Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Die „Matildas“ aus Australien

Nach Angaben des Australischen Statistikamtes ist Fußball die am häufigsten aktiv ausgeübte Sportart in Australien. Die Zahl fußballspielender Mädchen und Frauen steigt dabei seit den 90er Jahren kontinuierlich an. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Internationaler Geschlechterpolitik.

Die Australierinnen reisen als amtierende Asienmeisterinnen zur Weltmeisterschaft nach Deutschland. Der erste Erfolg auf internationaler Bühne gelang den Matildas (1) 2007, als sie das erste Mal in das Viertelfinale einer Weltmeisterschaft einziehen konnten, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt keine australische Frauenfußball-Liga gab. Die Spielerinnen hatten sich in der Vorbereitung lediglich mit Trainingsspielen in ihren Heimatstädten und Spielen gegen U15 Jungenmannschaften fit gemacht.

Nach Angaben des Australischen Statistikamtes ist Fußball die am häufigsten aktiv ausgeübte Sportart in Australien. Die Zahl fußballspielender Mädchen und Frauen steigt dabei seit den 90er Jahren kontinuierlich an. Trotzdem ist die mediale Aufmerksamkeit für den Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten wie Rugby oder Australian Rules Football gering. Auch in den Bereichen Sponsoring, Einnahmen und Zuschauerzahlen hinkt der Fußball den genannten Sportarten weit hinterher.  

Die Anfänge des australischen Fußballs im 19. Jahrhundert sind bislang kaum dokumentiert. Das erste Spiel soll 1880 in Parramatta, New South Wales zwischen der lokalen Ring’s School und den Wanderers stattgefunden haben, der erste nationale Fußballverband Commonwealth Football Association wurde 1912 gegründet. Seit den 40er Jahren wird Fußball populärer in Australien - viele sehen einen Grund für diese Entwicklung in der verstärkt einsetzenden Einwanderung aus Europa.

Migration und Fußball

1901 verabschiedete das australische Parlament den Immigration Restriction Act, mit dem die Einwanderung von Nichteuropäern eingeschränkt wurde. Die Phase der White Australia Policy dauerte offiziell bis 1973 an. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann Australien mit einer aktiven Einwanderungspolitik. Unter dem Slogan populate or perish - „bevölkern oder zugrunde gehen“ - wurde zunächst die Einwanderung von Bürgern des Commonwealth in Europa forciert; später wurden auch Menschen aus Süd- und Osteuropa gezielt angeworben. Insgesamt migrierten ca. 6 Millionen Menschen zwischen 1945 und 1990
nach Australien .

Mit dem Anstieg der Einwanderung stieg auch die Zahl von Fußballvereinen. In den 50er und 60er Jahren gründeten sich viele Fußballclubs, die in den Migrantencommunities der süd- und osteuropäischen Einwanderer verwurzelt waren, z. B. Marconi Stallions Football Club, Heidelberg United Alexander Football Club oder Sydney Croatia Football Club. Die Vereine boten dabei oftmals nicht nur die Möglichkeit Fußball zu spielen an, sondern hatten für die Neuankömmlinge auch eine wichtige soziale Funktion, da diese wegen mangelnder Sprachkenntnisse oft nur eingeschränkt am öffentlichen Leben teilhaben konnten.

In den 50er Jahren wurden in Australien Wettbewerbe auf Staatsebene, in den so genannten state premier leagues, ausgetragen. Hier gab es von Seiten der Verbände erste Versuche, die Vereine, die in Migrantencommunities verwurzelt waren, aus dem Spielbetrieb zu verdrängen. Zum Teil kam es auch zu Ausschlüssen. In  Sydney bzw. Melbourne wurden 1957 und 1958 eigenständige unabhängige Fußball-Ligen, z.B. die New South Wales Soccer Federation, von den betroffenen Mannschaften gegründet.

Als 1977 schließlich die erste nationale Sport-Liga Australiens, die National Soccer League, gegründet wurde, versuchte auch anfangs der australische Fußballverband Australian Soccer Federation (ASF), Vereine aus dem Ligabetrieb auszuschließen, die nicht auf „ausländische“ Namensbezeichnungen verzichten wollten. Der Verband konnte sich letztlich nicht durchsetzen und die Verbote wurden in der Praxis weitestgehend ignoriert. Der ASF verzichtete auf eine konsequente Durchsetzung des Verbotes  - wohl auch deshalb, weil  zwölf der insgesamt vierzehn teilnehmenden Vereine von einem Verbot betroffen gewesen wären.

Die „De-Ethnisierung“ des Fußballs

Ab Anfang der 90er Jahre wollte die ASF die National Soccer League profitabler gestalten. Die Dominanz der in den Migrantencommunities verwurzelten Vereine wurde dabei als Hindernis gesehen, da davon ausgegangen wurde, dass sich „Anglo-Australier“ nicht mit diesen identifizieren könnten. Vereine, die eine „ausländische Bezeichnung“ im Vereinsnamen trugen, wurden aus dem Ligabetrieb ausgeschlossen. Viele Vereine änderten daraufhin ihren Namen, so wurde Melbourne Croatia zu Melbourne Knights und Sydney Croatia zu Sydney United. 1996 ging die ASF dann dazu über, auch Vereine aus dem Ligabetrieb auszuschließen, deren Insignien auf Trikots und Wappen in Verbindung mit anderen Ländern standen. Unter den ausgeschlossenen Vereinen befanden sich Sydney United, Melbourne Knights und Marconi Fairfield. Letztgenannte weigerten sich, die Farben der italienischen Flagge aus ihrem Bumerang-Logo zu entfernen. 2004 wurde die National Soccer League schließlich aufgelöst und die Gründung der neuen nationalen A-League angekündigt. Der Verband begründete diesen Schritt mit dem schlechten Management und der Misswirtschaft innerhalb der Clubs.  

Viele Beobachter sehen diese Entwicklungen im australischen Fußball in Zusammenhang mit den gesellschaftspolitischen Diskussionen und Entwicklungen seit den 90er Jahren. Mit dem Slogan der vom späteren Premier John Howard angeführten Opposition One Australia und dem Erstarken der rechtsextremen One Nation Party wurde Multikulturalität zunehmend als Hindernis für eine einheitliche australische Identität wahrgenommen.

Frauenfußball in Australien

Um den Fußball profitabler zu gestalten, wurden die Vereine der National Soccer League Mitte der 90er Jahre vom Verband gedrängt, Frauenfußball in ihren Vereinen zu etablieren. 1996 wurde die Women’s National Soccer League gegründet, die bis 2004 Bestand hatte. Der Ligabetrieb fand allerdings kaum Beachtung in der medialen Öffentlichkeit. Dies änderte sich schlagartig als 1999 ein Nacktkalender der Frauennationalmannschaft erschien, mit dessen finanziellen Gewinn die Kampagne zur Teilnahme an den Olympischen Spielen im Jahr 2000 unterstützt werden sollte. Das Konzept ging auf: die Veröffentlichung des Kalenders stieß auf ein großes mediales Interesse und die ursprünglich geplante Auflage von 5.000 Stück musste innerhalb kürzester Zeit auf 45.000 erhöht werden. Die Fußballerinnen gingen mit dieser Form der sexualisierten Vermarktung einen anderen Weg als andere populäre Frauen-Nationalmannschaften Australiens. So mussten beispielsweise die Hockeyroos und die Netballers hierfür herbe Kritik einstecken. Für Shirley Brown, Präsidentin des Frauenfußballverbandes Australian Women's Soccer Association, war die Veröffentlichung des Kalenders der einzige Weg, um die Bekanntheit der Mannschaft in der Öffentlichkeit zu erhöhen, da Frauensport generell als zweitklassig wahrgenommen wurde.

Nach dem Erfolg der Frauennationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2007 bot das australische Sportministerium dem Fußballverband finanzielle Unterstützung bei der Gründung und Etablierung einer nationalen Frauenfußball-Liga an. Die Women's W-League startete mit dem Spielbetrieb im Jahr 2008. Die sieben Mannschaften der Liga sind an die Klubs der höchsten Männerfußball-Liga A-League angegliedert, ein Spiel pro Woche wird live australienweit übertragen. Laut Frauenfußballnationaltrainer Tom Sermanni sind "Konkurrenz und Ernsthaftigkeit (…) stärker geworden und das hat zu einer Steigerung des Niveaus geführt. Die Vorbereitung, die Anwerbung von Spielerinnen, die Organisationsstrukturen - all das wurde von den Mannschafen verbessert und hat letztlich zu mehr Qualität und einem höheren Niveau geführt…" .

Fußball ist auch abseits des Liga-Betriebes populär bei Mädchen und Frauen. Laut australischem Statistikamt spielten 2009 82.700 Mädchen zwischen fünf und vierzehn Jahren und 108.100 in der Altersklasse von fünfzehn bis achtzehn Jahren aktiv Fußball.  Ein Phänomen scheint die hohe Anzahl kopftuchtragender Spielerinnen zu sein.  Als 2010 die iranische Fußballnationalmannschaft von den Olympischen Jugendspielen ausgeschlossen wurde, da die Kopftuchbedeckung der Spielerinnen einen Verstoß gegen die Bekleidungsvorschriften der Federation of Association Football (FIFA) darstellte, war die öffentliche Empörung in Australien groß . Gemäß der FIFA Statuten darf die Ausrüstung der Spielerinnen und Spieler diese nicht gefährden und keine politischen, religiösen oder persönlichen Statements ausdrücken. Der Australische Fußballverband rief umgehend eine Arbeitsgruppe ins Leben, die zu dem Schluss kam, dass fußballspielende Frauen in Australien weiterhin das Kopftuch tragen dürfen.

Ausblick

Mit der Gründung der W-League wurde der Rahmen für die weitere professionelle Entwicklung des Frauenfußballs geschaffen. Die Liga wird auch für Spielerinnen aus dem Ausland immer attraktiver. Zurzeit spielen beispielsweise die dänische Nationatorhüterin Tine Cederkvist (Perth Glory Football Club) und die Taiwanesin Tseng Shu-o (Canberra United Football Club) in der W-League.  Die weitere professionelle Entwicklung der Frauen-Liga hängt vor allem davon ab, inwiefern der australische Fußball mit den finanz- und medienstarken Sportarten Rugby und Australian Rules Football gleichziehen kann. Sportliche Erfolge sind hierfür die wesentliche Voraussetzung. Trotz der positiven sportlichen Entwicklungen in den vergangenen Jahren haben die Matildas bei der Weltmeisterschaft 2011 nur Außenseiterchancen. Brasilien und Norwegen sind die Favoritinnen auf einen Gruppensieg in der Gruppe D und den Australierinnen werden nur geringe Chancen auf ein Erreichen der K.o.-Runde eingeräumt.


(1) Spitzname der australischen Frauenfußballnationalmannschaft. Abgeleitet vom Lied „Waltzing Matilda“, der inoffiziellen Nationalhymne Australiens.

Nora Farik hat Politikwissenschaften in Frankfurt/Main und Birzeit, West Bank, studiert. Schwerpunkt ihrer bisherigen Tätigkeiten war u.a. die Analyse zivilgesellschaftlicher Bewegungen. Sie hat für das Brüsseler Büro der Heinrich-Böll-Stiftung die Broschüre „1968 revisited - 40 years of protest movements“ herausgegeben.


Quellen: