Häfen müssen offen sein. Diese Worte des Zollbeamten fielen mir ein, als ich auf dem Frachter hockte, menschliche Ware, dem globalen Verbrechen auf der Spur. Ein unauffälliges Schiff, durchschnittlich groß, Tausende von Containern, eines von Zehntausenden derzeit auf See.
Ich sitze auf der Reling, sehe zu, wie ein Kran einen Container vom Schiff auf einen LKW lädt. Ein LKW, ein Container. Seit 27 Jahren bin ich Kranführer, hier in Los Angeles. Dass ein Container aufgemacht wird? Hab ich in all der Zeit noch nie erlebt. Ein Blick über die Docks und die Einzelheit geht ins Endlose, LKW auf LKW auf LKW erwartet seine Fracht, bringt sie in Krankenhäuser, Supermärkte, Fabriken. Auch mein Frachter ist Teil der riesigen Flotte, die die Welt umkreist. Hält man die Schiffe an, um sie zu überprüfen, sagen mir Hafenbehörden von Long Beach bis Singapur, dann steht ein ganzes Land still. Ein Kreisverkehr ohne Ende. Stoppt man ihn an einer Stelle, steht alles still.
Haben ’ne Ladung gefakte Barbies gefunden. Niemand weiß, wie viele Waffen, Menschen, Drogen hier verschoben werden – zusammen mit mir und den Barbies. Die meisten illegalen Waren, das habe ich in den drei Jahren und nach zahlreichen Gesprächen mit Händlern, Schmugglern und Fahndern gelernt, sind weitaus banaler, sind so langweilig, dass sie unter dem Radar bleiben. Geschmuggelte oder gefälschte Kleidung, Baumaterial, Software, Lebensmittel, Holz, Medikamente, Möbel und soweiter bringen fette Profite. Das Gesamtvolumen dieses Handels – Hunderte Milliarden Dollar.
Schmuggelt man diese außergesetzlichen Güter in die in ständiger Bewegung befindlichen, weltweiten Warenströme ein, entziehen sie sich fast jedem gesetzlichen Zugriff. Oder wie mir ein Polizist in Rotterdam sagte: Wollen Sie das Verbrechen verstehen, dann fangen Sie beim Güterverkehr an.
Dem könnte ich hinzufügen: Will man Wirtschaft und Finanzwesen verstehen, muss man beim Verbrechen anfangen. Jahre ethnografischer Forschung auf verschiedenen Kontinenten über das Verbrechen haben mich erkennen lassen, dass praktisch kein Gesetzeshüter, kein Geschäftsmann daran glaubt, es gebe legale Geschäfte ohne illegale Komponente. Schaut man sich den normalen Geschäftsbetrieb an, stellt man rasch fest, dass beispielsweise Zigarettenfirmen zwar den Schmuggel beklagen, andererseits aber wissen, dass dadurch ihr Marktanteil steigt.
Billionen kriminell erworbener Dollar werden mit Hilfe von Banken gewaschen
Doch, in unseren Häfen fangen wir Schmuggler, sagte mir ein US-Zollbeamter. Meist geht es dabei um Markenartikel. Das Problem ist die Strafverfolgung. Wir versuchen, jemanden vor Gericht zu bringen, und dann klingelt das Telefon und jemand aus Washington weist uns an, die Sache fallenzulassen.
Dieser « normale Geschäftbetrieb » lässt sich auch in viel größerem Rahmen beobachten. Informelle Arbeit (außerhalb der Landwirtschaft) macht in entwickelten und in Schwellenländern zwischen der Hälfte und drei Viertel des Arbeitsmarktes aus. Oft handelt es sich dabei um Arbeit, die von Multis an Subunternehmer vergeben wird. Die Höhe der Steuern, die allein US-Firmen hinterziehen, übertrifft Jahr für Jahr die Einnahmen aus dem weltweiten illegalen Waffen- und Drogenhandel. Billionen außergesetzlich erworbener Dollars werden mit Hilfe von Banken, Börsen und Immobilien gewaschen, was Firmen wie Regierungen wirtschaftlich einiges einbringt – wie sehr sie sich auch von solchen Aktivitäten distanzieren. In der Buchhaltung sind Profite einfach nur Profite.
Häfen müssen offen sein. Ich saß am Hafen, Container flirrten vorbei, Legales und Illegales aus aller Welt. Der Kran hier war führerlos, eine Maschine. Von meinem Computer verschwanden ein paar Ordner. Sie rutschten den Bildschirm hinab, nach unten, dann waren sie weg. Schon wieder gehackt, Opfer von Cyberstalkern. Waffen, gefälschte Barbies und Raubkopien werden gemeinsam durch den Hafen geschleust. Eingeschleuste Software schickt meine Kontonummern, Adressbücher, Passwörter und die auf meinem MacBookPro gespeicherte Arbeit auf Reisen. Die Cyberstalker wussten, wo ich war. Ich sah, wie mein Blackberry wie von selbst ein GPS-Programm aktivierte. Hafenbehörden von Los Angeles bis Rotterdam versicherten mir, sie seien gegen das Verbrechen gewappnet. Apple und Blackberry sagen das auch. Als ich, in den USA, die Polizei davon informierte, wurde mir gesagt, solche Hacks seien gar nicht möglich. Das Mitte 2010, zu einer Zeit, als:
- Chris Paget einen IMSI-Catcher programmierte, mit dem sich alle mobilen GSM-basierten Handygespräche und Daten abgreifen lassen
- Adam Laurie via Bluetooth auf Handydaten des britischen Parlaments zugreifen konnte
- Software, mit der sich Computer hacken und ausspionieren lassen, online einfach zu finden war
- die Sicherheitsfirma Lookout mitteilte, ein Viertel alle iPhone Apps und die Hälfte aller Android Apps enthielten einen Code, durch den unbemerkt Daten von Handys abgegriffen werden können.
Auf meine Frage, wie ich mich vor IMSI-Catchern, einer einfach erhältlichen Spyware, schützen kann, teilten mir die führenden Handyanbieter mit, sie hätten von dergleichen noch nie gehört, ihre Produkte ließen sich nicht hacken.
Wie es aussieht, haben wir noch nicht begriffen, welche Rolle der Schmuggel, welche Rolle Warenströme und Datenflüsse im 21. Jahrhundert spielen. Ohne Einschränkung und unbesehen strömen Waren aus unseren Häfen, und ähnlich verhält es sich mit Informationsgütern, mit sensiblen Daten und sicherheitsrelevanten Unterlagen. Vielschichtige politische und wirtschaftliche Mächte umziehen die Welt, breiten sich durch Container aus und ebenso auch digital.
Letztlich hängen all diese interkontinentalen Netzwerke zusammen, durchdringen Firmen und auch unser Zuhause. Die Schiffe und Flugzeuge, die ständig die Erde umkreisen, hängen mit den Lastwagen und Zügen zusammen, die Gutes wie Schlechtes in unsere Mitte tragen, und all dies hängt wiederum zusammen mit den gigantischen elektronischen Netzwerken, die die Finanzmärkte ebenso bestimmen wie unser Wissen und unseren Informationsaustausch.
Die Ordnung des 21. Jahrhunderts ist deshalb so anfällig, da sie neu ist, fließend und im Übermaß auf Wechselbeziehungen beruht. Die Kriminellen haben diese Systeme und ihre Schwächen viel schneller verstanden als die Justiz. In einer Hafenbehörde sagte man mir: Um dagegen vorzugehen, müssten wir uns klarmachen, was die Ursachen des Verbrechens sind, wer darin verwickelt ist. Die Antwort: wir.
Warum eine Bank überfallen, wenn man sie hacken kann? Warum ein Land angreifen, wenn man es durch eine Computerattacke lahmlegen kann? Warum nicht mehr Profit machen, indem man schmuggelt? Und wie einfach ist es, einen wichtigen Hafen durch eine Bombe in einem Container oder einen Hackerangriff auszuschalten und so die Warenflüsse eines Landes zu unterbrechen?
In Häfen werden mehr Gesetze gebrochen als eingehalten – und niemand unternimmt etwas. In aller Welt bin ich durch «gesicherte» Häfen eingereist, und niemand hat mich daran gehindert. Heimlich wie ein Virus, schleicht sich jemand in meinen «gesicherten» Laptop, in mein Handy ein.
Würde uns das alles bewusst, wir müssten ganz neu denken, was «gesetzwidrig handeln» heißt, wie entscheidend es für die Weltwirtschaft ist. Können wir verhindern, dass die Trennung zwischen legal und illegal vollends aufgeweicht wird?
Wenn wir nichts unternehmen, setzen wir uns weiteren Finanzkrisen wie der von 2008 aus. Derartige Krisen lassen sich nur abwenden, wenn wir die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit – und eben nicht nur ihren legalen Teil – betrachten. Wie die Menschen im Mittelalter, die von Krankheiten hingerafft wurden, deren Ursachen sie nicht kannten, begreifen wir die sozioökonomischen Strukturen und Pathologien, die sich in unserer Welt herausbilden, nicht. Wenn die Wirtschaft faul und die Justiz unzeitgemäß ist, kann das ebenso tödlich sein wie Cholera oder Pest.
Carolyn Nordstrom ist Professorin für Anthropologie an der Universität von Notre Dame in Indiana, USA. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind politisch bedingte Gewalt, außergesetzliche Wirtschaftssysteme, Globalisierung und Genderfragen. Sie hat in vielen Teilen der Welt geforscht, speziell in Südafrika und Südasien. Sie ist Autorin verschiedener Bücher. Auf Deutsch liegt vor: Leben mit dem Krieg: Menschen, Gewalt und Geschäfte jenseits der Front, Campus Verlag, 2005.