Das Forschungsjournal Soziale Bewegungen wird 25. Das ist im heutigen extrem dynamischen und kurzlebigen Zeitschriftenwesen ein stolzes Alter, zumal für ein selbstorganisiertes, von ehrenamtlichem Engagement lebendes Projekt. Dieses Stehvermögen ist umso bemerkenswerter, weil die Zeitschrift finanziell aus eigener Kraft über die Runden kommen muss. Es war schon immer etwas anstrengender, unabhängig zu sein.
Als das Journal 1988 ins Leben gerufen wurde, waren die großen sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre – der Protest gegen nukleare Aufrüstung, die Frauenbewegung und der Widerstand gegen die Atomenergie – bereits abgeebbt, jedenfalls wenn man als Gradmesser die Mobilisierung auf der Straße nimmt. Vielleicht ist es präziser zu sagen, dass sie dabei waren, sich zu transformieren. Dazu gehörte auch der Aufstieg der Grünen, die diese Anliegen auf die parlamentarische Tagesordnung gesetzt hatten. Heute Abend feiert die grüne Bundestagsfraktion mit 2000 Gästen ihr 30jähriges Jubiläum. Es tut ein bisschen weh, dass wir diese Terminkollision nicht vermeiden konnten. Denn der Erfolg der Grünen als neue politische Kraft ist ohne die Bewegungsenergie, die sich in den 70er und frühen 80er Jahren angesammelt hatte, nicht denkbar.
Die Gründung des Forschungsjournals reflektierte also weniger die Hitze außerparlamentarischer Massenproteste als das Aufkommen der „Bewegungsforschung“ als neuer wissenschaftlicher Disziplin. Dabei übernahm die Zeitschrift die Funktion eines Scharniers zwischen Forschung und gesellschaftlichen Akteuren, Theorie und Praxis. Man findet dieses Selbstverständnis bereits im ersten Editorial: „Ziel der Zeitschrift ist es, den Austausch zwischen Forschung und Politik, zwischen Bewegungen und Wissenschaft, zwischen Bewegungsaktivisten und traditioneller politischer Praxis sowie Reflexion innerhalb dieser drei Bereiche zu initiieren, zu fördern und zu verstetigen.“
Mittlerweile haben sich die Formen, Aktionsweisen und Themen sozialer Proteste gewandelt. Sie sind vielfältiger geworden und haben neue Bevölkerungsschichten ergriffen, wie man zuletzt bei den Protesten gegen den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs erleben konnte, die den Begriff des „Wutbürgers“ salonfähig machten. Altehrwürdige Akteure wie die Umweltverbände haben neuen Zulauf; neue sind dazu gekommen. Mit dem Internet und den sozialen Medien ist ein neues Kampffeld entstanden – digitale Bürgerrechte, Transparenz, freier Zugang –, zugleich haben sich Protest und Mobilisierung partiell ins Internet verlagert. Bürgerinitiativen sind zum alltäglichen Mittel politischer Intervention von unten geworden, das Feld politischer Partizipation hat sich in den letzten 25 Jahren enorm erweitert: Bürgerentscheide, Beteiligung an Planungsverfahren, Beiräte und parlamentarische Anhörungen sind mittlerweile demokratische Normalität.
Das beschreibt einen Prozess der Institutionalisierung von Bürgerbeteiligung, ohne dass damit eine Stillegung sozialer Proteste und Bewegungen erfolgt wäre. Man kann Ausmaß und Intensität sozialer Bewegungen heute nicht mehr an den Protestformen von einst messen. Beständig ist nur der Wandel. Diesem Wandel auf den Fersen zu bleiben, darin hat das Forschungsjournal über die Jahre hinweg seine Aufgabe gesehen.
Heute steht auf der Homepage: „Das Journal versteht sich als ein Informationspool für alle, die an Reformprozessen interessiert sind. Es soll für relevante Problemstellungen, divergierende Interessen und verschiedene Akteurskonstellationen sensibilisieren sowie Berührungsängste abbauen und Brücken schlagen. Unser Konzept als flexibles Diskussionsforum will den Austausch zwischen Forschung und Politik, zwischen Bewegung und Wissenschaft sowie zwischen BewegungsaktivistInnen und politischer Praxis fördern und festigen.“
Diese Kontinuität wurde nicht zuletzt ermöglicht durch eine hartnäckige Kontinuität der Macher – insbesondere Thomas Leif und Ansgar Klein, beide mittlerweile in den Professorenstand erhoben – sowie einen hochkarätig besetzten Beirat, der wissenschaftliche und politische Kompetenz verbürgt.
Ich gratuliere im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung allen Beteiligten zu diesem Jubiläum und wünsche noch viele produktive Jahre.