Asterix-Stimmung in Belgrad

Lalon Sander

Der Chefredakteur von E-Novine schimpft gerne auf journalistische Tugenden. Doch die Nachrichtenseite kann auch Recherche und ist im Balkan sehr beliebt.

„Objektivität geht mir am Arsch vorbei!“, wettert Petar Lukovic. Lukovic steht in der Nachrichtenzentrale des serbischen Onlinemagazins E-Novine. Auf einem langen Tisch stehen sechs Computer, Rauchen ist verboten, doch das interessiert Lukovic wenig. Der grauhaarige Mann in Fleecejacke und Jogginghose ist Chefredakteur des Magazins und ohne Zigarette hat ihn bisher kaum jemand gesehen. „Ich bin hier ein Scheißdiktator und meine Unterlinge müssen meine Meinung aufschreiben, sonst fliegen sie.“

Die linke Nachrichten- und Kommentarseite E-Novine ist im gesamten Balkan beliebt, wird von 300.000 der 24 Millionen Bewohner der Nachfolgestaaten Jugoslawiens gelesen. Eine Zahl, die sich sehen lassen kann. Die Redaktionsräume liegen etwas versteckt in einem Wohnviertel Belgrads. Von der Straßenbahnhaltestelle läuft man ins Viertel rein, biegt zweimal ab und klingelt an einer unscheinbaren Wohnungstür. Nirgends steht, dass sich hier eine Redaktion befindet.

Petar Lukovic provoziert gerne. Wenn er spricht schimpft er: auf  journalistische Tugenden, politische Gegner, andere Medien, eigentlich auf alle. „Wir reden nicht mit Faschisten. Und da die meisten Politiker hier Faschisten sind, reden wir mit den meisten Politikern nicht“, sagt Lukovic. E-Novine versteht sich als Gegenöffentlichkeit zu Tageszeitungen, die nur Parteienpropaganda verbreiten und nichts hinterfragen würden und eine nationalistische Agenda hätten. In der zehnköpfigen Redaktion herrscht ein wenig Asterix-Stimmung. Die Journalist/inn/en sehen sich als letzte Insel der freien Meinungsäußerung, das letzte serbische Medium, in dem Kriegsverbrechen offen besprochen werden können.

„Wir brauchen uns nur den Völkermord in Srebrenica anzuschauen“, sagt Reporterin Zarka Radoja:  „Die meisten glauben nicht mal, dass da etwas passiert ist – und schon gar nicht, dass Serben etwas damit zu tun haben könnte.“ Alle nähmen eine Opferhaltung ein und die Medien bestärtken diese Zweifel. Die zierliche Radoja ist selbst bosnische Serbin, flüchtete mitten im Krieg zu Verwandten in Belgrad und ist dort geblieben. Sie ist das ausgeruhte Gegengewicht zu Lukovic. Während er in bissigen Satiren unter anderen einer Ministerin vorwirft, ihn nur deshalb so oft anzuzeigen, weil sie heimlich scharf auf ihn sei, recherchiert sie: „Wir schauen morgens die Nachrichtenportale aus der Region durch, telefonieren mit Journalisten und Experten und schreiben unsere eigene Einschätzung auf.“

Radoja ist gut vernetzt. Befreundete Journalist/inn/en nutzen E-Novine gerne als Ort für Zweitveröffentlichungen. Andere stecken ihr Informationen zu: Als Radovan Mladic, der General, der den Völkermord in Srebrenica befehligt haben soll, vor wenigen Monaten festgenommen wurde, war sie eine der ersten Journalist/inn/en Serbiens, die das wussten. Doch E-Novine entging der Scoop: „Ohne Bestätigung durch eine zweite Quelle konnten wir die Nachricht nicht veröffentlichen.“ Da fehlten dann doch die Verbindungen zur Staatsanwaltschaft.

Und auch sonst hat es E-Novine als meinungsstarke Außenseiterin mit wenigen Freunden nicht leicht: Weder Lukovic noch Radoja wissen, wann sie das letzte Mal ihren Lohn an einem einzigen Zahltag erhalten haben. Zudem zehren die vielen Prozesse, die gegen die Seite angestrebt werden, an den Finanzen und an den Kräften. Serbische Nationalisten feinden die antinationalistische Redaktion an – mal öffentlich, mal direkt.

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