Nach dem Frühling? Chancen nachhaltiger Entwicklung in der MENA-Region

Investitionen in die MENA-Region müssen auf einen CO2-armen Wachstumspfad führen; Bild: b-e-m/Flickr; Lizenz: CC-BY-NC-SA

8. November 2012
Sabrina Schulz

Das demokratische Erwachen in der MENA-Region (Middle East and North Africa, Naher Osten und Nordafrika) scheint ins Stocken geraten zu sein. Die Aussichten für die künftige Entwicklung von Wirtschaft und Sicherheit sind düster. Prognosen deuten darauf hin, dass das Risiko der Instabilität bis weit in die 2020er Jahre hinein in der ganzen MENA-Region hoch bleiben wird. Dies ist ökonomischen Indikatoren geschuldet, etwa hoher Jugendarbeitslosigkeit, sowie anderen strukturellen Faktoren wie regionalen und sozialen Ungleichheiten und geringwertigen Exporten. Diese Situation ist auch ein Ergebnis der regionalen Vulnerabilität gegenüber globalen ökonomischen Kräften, der Abhängigkeit von europäischen Märkten und einem Mangel an Integration innerhalb der Region selbst.

Investitionen können Abhängigkeiten schaffen und verstärken

Gleichzeitig ist MENA strategisch gesprochen für Europa eine der wichtigsten Regionen im Hinblick auf Politik und Wirtschaft. Aus diesem Grund haben die G8- und andere Länder, multinationale und bilaterale Entwicklungsbanken sowie andere internationale Finanzinstitutionen nach dem Arabischen Frühling große Beträge zugesichert, um die Region zu stabilisieren. Diese finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung hat das Potential, zu Investitionen in Stabilität und Resilienz zu werden, besonders dort, wo sie in Infrastrukturprojekte fließt.

Die Stabilisierung der Region durch diese Maßnahmen könnte jedoch auch scheitern. Beispielsweise schaffen Energieinfrastrukturprojekte Lock-In-Effekte, weil sie auf Jahrzehnte hinaus das Energiesystem eines Landes bestimmen. Infrastruktur, die die Abhängigkeit der MENA-Länder von fossilen Energieträgern für die Energieversorgung vertieft, erhöht ihre Vulnerabilität gegenüber externen Risiken und Schocks. Zum Beispiel könnte der Anstieg und die Volatilität der Energiepreise für das zukünftige Wachstum ein großes Hindernis sein – besonders deswegen, weil Energiepreise in den meisten MENA-Ländern stark subventioniert werden. In Ägypten machten Energiesubventionen 2010 rund 11,9 Prozent des BIP aus; in Tunesien betrugen die Subventionen für Nahrungsmittel und Energie 2009 zusammen 11,6 Prozent des BIP.

Investitionen in die Entwicklung der Länder des Arabischen Frühlings – hilfreich oder schädlich?

Überdies stehen die Länder in der Region vor bedeutenden Wachstumshemmnissen aufgrund des Problemdrucks bezüglich Energie und Wasser, der Vulnerabilität gegenüber schwankungsanfälligen internationalen Nahrungsmittelpreisen sowie den Auswirkungen des Klimawandels auf Tourismus und Landwirtschaft. Daher wird sich der Problemdruck bei Klima und Ressourcen auf zwei zentrale Arten und Weisen auf die Stabilität auswirken:

  • die Erhöhung der Risikoposition gegenüber Schocks, die den Lebensstandard betreffen, aufgrund von schwankungsanfälligen und steigenden globalen Nahrungsmittel- und Energiepreisen,
  • Senkung des Outputs in kritischen Bereichen der Volkswirtschaft, etwa Tourismus, Landwirtschaft und Wirtschaft.

Fehlanpassungen können auch direkt in soziale Spannungen münden, zum Beispiel im ländlichen Ägypten, wo die übergroße Mehrheit der Bevölkerung für ihren Lebensunterhalt von der landwirtschaftlichen Produktion abhängig ist.

Investitionen, die diese aus dem Geflecht Klima – Energie – Ressourcen entstehenden Hemmnisse anpacken, könnten den MENA-Ländern helfen, Resilienz gegenüber zukünftigen Schocks aufzubauen. Beispielsweise könnten klimaresiliente Investitionen, die die Vulnerabilität gegenüber Dürren und dem Meeresspiegelanstieg angehen, die ökonomischen, sozialen und sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels abschwächen. Energie und Wasser sind Schlüsselkomponenten der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wachstums. Auch für die landwirtschaftliche Produktion und folglich die Ernährungssicherheit sind sie entscheidend. Investitionen in den Bereichen erneuerbare Energiesysteme, Energieeffizienz, Wasserinfrastruktur, Entsalzungs- und Bewässerungssysteme etc. packen daher einige der drängendsten Probleme der Region an, etwa Energiearmut, wirtschaftliche Entwicklung und öffentliche Gesundheit.

Investitionspakete berücksichtigen das Thema Resilienz bisher kaum

Die bestehenden Investitionspakete gehen das Thema Resilienz nicht an. Dies legt nahe, dass die internationalen Investoren in öffentliche Projekte noch nicht die Zusammenhänge erfasst haben und die Frage stellen, wie langfristige, nachhaltige Wirkungen erzielt werden können, etwa durch die systematische Berücksichtigung von Energie-, Klima- und Ressourcenfaktoren. Gleichzeitig ist das Zeitfenster zur Umsetzung von Investitionen in die Resilienz klein. Immer mehr Investoren – allen voran Saudi-Arabien – stehen bereit, um ihren Teil der Profite aus der immensen Zahl an Infrastrukturprojekten in der Region zu sichern. Ob dies CO2-arme Entwicklungspfade schaffen wird oder nicht, ist ungewiss. 

Ein neueres Projekt von E3G – Third Generation Environmentalism entwickelt praktische Empfehlungen dafür, wie internationale finanzielle und ökonomische Unterstützung die Region auf einen nachhaltigen CO2-armen Wachstumspfad führen könnte. Das Hauptargument lautet: Erfolgreiches Management des breiten Spektrums an Risiken, die mit der MENA-Region verbunden sind, erfordert das direkte Anpacken von Vulnerabilitäten, um das Risiko einer CO2-armen Zukunft mit begrenzten Ressourcen in eine Chance zu verwandeln. 

Vier strategische Prioritäten für Investitionen in die Stabilität ergeben sich aus unserer Analyse:

  1. Resilienz gegenüber Schocks verbessern. Investitionen müssen neu ausgerichtet werden, um unmittelbare Herausforderungen für die Resilienz hinsichtlich Nahrungsmittel, Wasser und Energie anzupacken. Dazu gehört Unterstützung für Länder beim Angehen der Vulnerabilität gegenüber höheren Energiepreisen und der Reform der Energiesubventionen; die Neubewertung exportorientierter Landwirtschaft im Gegensatz zu Landwirtschaftspolitiken, die die nationale Ernährungssicherheit gewährleisten; sowie ganzheitliche Pakete an Wassermanagementreformen, die auf Effizienz, Management durch die Gemeinschaft und gezielte Investition in Bereiche mit potentiell hohem Druck bezüglich Wasser und sozialer Angelegenheiten setzen.
  2. Wirtschaftliche Diversifikation hin zu ressourceneffizienten Wirtschaftszweigen unterstützen. Investitionen sollten neue Branchen unterstützen, die auch dann noch nachhaltig sind, wenn der Druck auf Ressourcen steigt. Außerdem sollte das Potential CO2-armer Zonen[1] und Exporte sauberer Energie systematischer ausgelotet werden.
  3. Resiliente Infrastruktur bauen. Externen öffentlichen Investoren sollte vorgeschrieben werden, dass sie die Resilienz ihrer Investitionen entsprechend verschiedener Szenarien bewerten sollen. Investitionen in „weiche Infrastruktur“, d.h. Aufsicht durch die Gemeinschaft, natürliche (anstatt künstlicher) Schutzbarrieren, etc. sollten untersucht werden, da sie alternative, resilientere Investitionsoptionen sein könnten.
  4. Die effiziente Koordination der Aktivitäten von Geberländen und internationalen Finanzinstitutionen im Ressourcenbereich Die gegenwärtige externe Unterstützung muss besser koordiniert werden, um Synergien zu erzielen. Ein Beispiel betrifft die Ziele und die potentiellen Auswirkungen von Übertragungsnetzen für erneuerbare Energie, etwa Medgrid,[2] DESERTEC[3] und ähnliche Projekte. Insbesondere die EU muss neu bewerten, wo sie den größten Mehrwert beitragen und einige wenige Stabilitäts- und Entwicklungsziele mit großen Auswirkungen erreichen kann.

Eine Konzentration auf diese Prioritäten könnte die aktuelle Kluft zwischen den politischen Prozessen auf höchster Ebene mit dem Ziel, Stabilität und Demokratisierung in der MENA-Region zu unterstützen, auf der einen und den Allokationsprioritäten praktischer Investitionsprozesse auf der anderen Seite überbrücken. Heute besteht die große Chance, negative Pfadabhängigkeiten zu vermeiden und die Region auf den Weg der Resilienz und der CO2-armen Entwicklung zu setzen.

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Dr. Sabrina Schulz
ist Leiterin des Berliner Büros von E3G – Third Generation Environmentalism.

[1] Der Begriff der CO2-armen Zonen wurde von E3G und Chatham House im Rahmen eins Projekts in China geprägt. Die Idee beruft sich auf das ursprüngliche Konzept besonderer Wirtschaftszonen, von denen China in den 1980er und 1990er Jahren ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, um marktwirtschaftliche Konzepte zu testen. CO2-arme Zonen fungieren als Labors und zeigen Möglichkeiten für innovationsbasiertes CO2-armes Wachstum mit Public-Private Partnerships auf. Sie können Schwerpunktbereiche für strategische Kooperationen zu Klima, Wissenschaft und Technologie sein, in denen der Wissensaustauch über – und Investitionen in – Energieeffizienz, erneuerbare Energien und nachhaltige Verkehrssysteme hochskaliert werden. 

[2] Medgrid ist ein Konsortium von Unternehmen in den Bereichen Stromerzeugung, -übertragung und –versorgung sowie der Finanzierung von Infrastruktur und Klimadienstleistungen. Es handelt sich um eine Initiative im Rahmen des Mittelmeer-Solarplans (Mediterranean Solar Plan), um die Machbarkeit der Hochspannungs-Gleichstromübertragung aus Solar- und Windkraftanlagen zu untersuchen.

[3] DESERTEC hat zum Ziel, die Erzeugung sauberer Energie an Standorten zu fördern, an denen erneuerbare Energiequellen im Überfluss vorhanden sind, etwa in den Wüsten der Erde. Ein Rahmen für machbare Investitionen in erneuerbare Energie und miteinander verbundene Stromnetze wird für die erste Schwerpunktregion, EU-MENA, entwickelt.

 

DOSSIER

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