung Bush unmöglich gewesen wäre.

Gemäß den Regeln, die die EPA im Frühjahr erlassen hat, wird die Behörde ab dem kommenden Jahr mit der Regulierung dieser Schadstoffe aus Kraftwerken und großen Industrieanlagen beginnen. Wenn man diese Maßnahmen konsequent durchsetzt und verstärkt, wird eine Kettenreaktion erfolgen, weil große Verschmutzer entscheidende Änderungen in ihrer Investitionspolitik vornehmen werden, um den neuen Standards gegen Verschmutzung gerecht zu werden. Kraftwerke und große Industrieanlagen werden neue und gewichtige Gründe haben, effizientere Ausrüstungen zu installieren, in eine Infrastruktur sauberer Energie zu investieren und sich insgesamt stärker in Richtung nachhaltiger und modernerer Verfahren zu orientieren.
Doch ohne eine Emissionssteuer und bei immer engem Bundeshaushalt müssen wir kreativere und günstigere Wege für die Investition in eine nachhaltige Zukunft finden. Das heißt, dass die Regierung unverzüglich privates Kapital zur Investition in erneuerbare Energie, Infrastruktur und Energieeffizienzprojekte ermutigen sollte. Zu diesem Zweck hat das Center for American Progress spezifische Vorschläge für eine „Clean Energy Deployment Administration“ oder „Green Bank“ vorgelegt. Diese Bank würde Finanzierungsmaßnahmen anbieten, die Kreditmärkte öffnen, privates Kapital mobilisieren und Unternehmen motivieren, erneut zu investieren. Das ist ein Modell, das in Deutschland gut funktioniert hat. Ihre KfW-Bankengruppe gehört der Regierung, operiert aber als öffentlich-privates Unternehmen, wo öffentliche Gelder eingesetzt werden, um erheblich höheren privaten Investitionen zum Erfolg zu verhelfen. Präsident Obama lancierte eine ähnliche Idee in Bezug auf eine Nationale Infrastrukturbank, die auf Wettbewerbsbasis Milliarden Dollar an staatlichen und Bundesmitteln für vorrangige Infrastrukturprojekte zur Verfügung stellen soll.

Doch so, wie unsere Länder voneinander lernen müssen, müssen wir auch zusammenarbeiten. Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie erfordert auch eine umsichtige internationale Perspektive.

Während vor kurzem einige globale Konferenzen in mancher Hinsicht recht trostlos zu Ende gegangen sind, haben sie doch Früchte getragen. Zu einem weltweiten Konsens über das Klima haben es die Verhandlungspartner in Kopenhagen nicht gebracht, aber immerhin zu einem breiten globalen Konsens über künftige Investitionen. Und eine Woche nach dem Scheitern der Klimagesetzgebung im US-Senat haben unsere Verhandlungsführer im Klimaprozess deutlich gemacht, dass sich die Vereinigten Staaten den in der Übereinkunft von Kopenhagen genannten Zielen der Emissionsreduktion von 17 Prozent unter dem Stand von 2005 bis zum Jahr 2020 weiter verpflichtet fühlen. Auch ohne eine umfassende Gesetzgebung, die unserer Verpflichtung den Rücken stärken würde, können die landesweit gesetzlich beschlossenen Maßnahmen zur Nutzung sauberer Technologie sowie entschiedenes Handeln seitens der Bundesstaaten es uns ermöglichen, dieses Ziel zu erreichen oder gar zu übertreffen. Zwar weiß ich, dass dies viel weniger als die Mindestreduktion ist, die wir in Europa bis 2020 erleben werden, aber die jetzige Reduktion hat in Anbetracht der Jahre der Vernachlässigung genau so viel Gewicht.

Es gibt auch noch viel Raum für eine entsprechende Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland auf der internationalen Bühne. Zum einen kann der UN-Prozess noch immer brauchbare Ergebnisse bringen. Besonders die Umkehr der Entwaldung ist ein viel versprechendes Gebiet. Wir waren in Kopenhagen einer Übereinkunft über Schlüsselelemente für die Reduzierung von Emissionen aus der Entwaldung und der Schädigung von Wäldern (REDD) sehr nahe, und noch immer ist es möglich, dass es in Cancun zu einem endgültigen Abkommen über REDD kommt.

In den Medien ist das oft als Suche nach einer weniger wichtigen „Nebenübereinkunft“ bezeichnet worden, während man das Streben nach einem umfassenden und endgültigen Vertrag in diesem Jahr aufgegeben habe. Ich bin nicht dieser Meinung. Eine Übereinkunft zur Forstwirtschaft wäre alles andere als nebensächlich. Die Emissionen aus der Entwaldung laufen in der Summe auf die Höhe der Emissionen aus dem Güterverkehr hinaus. Ebenso, wie wir die Klimakrise nicht ohne Behandlung des Transportproblems lösen können, können wir sie ganz sicher auch nicht ohne Beachtung des Entwaldungsproblems lösen.

Der Handel ist ein anderes Feld, auf dem Zusammenarbeit entscheidend ist. Anfang dieses Monats kündigten die Vereinigten Staaten als Reaktion auf eine Handelsbeschwerde der United Steelworkers eine Untersuchung zu Chinas grüner Technologie an. Die Beschwerde konstatierte zahllose Verletzungen der internationalen Handelsregeln, die sich aus Chinas zahllosen Formen der Unterstützung ihrer Industrie für erneuerbare Energie ergeben. Daneben befinden sich die USA und die Europäische Union mit China bereits in offiziellen WTO-Verhandlungen über den Export von Rohstoffen für die Produktion erneuerbarer Energie.

Der Einsatz der Handelspolitik, um unfaire Praktiken seitens unserer Handelspartner zu untersuchen und dagegen vorzugehen, ist ein legitimes wichtiges politisches Instrument. Doch die gegenwärtige Kontroverse über Chinas Subventionen für seine Industrie im Bereich erneuerbare Energie macht zwei Dinge deutlich. Zum einen macht sie darauf aufmerksam, dass wir ein umfassendes multilaterales Handelsabkommen über Umweltgüter und -dienstleistungen zwischen den Vereinigten Staaten, Deutschland, der EU und China brauchen. Ganz ähnlich haben wir in einem Papier, das ich im letzten Jahr für die Heinrich-Böll-Stiftung verfasst habe, vorgeschlagen, einen gemeinsamen Workshop von EU und Vereinigten Staaten zu gründen, der uns helfen könnte, unsere Sichtweisen und Vorschläge hinsichtlich Grenzausgleichssteuern gegen Wettbewerbsnachteile unter einen Hut zu bringen. Der Beginn breiterer Verhandlungen mit China könnte viel schneller zu größerer Handelstransparenz und weniger Begünstigung der einheimischen Industrien führen als die gegenwärtigen WTO-Gespräche über Umweltgüter und -dienstleistungen.

Zweitens unterstreicht die Untersuchung das Versäumnis der Vereinigten Staaten: nämlich die mangelnde Unterstützung der erneuerbaren Energien und der betreffenden Industrie im eigenen Land. Handelseingaben und Gegenmaßnahmen sind stumpfe und schwerfällige politische Instrumente, die nichts dazu beitragen, das zugrunde liegende Problem anzugehen – die Vereinigten Staaten können mit China, Deutschland und anderen Führern auf dem Gebiet der erneuerbaren Energie nicht konkurrieren, solange sie nicht ausdrückliche Anstrengungen unternehmen, zu Hause und im Ausland eine nachhaltigere Wirtschaft aufzubauen. Selbst wenn die Handelsbeschwerde der Stahlarbeiter gerechtfertigt ist, wird sie allein keine Jobs in den Vereinigten Staaten schaffen. Nur eine Politik, die Investitionen in erneuerbare Energie und die entsprechende Infrastruktur fördert, die einheimische Produktion unterstützt und auf Effizienz und Nachhaltigkeit auf jeder Ebene der Wirtschaft zielt, wird uns global konkurrenzfähig machen.

Ich bin der Überzeugung, dass Präsident Obama in diesen Bemühungen erfolgreich sein kann und dass Progressive in den Vereinigten Staaten, in Europa und anderswo in ähnlicher Weise erfolgreich sein können. Die weltweite Wirtschaftskrise macht diese Aufgabe erheblich schwerer, hat aber auch die tiefen Risse in der herkömmlichen Wirtschaftsordnung ans Tageslicht gebracht. Indem sie unsere beiden Länder gezwungen hat, neue und bessere Wege des Wachstums zu finden, hat die Rezession eine unverhoffte Gelegenheit geschaffen, unsere Wirtschaft neu zu gestalten und zu beleben. Mit so vielen Aufgaben vor uns und so vielen gemeinsamen Herausforderungen ermahnt uns die Geschichte, mit Gleichgesinnten in der Politik und bei unseren weltweiten Partnern zusammenzuarbeiten, um in unserer sich ständig wandelnden Welt die Idee der Nachhaltigkeit voranzubringen.

Aus dem Amerikanischen von Jochen Schimmang.

John Podesta ist Vorsitzender des amerikanischen Thinktanks Center for American Progress. Unter Präsident Clinton war er Stabschef des Weißen Hauses.

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