Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Natur, Kultur und Aktivismus: Eine kulturökologische Analyse umwelt-engagierter Literatur aus Norwegen und Island

Reinhard Hennig, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität - Bonn

Nicht erst seit Rachel Carsons Buch Silent Spring (1962) über die Auswirkungen des Pestizids DDT wurden und werden Auseinandersetzungen über Umweltprobleme immer wieder mittels engagierter Literatur initiiert und beeinflusst. Ein aktuelles Beispiel aus Island ist AndriSnær Magnasons Werk "Draumalandið.Sjalfshjálparbók handa hræddri þjóð" („Traumland. Ein Selbsthilfebuch für eine verängstigte Nation“, 2006), in dem das bisher größte Staudammprojekt Europas im ostisländischen Hochland sowie weitere Pläne zur umfassenden Nutzung des isländischen Wasserkraftpotentials, verbunden mit der Ansiedlung von energie-intensiver Aluminiumindustrie, kritisiert werden. Das inzwischen auch verfilmte Buch Magnasons hat in Island seit seiner Publikation die öffentliche Diskussion von Umweltthemen stark beeinflusst. Ähnliche Beispiele eines literarischen Umwelt-Aktivismus finden sich auch in dem mit Island geschichtlich, kulturell und naturräumlich in vielerlei Hinsicht verbundenen Norwegen, beispielsweise bei den Schriftstellern Finn Alnæs und Magnar Mikkelsen.

Es scheint, dass Literatur sich in besonders produktiver Weise mit der Beziehung von Kultur und Natur auseinandersetzt. Daher stellt sich die Frage, worin die besondere Funktion von Literatur bei der Formulierung und Veränderung von Umweltdiskursenbesteht. Wie wird Natur in umwelt-engagierten literarischen Texten repräsentiert und welches Verständnis des Verhältnisses von Natur und Kultur vermitteln diese Texte? Wie finden Umweltdiskurse Eingang in Literatur und werden durch literarische Mittel transformiert?

Eine Verbindung von Literaturwissenschaft und Umweltthemen wird zwar unter der Bezeichnung ecocriticism seit den 1990er Jahreninsbesondere in den USA verstärkt angestrebt. In der deutschsprachigen Skandinavistik besteht allerdings ebenso wie in Nordeuropa ein deutliches Forschungsdefizit in diesem Bereich. Zu isländischer und norwegischer umwelt-engagierter Literatur, auf der der Fokus meiner Arbeit liegen soll, existieren meines Wissens bislang noch keinerlei Untersuchungen.

Für meine Analyse gehe ich davon aus, dass zwar einerseits Naturräume und Umweltfaktoren die Entwicklung kultureller Werte- und Handlungsmuster prägen, dass aber andererseits auch kulturell-mentale Prägungen die menschliche Wahrnehmung der Umwelt und damit den Umgang mit Natur bestimmen.Die Definition und Diskussion von ‚Umweltproblemen‘ ist stark in den jeweiligen kulturellen Kontext eingebunden und kann somit nur unter Einbeziehung einer kulturwissenschaftlichen Perspektive untersucht werden.

Ich greife daher einen von Hubert Zapf als Kulturökologie bezeichneten funktionsgeschichtlichen Ansatz auf, demzufolge Literatur drei Funktionen erfüllt: Sie bildet erstens einen kulturkritischen Metadiskurs, der kulturelle Fehlentwicklungen und Erstarrungssymptome aufzeigt. Literatur fungiert zweitens als imaginativer Gegendiskurs, indem sie das kulturell Ausgegrenzte ins Zentrum rückt und oppositionelle Wertansprüche zur Geltung bringt. Drittens fungiert Literatur als vernetzend-reintegrierender Interdiskurs, indem sie als Ort der Zusammenführung von ansonsten kulturell getrennten Spezialdiskursen dient. Sie verbindet verschiedenste Wissensbereiche miteinander und formt neue Deutungsmodelle.

Meine Arbeit wird einen ersten Überblick über umwelt-engagierte Literatur für sowohl Norwegen als auch Island liefern. Eine gemeinsame Untersuchung norwegischer und isländischer Literatur bietet sich aufgrund der sehr ähnlichen Umweltdiskurse in beiden Ländern an. Den Schwerpunkt werde ich auf Literatur von den 1970ern bis zur Gegenwart legen, da in dieser Zeit Umweltthemen verstärkt Aufmerksamkeit zuteil wurde. Bei der Auswahl der zu analysierenden Werke ist aufgrund der kulturwissenschaftlichen Perspektive eine inhaltliche Eingrenzung auf für Island und Norwegen spezifische Umweltthemen wie Erosion, Überfischung sowie Naturzerstörung durch Erdölgewinnung, Kraftwerksbau und Industrieansiedelung sinnvoll. Dahingegen werde ich die Untersuchung nicht auf eine bestimmte literarische Gattung beschränken, sondern neben essayistischer Literatur auch Romane, Kurzgeschichten und Lyrik einbeziehen.