Für einen nachhaltigen Weg aus der Wirtschafts- und Schuldenkrise

Zur Zukunft der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik

19. Oktober 2011
Die Europäische Union erlebt seit 2008 ihre größte Wirtschafts- und Finanzkrise. Verschuldung und die Krise im Finanzsektor stellen die Europäische Union und die Eurozone vor enorme Herausforderungen. In den unter Druck geratenen Staaten wächst die Unzufriedenheit über Sparmaßnahmen und Reformen. In den Geberländern unterstützen immer weniger Menschen die Hilfspakete. Mittlerweile ist zudem offensichtlich geworden, dass sich Europa langsamer als manche andere Weltregion von der Wirtschaftskrise erholt, und durch den globalen Strukturwandel die ohnehin notwendige wirtschafts- und sozialpolitische Anpassung noch schwieriger wird. Europa verliert wirtschaftlich an Gewicht – und dadurch an Kraft, die Welt mitzugestalten.

Die Krise ist gleichwohl Bedrohung und Chance. Sie hat klar gezeigt, wie sehr die Staaten in der Europäischen Union voneinander abhängen. Seit 2008 ist eine politische Dynamik entstanden, die noch kurz zuvor undenkbar war. Um die andauernde Krise zu bewältigen und ähnliche Krisen in Zukunft zu verhindern, müssen die Mitgliedstaaten die Regeln für das gemeinsame Handeln überarbeiten und das Verhältnis von Markt und Staat neu bestimmen. Die Notwendigkeit, europäische Solidarität neu zu denken und neu zu gestalten, ist gewachsen.

Um aus der Krise herauszukommen, braucht die EU gerade in Zeiten schwacher Solidaritätsgefühle mehr konkrete Solidarität. Die Währungsunion ist, wie sich jetzt deutlich zeigt, ohne fiskal- und wirtschaftspolitische Abstimmung nicht machbar. Ohne verbindliche, gelebte Solidarität wird der Euro nicht überleben, ist Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit der EU in Gefahr. Um die EU zu stärken, sind folgende Maßnahmen notwendig:

  • Die EU muss ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik so abstimmen und überwachen, dass Mitgliedsländer sich nicht mehr bewusst unsolidarisch verhalten können. Dafür braucht sie dauerhafte Mechanismen, durch die eine Überschuldung vermieden werden kann. Um die Märkte zu beruhigen und Spekulationen abzuwehren, muss über den jetzt vereinbarten Europäischen Stabilisierungsmechanismus hinausgegangen werden. Die EU braucht gemeinsame europäische Anleihen für eine Staatsverschuldung von bis zu 60 Prozent des BIP.
  • Der europäische Finanzbinnenmarkt muss strikter beaufsichtigt werden. Dazu ist ein europäisches Bankenstatut für grenzüberschreitend tätige Banken notwendig, das von einer EU-Behörde direkt durchgesetzt wird. Die europäischen Aufsichtsbehörden sollten darüber hinaus Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz bekommen.
  • Ungleichgewichte im Euroraum müssen rasch und dauerhaft ausgeglichen werden. Es kommt jetzt darauf an, den Krisenländern Wachstumschancen zu eröffnen. Dafür bietet der Green New Deal die richtigen Ansätze. Ökologische Innovation und sozialer Teilhabe sind die Grundlage für ein künftiges, nachhaltiges Wachstum Europas.
  • Sozialer und ökologischer Fortschritt müssen im Zentrum der europäischen Integration stehen. Dazu müssen die Sozialsysteme nicht vereinheitlicht werden, sondern es sollen Mindeststandards etwa bei Löhnen oder der sozialen Sicherung eingeführt werden. Angesichts der demographischen Entwicklung muss die soziale Sicherung generationen- und geschlechtergerecht  sein.
  • Die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der EU muss überprüft werden. Kompetenzen sollen dann auf die europäische Ebene verlagert werden, wenn dies der Gemeinschaft nützt und ihre Handlungsmöglichkeiten vergrößert. Wo dies nicht der Fall ist, sollten zugunsten der Vielfalt Europas die Kompetenzen auf der lokalen oder nationalen Ebene angesiedelt bleiben.
  • Die EU muss ihre Außenvertretung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik besser abstimmen, damit sie nach außen hin geschlossen auftreten kann. Geschieht dies nicht, wird die Union weiter an internationalem Einfluss verlieren.

Für nachhaltige Wege aus der Wirtschafts- und Finanzkrise

Zur Zukunft der europäischen Wirtschafts-, Finanz und Sozialpolitik

Von Daniela Schwarzer
sowie Annalena Baerbock, Reinhard Bütikofer, Thea Dückert,
Rainer Emschermann, Sven Giegold, Wolfram Lamping, Arnaud Lechevalier,
Gerhard Schick, Kai Schlegelmilch, Mechthild Veil, Helmut Wiesenthal1
Redaktion: Christine Pütz, Heinrich-Böll-Stiftung

Das vorliegende Papier ist das Ergebnis der einjährigen Arbeit der Fachkommission. Es ist im Laufe mehrerer Sitzungsrunden durch mündliche und schriftliche Kommentare sowie durch eigene Textbeiträge der genannten Expertinnen und Experten gemeinschaftlich entstanden. Das Papier repräsentiert nicht zwangsläufig in jedem Punkt die Meinung jedes Mitglieds der Fachkommission.

 

Dossier

Zur Zukunft der EU

Die Schuldenkrise droht in eine Legitimitätskrise der EU zu münden. Die Antwort darauf muss heute vor allem in einer Stärkung der europäischen Demokratie liegen. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, die in der Studie "Solidarität und Stärke" erarbeitet wurden, werden im Dossier genauso wie diejenigen der Expert/innenkommission, vorgestellt.

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